...Ich gehe weit gegen Westen. Wo bist Du, schwarz-weißer Engel? Montmartre ist ein Hügel und wird zuletzt von der Sintflut erfaßt werden. Paris ist ohne Wasser; ich gehe; der Boden ist fest. Aber vom Montmartre kann man nach Osten sehen; dort ist es gründlich und kühl und überschwemmt.
Die Hügel nach der Flut
Nicht möglich, ich ... bin das ich ...? Sehe ich aus ...
Sie erstarrt vor dem Gesicht, das ihr aus der Schaufensterscheibe erschrocken entgegenstarrt, die Augen spiegeln ein schnelles Licht zurück in das Feld der Gewißheit, die Mundwinkel gehen auseinander; ein schräg nach oben gezogener Strich, ein Strich Resignation - ein Strich unter die Rechnung, sagt das Gesicht, ganz schön verausgabt, jetzt hebt das Bezahlen an, das Bedauern, jetzt kann dir wieder alles geschehen, der Blick geistert es schon - na also - während er ziellos umherirrt, sich an allem stoßend, worauf er trifft, die Mimik verkriecht sich, will von nichts etwas wissen, du siehst es, ihr Abwesen, siehst die Abzeichen der Angst, die auf den Oberflächen deiner Gedankenströme dahertreibt, zu einem Tag zurück - zu einer Zeit zurück, wo sich dicht aufgespachtelte Sätze aus den vier Wänden rissen, Fratzen, die nach dir stierten, du spürtest dich aufgehoben, mit dem Kopf auf die Erde krachen ... Auf den Mund gefallen, dachtest du, als du wach wurdest, du konntest ihn nicht mehr öffnen. Es wäre auch nichts zu sagen gewesen, es galt das Nichtdenken - alles, nur nicht denken, das Darandenken war zu ersticken, das Daranerinnern war zu vergessen, dieses Vergessen, das zunächst tat, als ließe es vergessen. (S. 7f.)
Paris rettet dich. Du hast dich behelligen lassen in Paris, betören, die Sinne wecken; was du verlierst, sollst du spüren, was geschehen ist, läßt sich nicht sagen, Beweggründe sind da, die zugleich Entschuldigung und Selbstvorwurf sind - Ekel und Sterbenwollen und dieses Pochen im Bauch, diese hier fast borniert gewordene Lust, es läßt sich nicht sagen, Gier, sie ist da und nicht auszulöschen, ein unablässiger Drang, eine Tür aufzustoßen, hinauszurennen, auszurinnen, der Drang - dies auszumerzen, zu zerstören. Immer mehr Türen sind es. Immer mehr Betten. Da läßt sich kein Leben aufbauen, sagte er, du bist ja verdorben ... Oma sagt, du bist nichts wert, und du spürst dem eigenen Leib den "Wert" fehlen, da ist Sinnsuche sinnlos. Aber das ist nicht wahr, da waren Gefüge von Glück, unter den Füßen ein fester Boden, ein sanftes Gleichgewicht, der Kopf leicht, er verschrieb Zukunft ... Da waren Erfolge, Veröffentlichungen, Lesungen, eine Radiosendung. Herz - was willst du mehr? Paris ist Realität, was darf's jetzt sein? Eben, du hast keine Ahnung, das Unerreichbare, denkst du, das Erreichte ist sinnlos, zu wenig Materie, kein Halt, je mehr du dich anstrengst, umso angreifbarer wirst du, auch die Sprache trägt dich nicht, dem eigenen Wort bedeutest du nichts, es ist dir gefällig, sonst nichts ... (S. 16f.)
(c) 1997, Otto Müller, Salzburg, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.