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Leseprobe: Erika Pluhar - "Der Fisch lernt fliegen"

- in Wien, am 24. Oktober 1988

Herr Bernhard.
Das soll ein aufrichtiger Brief sein, und deshalb auch keine verlogene Anrede. Weder sind Sie lieb, noch verehre ich Sie. Aber ich sah Sie unlängst, von meinem fahrenden Auto aus, durch die Obkirchergasse gehen. Es waren kaum Passanten unterwegs und Sie offensichtlich in Gedanken. Gingen mit leicht gesenktem Kopf. Ich sah einen ermüdeten und gekränkten Menschen, dessen Ernsthaftigkeit Würde ausströmte.
Ich sah Sie nicht lange, nur einen Atemzug lang. Aber als ich weiterfuhr, hatte ich die Empfindung, Sie eindringlich erblickt zu haben. Und seither stelle ich Ihnen Fragen.
Ich habe mich heute entschlossen, es auch brieflich zu tun.
Keine künstlerische Frage möchte ich Ihnen stellen.
(Um es kurz zu erwähnen: Ihre frühe Prosa habe ich sehr geliebt. Einige Ihrer Theaterstücke könnte ich gernehaben, aber es sind mir zu viele geworden. Sie überraschen mich nicht mehr. Und wenn Sie schimpfen, wird mir die Kraftlosigkeit aller Schimpferei allzu auffällig. Sie greift nicht an und bleibt letztlich Amusement - so, wie eben jeder gerne schimpft, auch der größte Opportunist.)
Nein, ich frage diesen stillen schmerzlichen Mann aus der Obkirchergasse, dem etwas ganz anderes zu fehlen scheint als künstlerische Freiheit: Was bindet ihn an ein Milieu wie dieses um Claus Peymann? Durchschaut er nicht, wie dort noch ganz andere Freiheiten als die künstlerische unterbunden werden? Wie man da alle faschistoiden Grundmerkmale vorfinden kann, ausgelegt wie auf dem Reißbrett?
Oder durchschaut er sehr wohl - und benützt? Indem er sich benützen läßt? Indem er Verrottetheiten, die er allem ringsum ankreidet, dort für sich arbeiten macht?
Letzteres ist es, was ich Ihnen vorwerfe, Herr Bernhard.
Sicher, Sie haben auch Peymann schon mal in einem lustigen Dramulett angegangen. Aber da sagt man mittlerweile (und das müßte Ihnen eigentlich zu denken geben): So ist er halt, der Bernhard, so frech und unberechenbar!
Aber der stille Mann aus der Obkirchergasse will mir in dieses Bild nicht passen. Das eines Medienzampanos, der aus gesteuertem Skandal Profit zieht, dessen kritische Pranke sich nur erhebt, um Geschrei zu erzeugen, aber niemals zuschlägt. Der sich symbiotisch an die marktschreierischste Theatermacherei kettet, weil sie ihm Tantiemen und Breitenwirkung absichert. Dessen beständige Schelte Masche ist und nicht die Empörung eines Verwundeten (wie Ihre Befürworter sagen).
Das Bild des Mannes, den ich sah, war das eines schmerzlich verwundeten, eines besorgten Menschen, der ohne Zynismus leidet.
Und deshalb bestürzt mich jetzt als Doppelgesichtigkeit, was ich früher nur achselzuckend festgesteltt hatte. Ich kann Sie jetzt nicht mehr einfach als einen der Peymann-Partie Zugehörigen sehen (bewußt sage ich "Partie" - als kleine Abweichung zur "Partei") und es eben hinnehmen, daß Sie sich genau so schamlos verkaufen wie alle Karrieristen.
Ich merke, daß in mir der Wunsch wächst, Sie auf die Frage, die mein Brief beinhaltet, Rede und Antwort stehen zu hören. Und zwar ohne den Schlenkerer, den Sie in Ihren Interviews oft anwenden, wenn man Ihnen naherücken will - der, daß Sie sich selbst auch nicht mögen und Ihr eigener schlimmster Feind seien. Das ist eine zu billige Ausflucht, um eigene Miesheit abzudecken, während man auf Miesheiten Jagd macht.
Wenn Sie kritiklos dulden, was Ihnen nützt - und nur anprangern, damit der Teufel los ist, und nicht, um ihn zu stellen - dann ähneln Sie auf fatale Weise politischen Figuren, von denen verfolgt zu sein Sie vorgeben und deren Geschrei Sie letztlich nur absichert.
Als ich Sie müde und leicht gebeugt in der Obkirchergasse dahingehen sah, hatte ich den Eindruck, daß Gedanken dieser Art auf Ihnen liegen als Last. Eigentlich müssen sie auf Ihnen liegen und Sie drücken.
Ich habe beschlossen, letzteres als gegeben anzunehmen. Zu sehr achte ich ihn, den Mann aus der Obkirchergasse, und kann den "Fall Peymann-Bernhard" für ihn nicht akzeptieren. Allein die beständige Verwechslung der beiden Namen, die heutzutage im Gespräch so vielen Menschen unterläuft! Ich will ihn nicht als siamesischen Zwilling des derzeitigen Burgtheaterdirektors sehen!
Herr Bernhard, nehmen Sie ihn auch ernst, diesen Mann aus der Obkirchergasse. Ich glaube, er hat Ihnen Wichtiges zu sagen.
Aber vielleicht ist das das Schmerzvolle an ihm: daß Sie niemals auf ihn hören werden.

Ich grüße Sie.

Erika Pluhar

Bald, nachdem sie diesen Brief an Thomas Bernhard abgesandt hatte, starb dieser. Sie weiß nicht, ob er ihn überhaupt je zur Kenntnis genommen oder gelesen hat. Trotzdem hatte sie kurz das Gefühl, seinen Tod mitverursacht zu haben.)
(S. 95ff.)

© 2000, Hoffmann und Campe, Hamburg.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

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