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Leseprobe: Günter Eichberger - "Vom Heimweh der Sesshaften."

Wenn ich.
Wenn ich vielleicht.
Dürfte ich?
Darf ich?
Mich?
Ich muß mich sammeln. Da ist ein Stück von mir und dort. Immer übersehe ich etwas. Nie bin ich ganz.
Darf ich mich vorstellen? Mir mich vorstellen?
Das wird schwierig. Ich sehe schon. Sehe schwarz. Ein schönes Stück Arbeit. Und wo beginnen?
Vielleicht stelle ich zuerst die anderen vor. Ich bin nämlich nicht allein. Obwohl das von manchen bestritten wird.
So kommen wir nicht voran.
Da hätten wir einmal mich. Ich bin der und der. Ich mache das und das. Und früher hatte ich auch schon diesen Namen. Diesen Gerüchten soll man keinen Glauben schenken. Damit hatte ich nichts zu tun. Das war in Wirklichkeit ganz anders. Dagegen muß ich mich ganz energisch. Und so weiter.
Die Zeit? Eine zukünftig vergangene Gegenwart. Vielleicht verrate ich damit zuviel.
Die Frage nach dem Ort lassen wir vorläufig offen.
Damit ist schon einiges gesagt. Und wir verabschieden uns in ein ausgedehntes Schweigen. (S. 9)

Ich spielte eine taubstumme Geisha in der Komödie "Doppelselbstmord in Tokio", einen ungeschickten Teezeremonienmeister im gesellschaftskritischen Lustspiel "Drei Stück Zucker", einen magenkranken Samurai im historischen Schwank "Massaker im Freudenhaus von Kyoto" und einen entsprungenen, ausgesprochen trunksüchtigen Mönch im Lehrstück "Sippen-Seppuku am Biwa-See". Dann wurde mein Stammhaus auf Befehl des Shogun geschlossen. Die halbe Stadt hatte sich in der letzten Spielzeit entleibt, so ernst wurde das Theater genommen. Damals war es noch nicht Vorschrift, Waffen an der Garderobe abzugeben. Wenn sich auf der Bühne jemand erstach oder sonstwie meuchelte, ertönte alsbald ein röchelndes Echo aus den Logen. Üblicherweise wartete das Publikum geduldig bis zum Aktschluß, um sich rituell abzuschlachten. Das Parkett schwamm im Blut, rot tropfte es von der Galerie. Bei manchen Vorstellungen rührte sich keine Hand zum Schlußapplaus, weil sich keine lebende Seele unter den Zuschauern befand. Das waren die größten Triumphe unserer Direktion. Lauter Pyrrhus-Erfolge, lauter Kamikaze-Siegeszüge, die uns der Katastrophe näherbrachten. Sämtliche Stücke mit letalen Titeln wurden verboten. Also mußten erst wieder welche geschrieben werden. In Zukunft sollte wieder fürs Vaterland gestorben werden, nicht aus Rührung oder Überschwang. Die Schauspieler wurden zum Heer eingezogen. So wurde ich Samurai. Und blieb doch Schauspieler, indem ich die grausame Würde der Kriegertugenden verkörperte. In meiner Militärdienstzeit nahm ich die Gewohnheit an, mich mit Sake zu erfrischen. Damals war mein Glas nie leer. Wir Götter leben gerne in der Vergangenheit. Damals galten unsere Namen noch etwas. Wenn ich mich heute jemandem als neunköpfiger Drachengott von Owase vorstelle, lacht er mich womöglich aus. Die Wahrheit klingt immer lächerlich. Ich wiederhole mich. Hole mich wieder hervor. Warum immer neue Sätze für denselben Mund? Als Schauspieler habe ich Abend für Abend dieselben Sätze gesprochen. Von der Sprache meines Körpers ganz zu schweigen. Die Gesten sind vorgeschrieben. Keine Abweichungen, Abweichungen zerstören alles. Meine Rolle steht fest. Was ich sage, ist vorformuliert. Als Samurai handelt man am besten, als sei man schon tot. Keine Rücksicht auf sich nehmen. Als der Shogun starb, war es unsere Pflicht, ihm in den Tod zu folgen. Ich befand mich damals gerade auf Schwangerschaftsurlaub und konnte dieses ehrenvollste aller Opfer nicht bringen. Alle meine Kameraden öffneten sich den Bauch, während ich mich gebar. Selig hielt ich mich im Arm. So ein schönes Kind. (S. 72f.)

© 1998, Styria, Graz, Wien, Köln.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

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