Mein Gott, Maria! Er hätte diese Geschichte, in die er mit ihr geraten war, längst beenden sollen. (...)
Diese Geschichte, in die nun auch ich geraten war. Oder waren Maria und er in meine Geschichte geraten? Maria, die nun wieder neben mir in seinem Auto saß? (wir hatten die Steigung im Apennin hinter uns und fuhren bergab Richtung Florenz). Wolf, der zwar vorläufig nicht physisch anwesend war, aber auf andere Weise mitfuhr. (...)
Er unterreichtete gern am Gymnasium. Obwohl er den Lehrerjob als Kompromiß betrachtete. Oder als Übergangslösung. Nach all den Jahren am Priesterseminar. (...)
Ach ja, manchmal spürte er schon eine gewisse Kraft, die durch ihn wirkte. Wenn der Funke des Geistes, den er nach wie vor für etwas Heiliges hielt, von ihm auf den ein oder anderen Schüler, die eine oder andere Schülerin übersprang, dann war das ein beglückendes Gefühl. Das kam, dem Himmel sei Dank, immer wieder vor. In diesem Fall hatte es damit allerdings nicht sein Bewenden. Dieses Mädchen war halt besonders entflammbar. Er hätte in ihrer Nähe nicht mit offenem Feuer hantieren sollen. (...)
War es so? So ungefähr könnte es jedenfalls gewesen sein. Als ich ihn kurz, aber intensiv kennenlernte, in der langen Nacht, in der uns Maria abhanden kam, fand ich einige meiner Vorstellungen von ihm bestätigt. So manches reimte ich mir natürlich auch aus dem zusammen, was Maria im Laufe unserer Reise erzählte. Darüber hinaus jedoch habe ich Szenen aus seinem Leben auf eine Weise empfangen, die ich mir nach wie vor nicht ausreichend erklären kann. Daß sie Maria hieß, hatte ihn von Anfang an frappiert. Schließlich hatte das Erlebnis, das er ehemals für seine Berufung gehalten hatte, mit Maria zu tun. Jener anderen natürlich. Der mädchenhaften Mutter Gottes. Er war damals sicher, daß er sie gesehen hatte. Wie sie da schwebte, auf dem Lichtstrahl, der durch ein schmales, neugotisches Fenster fiel. Die Kirche, in der ihm die Erscheinung widerfahren war, stand in der Nähe des Bahnhofs, in einem Viertel, das ihn wegen ganz anderer Frauen anzog. (...)
Die leibhaftige Jungfrau. Ihr durch die unbefleckte Seele verklärter Leib. Unter dem blauen, erstaunlich kurz geschnittenen Kleid ihre Beine mit den süßen Füßen.
Wie er, ihr vis-à -vis stehend, nein kniend, für einen Moment, also einen winzigen Teil der Ewigkeit, das Gefühl hatte, ebenfalls zu schweben. Ja, ja, sagte später der Pater Schwarz, sein Beichtvater und Seelenführer im Priesterseminar, durch so einen strahlenden Anblick kann man sich schon erhoben fühlen.
(S. 105-109)
© 2005, Residenz Verlag, St. Pölten, Salzburg.