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Bodo Hell: Nothelfer.

Essay.
Graz, Wien: Literaturverlag Droschl, 2008.
165 S.; brosch.; m. Abb.; Eur 15,-.
ISBN 978-3-85420-746-7.

Link zur Leseprobe

Dass zu Bodo Hells Sommerresidenz, der Grafenbergalm, der Wanderweg 666 führt, ist vermutlich schon oft hervor gehoben worden, dass er dort nicht residiert, sondern sennt, käst, hütet und Vorbeikommende bewirtet und betextet ebenfalls, dass kein Weg an Bodo Hell vorbeiführt, wenn man über literarische Avantgarde in Österreich spricht, ist auch kein Novum, dass Hells Ziegenkäse so gut wie seine Maultrommelei und sein Orgelspiel vermutlich mit dem Schnaps auf der Grafenbergalm konkurrieren kann, dies aber nicht tut, weil Konkurrenzgedanken hier nichts verloren haben, ist auch nichts Erhellendes. Und Erleuchtung versprechen will das Nothelfer-Buch ja auch nicht. "Nothelfer" ist kein Lebensratgeber. Aber es ist Aufklärung, Wissensraffung, Informationsakkumulierung und noch vieles mehr in bester Hellscher Art und Dichte. In Sätzen die überquellen. Die sich nicht durch Punkte schließen lassen. Weil es immer noch mehr zu sagen gäbe.

Katharina ist die Nothelferin bei Leiden der Zunge und Sprachschwierigkeiten. Diese anzurufen hat Bodo Hell zu allerletzt Grund. Aus ihm sprudelt es. Ziemlich egal zu welchem Thema. Im Droschl Essay-Band 60 also zu den Nothelfern. Diese zwei mal sieben Heiligen, die der durchschnittlich katholisch erzogene Österreicher lediglich aus Anrufungen bei früheren Kirchenbesuchen kennt. Mehr nicht. Hell schon. Hell holt aus und weiß: Ab dem 15. Jahrhundert trat der Konvent von Blutzeugen auf, denen vor Antritt ihres Martyriums versichert worden sein soll, dass jeder, der fortan in ihrem Namen um etwas bitte, erhört werde. (S. 8)

Hell hat zu allen 14 Nothelferinnen und Nothelfern Geschichten erfunden oder gefunden. Mal werden sie in Form von Merksprüchen, Liedern, Litaneien, Redewendungen (Abraham) und Passonalia (detailreiche Leidensgeschichten) vorgestellt. Mal schlüpft Hell direkt in die Figuren und beseelt beispielsweise Alexius. Mal lauschen wir – Antonius betreffend – dem Lob- und Bittgesang eines flämisch-burgundischen Sängers und Komponisten an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit. Mal werden wir, ausgehend von einer Panoramafotografie des Stephansdoms, auf eine ausführliche Wienbeschreibung beziehungsweise Stefflbesteigung mitgenommen und erfahren unter anderem, was Adalbert Stifter im Turm trieb und was Jahrhunderte später Greenpeace AktivistInnen... und, und, und. Und Geschichten und Analogien aus der Almerfahrungswelt gibt es immer noch als Zugabe. Zum Beispiel was der Bär alles Gutes tut, obwohl er wieder um ist.

Frage: Welches Gedicht widmete Trakl Adolf Loos? Und mit welchem Nothelfer hat es zu tun? Und welcher Romancier war noch ein Verehrer von Darstellungen des betreffenden Nothelfers? Die fromme Witwe Irene hat diesen übrigens gesund gepflegt. Worauf er dann zu Tode geknüppelt und in die Cloaca Maxima geworfen wurde. Na? Jedenfalls fangen die Bäume zu saften an im Mond, in dem der Gesuchte verehrt wird. Nun? Antwort(en): Nachzulesen.

Nachzulesen überdies: Piercing, Selbstkasteiung und ähnliche Dinge hatten ursprünglich den Sinn eines der Gottheit gebrachten Opfers, das Schutz vor dämonischen Beeinflussungen bewirken sollte. Die Darbringung der Vorhaut wiederum wird als Zivilisierung des Menschenopfers interpretiert. Die Heilige Agnes wurde ins Bordell gesteckt, wo ihr zum Schutz die Haare in Körperlänge wuchsen, alle Haare. Und Zahlensymbolik kommt auch nicht zu kurz. Was es mit dem Drei-Nagelfreitag auf sich hat und was neben den fünf törichten und fünf klugen Jungfrauen noch alles zu fünft auftritt, Hell weiß es zu berichten (S. 16). Wer kennt heute noch die heilige Wiborada? Und die Eselsbrücke, um sich die von Bibliothekaren in letzter Not anzurufende Helferin auch zu merken? (S. 14)

Mit diesem Hintergrundwissen ist jedem Altar in jeder x-beliebigen Kirche etwas abzugewinnen. Geschichten, Martyrien, Legenden, Phantasiereichtum (?). Man wünscht sich eine persönliche Hell-Führung, tröstet sich aber mit dem Buch und erfährt zum Beispel auch, dass Noah Trost heißt. Die Arche Hell rettet in Vergessenheit geratenes.
Und die Nothelferdichtekrone geht übrigens an Tirol, ins heilige Land also. Na dann ists ja gut!

 

Markus Köhle
15. Oktober 2008

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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