Diese Blicke nach draußen, zwischendurch: Bewegung hereinholen in den Stillstand, in den stets wiederkehrenden Gleichlauf der Dinge. La finestra curiosa, nennt Frau Sira dieses Fenster. Mutter Rose aus David Leavitts Roman Die verlorene Sprache der Kräne fällt mir ein; lange bevor meine Mutter an Krebs erkrankt, habe ich das Buch gelesen. Eine Stelle hat sich mir eingeprägt, nämlich wie Mutter Rose durch ihr Küchenfenster schaut und von der dunklen Ahnung ihrer Erkrankung heimgesucht wird. [...]
Frau Sira und ich tauschen Rezepte aus, geben einander Kochtipps. Was ich vom Kochen weiß, habe ich von meiner Mutter. Frau Siras Peperonata gilt in ihrer Familie als unschlagbar. Ich koste und sage unumwunden: Die meiner Mutter ist besser. Frau Sira will die Zutaten wissen; in Mutters Rezeptbuch finde ich sie aufgelistet: Tomaten, Zwiebel, Peperoni. Das kann nicht stimmen, meine Mutter hat auch anderes in ihre Peperonata hineingetan: Melanzane und Zucchini zum Beispiel. Was gerade zur Hand war, hat sie verarbeitet; es war jedes Mal köstlich.
Fortan muss ich mich an das halten, was da geschrieben steht in Mutters Handschrift. Ich kann ihr nicht mehr in die Töpfe schauen.
Vaters Lieblingsbeschäftigung kurz vor dem Mittagessen bestand darin, die Topfdeckel abzunehmen und mit seiner Nase nahe an den Küchendampf heranzugehen. Er schnüffelte und seufzte lustvoll: Dir werde ich das Kochen noch beibringen! Diesen Spruch wiederholte er dreißig Jahre lang. Meine Mutter ist Vaters Lehrmädchen geblieben. Das Fingern an den Kochdeckeln habe ich von meinem Vater geerbt, auch ich bin neugierig, was da vor sich hinbrodelt und gart in einem Topf. Bestimmte Genüsse sind für immer verloren. Ein Geschmack auf der Zunge, ein Geruch schon im Stiegenhaus. (S. 168 f.)
© 2005, Haymon Verlag, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.