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Su-Jin Lee: Heimito von Doderers Roman "Die Wasserfälle von Slunj".

Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung zum österreichischen Deutsch.
Frankfurt / M. u. a.: Lang, 2000.
(= Schriften zur deutschen Sprache in Österreich. 29).
311 S.; brosch.; öS 600.-.
ISBN 3-631-36671-X.

So akademisch und wenig packend der Untertitel dieser Untersuchung klingen mag, so überraschend spannend entpuppt sich die Lektüre. Textlinguistik, verstanden als Analyse der Voraussetzungen und Bedingungen der menschlichen Kommunikation, erweist sich hier als äußerst produktiv für die inhaltliche Erschließung eines höchst komplex strukturierten erzählerischen Werkes. Der Untersuchungsgegenstand ist mit Doderes letztem vollendeten Roman "Die Wasserfälle von Slunj" ideal gewählt. Als Alterswerk, das vor dem Hintergrund des neuerwachten Österreichbewußtseins der fünfziger Jahre stofflich auf die Jugendzeit des Autors in der k. u. k. Monarchie zurückgreift, weist der Roman eine besondere Fülle von sogenannten Austriazismen auf, die gezielt für Komposition und Erzählstrategie eingesetzt werden.

Mit knappen und klaren Einführungen, die komplexe Zusammenhänge bündig und ohne überflüssige Posen darstellen, schreitet die Analyse Punkt für Punkt die sprachlichen Besonderheiten von Doderers Erzählweise ab. Das beginnt beim ersten Satz des Romans, der drei Verben in drei verschiedenen Zeitformen enthält. Darin bildet sich bereits die Spezifik des ständigen Vor und Zurück im Erzählaufbau ab, und die mitunter - etwa durch die vergleichsweise häufige Verwendung des Futur - verwirrende, immer aber spannungssteigernde Parallelführung der verschiedenen Zeitebenen der Romanhandlung (1877 bis 1910) ebenso wie der Erzählzeit (1958) und der erzählten Zeit. Die Analyse des dichten Netzwerks der Zeitangaben, ihrer Verteilung und Feinstruktur zeigt ebenso Doderers raffinierten Tempusgebrauch wie die gezielten Wechsel zwischen den Tempusgruppen und die Tempusstruktur der Anfangssätze aller 141 Abschnitte des Romans.

Daß alle Ortsreferenzen in den Romanen Doderers Toponyme, seine Romane daher als Stadtführer und Wegweiser gut verwendbar sind, ist nicht nur Doderer-Lesern bekannt. Lee liefert dazu - wie bei allen anderen Themenkomplexen - nicht nur sorgfältige und umfängliche alphabetische Auflistungen - drei Seiten mit konkreten Ortsbezügen und den zugehörigen Belegstellen zu Wien, eineinhalb Seiten zur östereichisch-ungarischen Monarchie - sondern auch eine Verquickung mit der Ebene des polyphonen Sprachgebrauchs im Roman. Der polyglotte Sprachschatz mit den vielfältigen Anleihen aus dem Französischen (der Hofsprache), den Sprachen der Donaumonarchie (Slowakisch, Ungarisch, Tschechisch etc.) und den Bildungssprachen des Bürgertums (Latein und Griechisch) erweist sich als eine Art sprachliche Landkarte, die sich über die realen Ortsreferenzen legt.

Besonders fruchtbar ist Lees textlinguistische Herangehensweise bei der Analyse des komplexeren Systems der Wiederholungen und Wiederaufnahmen im Roman. Auf der Mikroebene ist damit das permanente Spiel mit Alliteration und Binnenreim gemeint ("Bei solchem Stand der Sachen schlich sich ein Schlüssel ins Schloß"), das um des Reimes bzw. Effektes willen auch bedenkenlos zu Neuschöpfungen greift ("Tücken und Nücken"). Auf der Makroebene verwendet Doderer Wiederholungen und Wiederaufnahmen zur stereotypen Beschreibung von Personen oder Situationen. Da er dazu mit Vorliebe auffällige und sperrige Konstruktionen und Neologismen einsetzt, liegt darin einerseits das charkateristisch Ausufernde von Doderers Erzählweise, zugleich erreicht er aber mit dieser permanenten Rekurrenz auf abstruse Bilder eine enorme Erzählökonomie.

Als weitere Besonderheiten der Sprachebene untersucht Lee die Funktion des (österreichischen) Diminuitivs ebenso wie die Spezifik der Namengebung, die Tendenz zu sprachlicher Reihung und Variation (attributive und/oder-Konstruktionen, die Belegstellen füllen hier gut fünf Seiten), die Verwendung verschiedenster monarchietypischer Jargons (Beamten- und Militärsprache), die Anredeusancen und ihre feinen Töne und Untertöne, Funktion und Verteilung dialektaler Figurenrede oder das Blau als die besondere Farbe des Romans. Eine Berufsgruppenanalyse zeichnet ein schönes Bild der erfaßten Gesellschaftsbereiche, ein umfangreiches Kapitel zur Dodererschen Geruchswahrnehmungen (mit sieben Seiten Belegstellen) fehlt ebensowenig wie eine Analyse der Wortschöpfungen von verbalisierten Eigennamen bis zum Aufbau eigener Mikrokosmen rund um Neologismen wie die "Verhausmeisterung". Daß an Austriazismen "Powidltatschkerl" fast das einzige ist, das fehlt, zeigt auch das kleine angefügte Glossar, das auf den nichtösterreichischen Leser Rücksicht nimmt, aber auch für den gelernten Österreicher schöne Fundstücke enthält, sei es zum Nachschlagen (Adjutum, Boskett, Causeuse, mastodontisch), zum ins Gedächtnisrufen schöner sprechender Ausdrücke (davonzotteln, pritscheln, zeppeln) oder um bedenkenswerte Neuformungen zu entdecken (Hunzung, Umwegigkeit).

Evelyne Polt-Heinzl
9. April 2001

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