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Leseprobe: Julya Rabinowich - Spaltkopf.

Ich sitze mit meinen Eltern, meiner Großmutter Ada und meiner Puppe im Flugzeug. Alle Beteiligten sind erstarrt (im Stand-by-Modus). Die Mozartkugel in meiner Hand schmilzt, aber das bunte Papier erscheint mir zu wertvoll, um es aufzureißen, ich habe so etwas noch nie gesehen.
Ich bin überzeugt von der Richtungsangabe meiner Eltern: Wir befinden uns auf einer Urlaubsfahrt Richtung Litauen. Kurz vor der Landung entstehen darüber Meinungsverschiedenheiten: Ein anderes Kind ist nicht von der fixen Idee abzubringen, dass wir nach Wien fliegen. Ich soll unrecht behalten.
Das Klo ist ein Palast und die Kaugummiautomaten Versprechen einer neuen schönen Welt. Wir leben zu viert in einem Hotelzimmer, das sich in einem Bordell zu befinden scheint. Ich habe deswegen Einzelhaft und darf nicht hinaus.
Mein Vater und ich bekommen einen Nervenzusammenbruch, weil er mir im Laufe eines einzigen Abends drei Jahre Kommunismussozialisation austreiben will und ich es nicht fassen kann, dass Lenin, der Freund aller Kinder, dessen Anstecker noch immer an meinem Kleid prangt (im Reisefieber untergegangen), ein Arschloch sein soll.
Was mein Vater nicht schafft, bewirkt der Anblick einer Barbiepuppe. In fünf Minuten. Ich bin vom Westen überzeugt. Ich soll es lange bleiben.
Jahre später noch kann ich mich kaum daran erinnern, nicht hier geboren worden zu sein. Ich bin bereit, ein besseres Deutsch zu sprechen als meine Klassenkollegen. Ich bin bereit, freiwillig in den katholischen Religionsunterricht zu gehen, während die türkischen Kinder früher heimgehen können. Ich bin bereit, Gebete, deren Worte mir anfangs nicht klar sind, nachzuäffen. Später werden es andere Dogmen sein. Ich bin bereit, für den Rückhalt in einer Gruppe – so sie nicht zu groß ist – auch Teufels Großmutter aufzusuchen, und sei es nur auf LSD. Ich bin bereit, das Doppelte meiner Einnahmen für eigenwillige Kleidung auszugeben, um mich anschließend bei meiner Arbeit von quälenden Geldsorgen stören zu lassen.
Das Anrüchige einer kleinen Immigrantin ist nicht mal mit Chanel abzuwaschen. Ein Verlust ist sofort – instant – wiedergutzumachen. Die Leere darf nicht einen wahrnehmbaren Moment lang aufklaffen.
Ich kaufe ein, als mein Vater stirbt.
Ich kaufe ein, als ich mich von meinem ersten Freund trenne.

( S. 10 f)

© 2011 Deuticke Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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