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Leseprobe: Maximilian und Emilie Reich - "Zweier Zeugen Mund."

Am Sonntag durfte man selber schreiben und während der ganzen Woche konzipierte man diese Briefe im Geist. Da man die Wahrheit weder schreiben durfte noch wollte, mußten die Briefe zu einer Schablone erstarren, aber es war ein Lebenszeichen und für die Angehörigen der einzige Trost. Oft schreckte ich nachts aus dem Schlaf auf, weil mir plötzlich einfiel, daß ich vergessen hatte meiner Frau dies oder jenes unerhört Wichtige mitzuteilen, den Namen des Mannes, der vielleicht helfen könnte oder eines Amts, an das sie sich wenden müßte. Man grub sich diese Namen ins Hirn, damit sie einem ja nicht wieder entfielen, dann kam der Sonntag und die Stunde des Briefschreibens, man suchte alle Zettel zusammen aus den Taschen, aus der Geldbörse, alles worauf man sich wichtige Aufzeichnungen gemacht hatte und - setzte sich hin und schrieb ganz andere Dinge. Mancher, der sich während der Woche entschlossen hatte seiner Frau anzudeuten, daß es ihm gar nicht so gut gehe, besann sich plötzlich eines anderen und schilderte seine Lage so übertrieben rosig, daß die Antworten von zu Hause manchmal wirklich groteske Formen annahmen. Es fehlte unserer Tragik nicht am Lächerlichen. Eine Gattin beispielsweise erkundigte sich, ob ihr Gemahl auch eine nette Bridgepartie gefunden habe. Viele Frauen kündigten das Einlangen von Sendungen von Dingen an, die der Bequemlichkeit und Unterhaltung dienen sollten, aber natürlich niemals in den Besitz des Adressaten gelangten. Manchmal wurden Briefe auch mit freundlichem Kommentar des Blockführers überreicht, etwa: "Schreibt's euern Fraun net allweil so valiebte Brief, Saujudn dreckate. Wann i noch amal les Schnuckerl oder Schatzerl wird der Brief zerrissen und du kriegst Fünfundzwanzig, daß dir die Haut raucht. Ihr Deppen tut verliebt. Eure Fraun betrügen euch doch selbstverständlich."
Ein Häftling bekam fünfundzwanzig Stockhiebe, weil sein Stiefvater, ein Arier, einen Brief mit 'Heil Hitler' schloß. Besonders interessant an diesem Fall war die Tatsache, daß der Stiefvater Brausewetter hieß und ebenso der Mann, der die Fünfundzwanzig bekam. Der Stiefsohn jenes 'Heil Hitler' rufenden Herrn Brausewetter aber war ein gewisser Schmiedeisen. Ihm war also eigentlich die 'Strafe' vermeint, während der geprügelte Brausewetter außer dem Namen mit dem Schreiber des Briefes nichts gemein hatte. Als der Irrtum aufkam, hatte der Schutzhäftling Brausewetter zu den Prügeln noch den Spott.
Schmiedeisen aber bat seinen Stiefvater im nächsten Schreiben flehentlich, er möge, im Hinblick auf die empfindliche Rückenpartie des jüdischen Stiefsohnes in künftigen Briefen jede Andeutung eines politischen Glaubensbekenntnisses unterlassen...
Vater Brausewetter hatte natürlich gemeint, seinem Stiefsohn durch den Hitlergruß das besondere Wohlwollen der Lagerleitung zu verschaffen.

© 2007 Theodor Kramer Gesellschaft, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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