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Eva Kollisch: Der Boden unter meinen Füßen.

Mit einem Nachwort von Anna Mitgutsch.
Aus dem Englischen von Astrid Berger.
Wien: Czernin Verlag, 2010.
176 Seiten; geb.; Euro 19,80.
ISBN 978-3-7076-0311-8.

Link zur Leseprobe

Es gibt Bücher, bei denen man sich fragt, warum sie überhaupt übersetzt worden sind. Bei Eva Kollisch wird man sich diese Frage kaum stellen. Es ist ohne Zweifel ein wichtiges Buch, das der Czernin-Verlag hier rechtzeitig zum 85. Geburtstag der Autorin und Literaturwissenschaftlerin herausgebracht hat.

Die Autorin Eva Kollisch ist dem deutschsprachigen Lesepublikum bisher kaum bekannt geworden. Sie ist die Tochter der Lyrikerin Margarete Kollisch und des Architekten Otto Kollisch, wurde 1925 in Baden bei Wien geboren, wo sie auch ihre Kindheit verbrachte, und kam 1938, nachdem der ganze Heldenplatz im dumpfen Anschluss-Gejohle "versaggerte" (Ernst Jandl), mit einem der letzten Kindertransporte nach England und dann mithilfe ihrer Eltern in die USA. Dort ließ sich die Familie in New York City nieder und sowohl die Eltern als auch die drei Kinder brachten es in den USA zu respektablem Ansehen. Eva Kollisch studierte Germanistik und unterrichtete lange Jahre am New York City College. Sie war zweimal verheiratet und hat einen Sohn.

Die Autorin hat bereits einen viel beachteten Roman mit dem Titel Mädchen in Bewegung (2000 / dt. im Picus Verlag 2003) veröffentlicht, in dem sie über ihre trotzkistisch bewegte Jugend im Amerika der Nachkriegszeit schreibt. Das nun in Übersetzung erschienene neue Buch, im englischen Original 2008 veröffentlicht, ist ein autobiographischer Roman über die entscheidenden Ereignisse im Leben der Autorin. Einen wesentlichen Teil nehmen dabei die Kindheit und Jugend Kollischs in Baden ein. In eindringlicher und ergreifender Weise schildert sie die Grausamkeit und Alltäglichkeit des Judenhasses selbst unter Kindern, der ihr und ihren Brüdern das Leben zu einer wahren Hölle auf Erden machte. Und man schaudert wieder einmal angesichts der Brutalität, mit der in Österreich Menschen degradiert und gepeinigt wurden, die nicht nur sozial vollkommen integriert waren, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Kultur dieses sich so viel auf seine Kultur einbildenden Landes lieferten.

Kollischs Buch nähert sich diesem schwierigen Thema in einer einfachen und doch sehr reflektierten Art und Weise. Immer wieder werden im Erzähltext die Erinnerungen der Erzählerin in Frage gestellt und die Reaktionsweisen des kleinen Mädchens, das sie einmal war, nachträglich korrigiert. Und doch bleibt das Kind, von dem hier erzählt wird, auf seine Weise unbescholten. Es hatte ein Recht, so zu fühlen und so zu sein, wie es war, auch wenn seine Reaktionen und Gefühle durch psychologisch relativ leicht benennbare Mechanismen viele Jahre später einfach wegerklärt werden können.

Die berührendsten Kapitel des Buches sind sicher diejenigen über die Judenverfolgung im ländlichen Baden, ohne die die Biographie der Autorin kaum so ausgesehen hätte, wie sie schließlich aussah. Und doch sticht ein Kapitel heraus, das dem Buch eine deutlich andere Stoßrichtung verleiht. Während es in Ruth Klügers Autobiographie weiter leben die Figur der Mutter ist, mit der die Ich-Erzählerin ihre wesentlichen Reibungspunkte erfährt, ist es im Buch von Eva Kollisch vor allem der Vater, der den Reibebaum abgibt. Mit der Darstellung der zwischen Brutalität und Zärtlichkeit gespaltenen Vaterfigur entledigt sich das Buch nicht nur des Vorwurfes der Schwarz-Weiß-Malerei, sondern es gewinnt zugleich an Tiefe und Authentizität, die auch vor der Fehlbarkeit der Eigenen nicht halt macht.

Kollischs Buch ist, nicht zuletzt, auch ein sehr poetisches Buch, in dem über die Möglichkeiten des Schreibens reflektiert wird und Formen der literarischen Distanznahme zugleich auch unmittelbar angewendet werden, etwa durch Perspektivwechsel aus der Ich- in die Sie-Perspektive. In dem erwähnten Vater-Kapitel findet sich auch ein sehr gelungenes Beispiel für die poetische Erfindungsgabe der Autorin, in dem der Vater der Ich-Erzählerin ihr einige Jahre nach seinem Tod in der Gestalt eines Fisches in einem Pariser Aquarium wieder begegnet und für seine Ungerechtigkeiten um Vergebung bittet. Die Versöhnung mit dem Vater und – durch im Anhang des Buches abgedruckte Briefe der beiden Elternteile aneinander aus der Zeit unmittelbar vor der Emigration, als der Vater schon in den USA war, die Mutter aber noch in Wien festsaß – auch mit der Mutter, nimmt als einschneidendes Erlebnis der eigenen Biographie in dem Buch eine ganz zentrale Stellung ein.

Ohne dieses Erlebnis wäre ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Selbstfindung der Autorin wohl nicht möglich gewesen, nämlich das Bekenntnis zu ihrer Homosexualität, ein Schritt, der in dem Text wie der logische Endpunkt einer Entwicklung erscheint, die in den oft heftig geführten Auseinandersetzungen mit dem Eigenen und Fremden im provinziellen Baden der Zwischenkriegszeit ihren Anfang nahm.

 

Nicole Streitler
24. August 2010

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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