Bettina hätte gerne "richtig" Abschied von ihrer Mutter genommen. Das hätte für sie bedeutet, "dass wir vielleicht auch über unsere Beziehung gesprochen hätten, denn die war nicht die einfachste. Dass man noch mal Bilanz zieht und sich vielleicht ein paar Sachen gegenseitig verzeiht." Doch sie fügt selbstkritisch hinzu: "Aber das war irgendwie nicht möglich. Ich will gar nicht sagen, dass das nur an ihr lag, dass sie das nicht akzeptieren wollte, sondern davor hatte auch ich Angst, das fand auch ich schwer. Ich weiß nicht, ob wir das hingekriegt hätten, auch wenn die äußeren Bedingungen dafür günstiger gewesen wären." Am Ende, als ihre Mutter schon im Koma lag, erzählte Bettina ihr "einfach alles, was mir durch den Kopf ging", auch "dass sie mich jetzt alleine lässt". Erst als eine Auseinandersetzung nicht mehr möglich war, wagte sie es, die schmerzhaften Dinge auszusprechen.
Bettina beschreibt ihr eigenes Verhalten nüchtern und realistisch. Sie ertrug es zum Beispiel nicht, ständig bei ihrer Mutter zu sitzen: "Ich bin die erste Nacht dort geblieben, hatte aber nur einen Stuhl, also nichts, wo ich mich richtig hinlegen konnte. Ich habe eine kaputte Bandscheibe und dachte, wenn ich das jetzt jede Nacht mache, kann ich nachher nicht mehr laufen. Ich bin dann immer abends hin und bis - was weiß ich - zwölf, ein Uhr nachts geblieben und dann mittags noch mal für ein paar Stunden hin. Ich musste auch einfach ab und zu raus." Sie hatte deswegen nicht nur ein schlechtes Gewissen, sondern auch Angst, den entscheidenden Moment zu verpassen. Doch ihre Sorge erwies sich als unbegründet: "Ich bin Sonntag Nachmittag hin, und eine Stunde später ist sie gestorben. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie hat darauf gewartet, dass ich komme. Und ich bin froh, dass ich da war."
(S.167f)
© 2002, Krüger Verlag, Frankfurt / M.