Manche der niederen Gebäude schienen unbewohnt, Geisterhäuser, wie Thomas Mach dachte. Er nahm sich vor, sobald wie möglich zu Fuß durch die Stadt zu streifen, und während er den Vorsatz faßte, fiel ihm auf, daß die Dächer voll getrocknetem Kamelmist waren, der als Heizmaterial diente. Alles hatte die gleiche Sandfarbe angenommen wie die Häuser. Er bemerkte auch die Stapel von schönen Brotfladen in einer Bäckerei, in der aus der Dunkelheit die Flammen eines Ofens flackerten, und davor einen jungen Mann mit einem Spazierstock und einem weißen Turban. Das Besondere an ihm waren seine riesenhaften Hände. Die Finger hingen wie müdes Kriechgetier über dem Griff seines Stocks, sein dicker Kopf war so breit, wie er lang war, und große rollende Augen irrten in den Höhlen umher. Nun kam die zweite hängende, grotesk große Schlapphand zum Vorschein, Thomas Mach spürte sie förmlich in seiner eigenen Hand wie den Druck eines sterbenden Kranken, und die zweite Krakenhand hielt einen Skarabäus, einen heiligen Käfer aus blauem Ton, zum Wagen hin, der soeben wieder anfuhr und die Welt des riesenhändigen jungen Mannes verließ. In Thomas Machs Kopf aber würde er mit immer denselben Gesten, dem blauen Skarabäus und den monströsen Händen erscheinen, sobald er an die Rückfahrt von den Pyramiden dachte. Es war kein Zufall, daß Thomas Mach dabei auch das Gesicht des tätowierten Maoris einfiel, und jetzt erst verstand er den Sinn der Tätowierungsmuster in den schönen, abwesenden Gesichtern: Es waren kunstvoll gebaute Labyrinthe aus Schneckenwindungen, Ornamenten und symmetrischen Linien, in denen die Antlitze der Häuptlinge sich für immer verbargen.
Der Vogelschwarm
Im Hotel duschte er sich, und er konnte es nicht lassen, in den grünen unebenen Spiegel zu blicken, der ihn häßlich machte. Er sah älter darin aus, als er war. Sein Gesicht schien geschwollen, und seine Augen waren gerötet. Nachdem er das Hemd gewechselt hatte, trat er auf den Balkon. Tief unten die Straße mit dem dichten Verkehr, links der Nil mit kleinen Schiffen, es war noch hell, aber die Lichter brannten schon am Ufer. Auf der rechten Seite, ganz hoch oben am gelblich dunstigen Himmel, die winzigen Punkte eines Vogelschwarms. Man konnte über das Geländer steigen und seinen Blick nicht von ihm abwenden und ... So mußte es gewesen sein, dachte er, als Eva Blum sich entschlossen hatte, ihrem Leben ein Ende zu bereiten.
(S. 83 ff)
© 2002, S. Fischer Verlag, Frankfurt.