Das Flüchtlingslager Rothschildspital
Das Rothschildspital war 1945, nach dem Ende des Krieges, in einem völlig desolaten Zustand. Von diesem modernen und einstmals bedeutenden Krankenhaus war nur eine leere Hülle, ein kaum mehr funktionstüchtiges Gebäude, eigentlich nur leere Mauern, übrig geblieben. Denn das Spital, eine Stiftung der Familie Rothschild und ein wahres Paradebeispiel der österreichischen medizinischen Schule, war vor Kriegsende einige Zeit von der SS benützt und dann aller Einrichtungen beraubt, wahrhaftig entleert (Wiener würden sagen "augebandlt") worden. Um das desolate Gebäude überhaupt bewohnbar zu machen, musste es erst einmal notdürftig hergerichtet und ausgestattet werden. Nun sollte es jüdischen Flüchtlingen in der größten Not als Unterkunft dienen. Vorgesehen war allerdings nur die kurzfristige Belegung mit höchstens 500 bis 600, nur durchreisenden Flüchtlingen.
Um das Elend vor Ort wenigstens zu mildern, halfen die in Wien stationierten amerikanischen Einheiten dem "Joint" so gut sie konnten. So stellten sie aus ihren Beständen Stockbetten, die zuerst in den Schlafsälen und dann auch im Hof des Rothschildspitals aufgestellt wurden, zur Verfügung. Das in diesem Sommer glücklicherweise durchgehend schöne Sommerwetter ermöglichte das Schlafen im Freien. Sie "liehen", eigentlich schenkten sie dem "Joint" Mehl, um daraus Brot zu backen, und Konserven, um sie an die Flüchtlinge zu verteilen oder zur Bereitung von Speisen zu verwenden. Denn in dieser prekären Situation war es natürlich vor allem wichtig, die Lebensmittelversorgung zu gewährleisten.
Aber damit war es nicht getan, man musste weiterdenken, planen und überlegen: Wohin mit den Leuten? Sie konnten nicht zurück, sie konnten nicht weiter, sie konnten aber sicherlich auch in Wien nicht bleiben!
(S. 75f.)
© 2003, Vier-Viertel-Verlag, Strasshof.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.