Ich glaube, eine Frau kann viel leichter bei einem Mann etwas durchsetzen, wenn sie einen runden Busen hat. Deshalb habe ich mir vorgenommen, mir morgen vier Taschentücher in den Ausschnitt zu stopfen, um wirklich erwachsen auszusehen. In Wirklichkeit bin ich natürlich schon ganz erwachsen, aber das weiß nur ich, und man sieht es mir noch nicht richtig an.
Letzten November wurde ich vierzehn Jahre alt, und Papa schenkte mir zum Geburtstag dieses schöne Tagebuch. Es ist natürlich schade, diese feinen weißen Seiten voll zu schreiben. Das Buch hat auch ein kleines Schloss, und ich kann es absperren. Nicht einmal meine Schwester Julie wird wissen, was darin steht. Es ist das letzte Geschenk von meinem guten Papa. Mein Papa war der Seidenhändler Francois Clary in Marseille, er ist vor zwei Monaten an Lungenentzündung gestorben. "Was soll ich denn in das Buch hineinschreiben?", fragte ich ratlos, als ich es auf dem Geburtstagstisch fand. Papa lächelte und küsste mich auf die Stirn: "Die Geschichte der französischen Bürgerin Eugénie Désirée Clary", sagte er und bekam plötzlich ein gerührtes Gesicht. Ich beginne heute nacht meine zukünftige Geschichte aufzuschreiben, weil ich so aufgeregt bin, dass ich nicht einschlafen kann. Deshalb bin ich leise aus dem Bett gekrochen, hoffentlich wacht Julie, die im selben Zimmer schläft, nicht durch das Flackern der Kerze auf. Julie würde mir nämlich einen schrecklichen Krach machen. Und aufgeregt bin ich, weil ich morgen mit meiner Schwägerin Suzanne zum Volksrepräsentanten Albitte gehen soll, um ihn zu bitten, Etienne zu helfen. Etienne ist mein großer Bruder, und es geht um seinen Kopf.
© 2002, Kiepenheuer & Witsch, Köln.