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Leseprobe: Bernadette Schiefer - "Reise mit Engel. Nirgendwohin."

Leseprobe der nächste tag war ein grazwettertag. wir gingen ins café. dann einkaufen, wir standen neben den wühlkörben und hatten keine lust zu wühlen, das kann ja nicht alles sein, dachte ich mir. wir gingen in die damenabteilung, für mich sah hier alles gleich aus. ich liebe hellgelb, sagte engel, ich suchte nach hellgelben socken. nein, sagte engel und nahm sie mir aus der hand. ich ließ die hellgelben socken fallen und entschied mich für hellblau. aber eigentlich wollte ich gar nicht socken kaufen. eigentlich wollte ich gar nicht einkaufen. bedrückt schlich ich hinaus. ich ging in die bibliothek. die bibliothek war gefüllt mit dunkel- und hellbraunen regalen aus holz. heimatroman, kriminalgeschichten, klassiker, fremdsprachen, kinderbücher, wissenschaft, esoterik, religion, medizin, las ich die aufschriften. ich entschied mich für die abteilung klassiker. dicke wälzer aus allen jahrhundeten verstaubten in den regalen. schiller, goethe, grillparzer, kleist. shakespeare, tolstoi, brecht. ich entschied mich für esoterik. keine staubschichten. werden Sie glücklich, hieß es hier. loskommen von der angst, befreiung zum wahren ich. ich gehe den weg der sonnenblume. ratgeber für ein erfülltes leben. selbstfinder-lexikon. ich nahm das lexikon in die hand. person, personifikation, persönlichkeit. ich suchte unter stichwort: ich. gab es. drei seiten. ich suchte unter stichwort: du. gab es nicht. es gab auch nicht engel, nicht liebe, nicht lust. engel, sagte ich, du stehst nicht im lexikon. engel wollte nicht zur religionsabteilung, auch nicht zur wissenschaft. ich blieb bei heimatroman. trivialliteratur. ich nahm ein buch. wenn die fliedersträucher blühen, und setzte mich auf einen hocker. ich erwischte eine kussszene. so erregend wie thunfische, sagte engel hinter mir. und verschwand kichernd in der kriminalabteilung. diese luftleichten wesen. wir gingen ins café. dann in eine contemporary ausstellung. ich wollte das theater fotografieren, mit engel, engel mochte keine fotos. er mochte nur blitzlichtfotos. er mochte blitze, gewitter, wenn es donnerte und blitzte, da fühlte er sich wohl. als wir rausgingen, regnete es. die leute rannten uns fast nieder. rauschen, regentrommeln. ich hüpfte über die wasserlachen. engel lachte wie harfensaiten. würde man einen film drehen, engel wäre ein junger, hübscher mann, blaue, forschende, kühle, ruhige augen, gleichmäßige züge, lachfalten um die augen, eher im hintergrund. der ferne, der fremde. ein spöttisches lächeln um seinen mund, gelassen bleibend, nicht sofort involviert. eher beobachter. in einer nische fand ich einen alten regenschirm. er war schwarz und hatte ein loch. wir nahmen ihn mit. Ihr regenschirm hat ein loch, fräulein, sagte ein passant und blieb stehen. ich weiß, sagte ich höflich. danke. Ihr regenschirm hat ein loch, fräulein, sagte ein anderer passant und blieb stehen. ich weiß, sagte ich, danke. höflich. Ihr regenschirm hat ein. loch, beendete ich den satz des dritten passanten, der stehenblieb. ich sehe es, sagte ich, danke. Ihr regenschirfm hat ein loch, fräulein, sagte ich zu passant vier, der stehenblieb, ich weiß, danke. er schaute verdutzt. wollten Sie das nicht gerade sagen? fragte ich. diese gören, schimpfte er. engel sagte: du lässt dich beeinflussen. jetzt bist du wütend, nur weil drei freundliche passanten dir dein loch zeigen wollten. und? fragte ich. was hättest du gesagt, ha? mein herr, sagte engel, ich findes es schön, ein loch zu haben. besser ein loch im schirm, als ein loch im kopf. haha, sagte ich, sehr witzig. das kann man doch nicht so sagen, sagte ich,. alles kann man sagen, sage engel. wenn man es nicht sagen könnte, dann könnte man es ja auch nicht denken, oder? aber es gibt regeln, lieber engel, erklärte ich, und vorschriften und alles. du bist ja sonst auch so pseudomoralisch, sagte ich. na und, sagte, engel. es ist dein schirm. und dein loch. wenn du dich an die regeln hältst, dann ärgerst du dich nur. und er nahm den schirm. die passanten gingen weiter. keiner sagte etwas. das ist unfair, schimpfte ich. nur weil du ein mann bist, ich meine, so ausschaust. nein, sage engel, weil ich den schirm so trage, dass die leute fühlen, es gefällt mir, den schirm so zu tragen. und sie lächeln über dich und denken, so ein spinner, sagte ich. was sie denken, ist mir schnuppe, sagte engel. hauptsache, sie sagen es nicht. immer gewinnst du, beklagte ich mich und stelle den schirm in eine ecke. weil du nicht verlieren kannst, sagte engel. wenn du verlieren kannst, ist es leicht, zu gewinnen. warum? fragte ich. (S. 43 - 45)

© 2002, Skarabaeus, Innsbruck, Bozen.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

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