Es war ein seltsames Leben, das wir zusammen führten. Tagsüber sprachen wir fast nicht miteinander, wir hatten vor jedem Wort Angst. Oft mußte ich die Toni verstohlen anblicken, mit wehem Herzen, weil ich bei mir dachte: Das Kind ersehnt den Sieg unserer Feinde, es freut sich über jeden Schlag, der uns trifft. Die Toni ist blind, aber was wird geschehen, wenn sie wieder sehend wird?
Um diese Zeit liefen viele zu den Nazis über, aber bei den meisten wußte ich, daß sie es nur taten, weil sie sich davon einen Vorteil erhofften, und die jungen Burschen taten es, weil es ihnen Freude machte, in einer Uniform zu paradieren und großartig zu tun. Ich weiß ja nicht, wie das in anderen Ländern ist, aber wenn bei uns einer eine Uniform sieht, wird er rein verrückt. Als ob die Uniform und der Krieg unserem armen Lande nicht schon genug Böses angetan hätten.
Auch bei vielen, die seit Jahren arbeitlos waren, konnte ich es zur Not begreifen, das war eben die Verzweiflung, die sie zu den Nazis trieb: vielleicht können die uns Arbeit geben. Aber weshalb Studenten und hochgebildete Menschen zu ihnen gingen, das verstand ich nicht. Der Sohn des Notars Fachinger lief in einer SS-Uniform herum und hob auf der Straße die Hand hoch, wenn er seine Parteigenossen sah. Dabei war er ein kluger junger Mann, der in Berlin studierte; der hätte es doch besser wissen können. Was die Weiber anbelangte, so kamen sie mir recht komisch vor: meist waren es ältliche Frauenzimmer, die keinen Mann gefunden hatten, oder Witwen; die jungen unter ihnen aber hatten bestimmt einen Schatz, der Nazi war. Also, das konnte man doch nicht Überzeugung nennen. Es war mein einziger Trost, daß die Toni nicht wegen eines Burschen und nicht wegen eines Vorteiles in die Partei eingetreten war. Bei ihr war das keine Gemeinheit, sondern nur Verblendung. (S. 29)
© 2000, Promedia, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.