Nichts Lächerlicheres und vor allem Kläglicheres aber als die mannigfaltigen Verschwörungstheorien, welche von diesen und jenen aus den verschwindenden oder fast schon verschwundenen Minderheiten gegen die herrschenden Sicherheiten ins Feld geführt werden. Die Juden; die islamische Gefahr; der Balkan in westlicher Hand für den Zugang und Zugriff auf die östlichen und südöstlichen Erdölfelder etc.: Denn die mächtigen und reichen Länder haben gleichwelche Verschwörung oder Munkelei gar nicht nötig; sie sind von vornherein, durch den Stand der Dinge, schon verschworen, natur- und sachverschworen, ohne irgendwelche Packeleien in Hinterzimmerkonferenzen. Verschworenheit ohne Verschwörung: Strahlt das nicht von jedem lässigen Zusammenstehen der gerade Mächtigen - wenn sie es denn sind - in den freien Weitgegenden aus? Als Verschwörer dagegen wirken zunehmend gerade die Leutchen mit den Verschwörungstheorien: kleine, zersplitterte, traurige, hoffnungslose Verschwörer im Niemandsland, oder eben in der Diaspora, verschworen und sich täglich neu verschwörend - für nichts und wieder nichts; Verschwörer ohne Ziel, oder mit unerreichbarem Ziel (ein anderer Augenschein). Wieder so eine verkehrte Welt? Oder doch wieder die richtige - die maßgebliche?
(S. 65f.)
© 2003, Suhrkamp, Frankfurt am Main.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.