Ein kleines Holzhaus, eine Hütte, in der sie leben, schon lange leben. Mit einem Tisch, vier Stühlen, einem Bretterboden und Fensterluken zum Mobiliar dazu gehörend, als Gesamtheit. Die Vorhänge sind aus grobem Stoff gewoben und tragen ein rot-weiß-rotes Karomuster. Dort oben in zweitausendneunhundertfünfundneunzig Metern fällt der Blick auf ewiges Weiß. Wenn die Sonne an diesen selten klaren, fast windstillen, klirrenden Tagen hinter dem steinigen Grat verschwindet, spiegelt das geschwungene, reine Gletscherband Millionen symmetrisch sortierter Tabernakel in der einschwingenden Dämmerung wider. Dann hocken sie beide an einer Öffnung der Hütte und stieren gemeinsam schweigend so lange, bis die zu einem Orange gebrochenen Lichtpartikel in ein dunkles Photoshop-Anthrazit verschmieren und schließlich in ein Schwarz münden.
Die Hütte steht dort seit hundertfünfzig Jahren. Von der Ferne gleicht die holzige Konstruktion einem im Packeis verödeten Schiffsbug. An einem Archipel, direkt über einer senkrecht hinaufrasenden Bergwand liegt das alles festgezurrt. Der Wechsel der Jahreszeiten vollzieht sich lediglich in Nuancen, sehr ruhig und bedächtig; als würden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durch zarte Kinderfüßchen sachte und zufällig in Schwingung gehalten.
(S. 8)
© 2005, Czernin Verlag, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.