Die Juden unter Klaudius (41-54 n. Chr.)
(XIX 1-4) In den Wirren um die Nachfolge des ermordeten Gajus Kaligula – der Senat war für Wiederherstellung der Republik, die Prätorianer und das Volk für Gajus’ Oheim Klaudius eingetreten – hatte König Agrippa Klaudius unterstützt. (5) Zum Dank dafür bestätigte ihm Klaudius nach seiner Thronbesteigung nicht nur die Gebiete, die ihm Gajus verliehen hatte, sondern fügte außer anderem auch noch Judäa und Samaria hinzu und schloß mit ihm auf dem Forum ein Bündnis.
Um diese Zeit brachen die Streitigkeiten zwischen Juden und Griechen in Alexandria aufs neue aus, und bald griff man zu den Waffen. Klaudius befahl dem Statthalter von Ägypten, diese Unruhen zu unterdrücken, und sandte außerdem auf Bitte des Königs Agrippa folgendes Edikt nach Alexandria: „Tiberius Klaudius Cäsar Augustus Germanikus Pontifex maximus verordnet hiermit wie folgt: In Erwägung, daß die Juden, die in Alexandria wohnen, zugleich mit den ersten Alexandriern dort angesiedelt sind und von den Königen gleiches Bürgerrecht mit diesen erhalten haben, wie dies aus deren Erlassen hervorgeht; sodann in Erwägung daß nach der durch Augustus vollzogenen Einverleibung der Stadt Alexandria in unser Reich den Juden ihre Rechte von den jeweiligen Statthaltern nicht verkürzt oder bestritten worden sind; ferner in Erwägung daß, als unter dem Statthalter Aquila der jüdische Ethnarch von Alexandria gestorben war, Augustus die Wahl eines neuen nicht verboten hat, weil er wollte, daß seine Untertanen ein jeder nach seinen eigenen Bräuchen leben und der Religion seiner Väter treu bleiben dürfte; endlich in Erwägung daß die Erhebung der Alexandrier gegen die bei ihnen wohnenden Juden noch in die Zeit des Kaisers Gajus fällt, der in seinem ungeheuren Wahnsinn das jüdische Volk unterdrückte, weil es nicht von seiner Religion abfallen und ihn nicht als Gott anerkennen wollte, will ich nicht eins der dem jüdischen Volke gemachten Zugeständnisse wieder aufheben, sondern ihnen alle früheren Rechte nebst der Freiheit, nach ihrer Religion zu leben, bestätigen. Desgleichen befehle ich, daß nach Bekanntgabe dieses meines Ediktes von beiden Seiten alles vermieden werde, wodurch neue Unruhen entstehen könnten.“ Gleichzeitig erging auch an alle übrigen Länder des Erdkreises ein Schreiben ähnlichen Inhalts.
(6) Als Agrippa in Jerusalem angekommen war, brachte er Dankopfer dar und ließ keine der gesetzlichen Vorschriften außer acht. Auch ließ er viele Nasire scheren[1] und hängte die goldene Kette, die Gajus ihm geschenkt hatte, im Tempel über der Schatzkammer auf zum Zeugnis dafür, daß die höchste Macht vor dem Zusammenbruch nicht sicher ist und daß Gott den Gedemütigten wieder aufzurichten vermag. Darauf entsetzte er den Hohepriester seines Amtes und übertrug es einem anderen Als bald danach einige übermütige junge Leute in der jüdischen Synagoge zu Dora ein Standbild des Kaisers aufstellten, veranlaßte Agrippa Petronius, den Statthalter von Syrien, gegen die Schuldigen einzuschreiten.
(7) Darauf verstärkte Agrippa die der Neustadt zugekehrten Mauern Jerusalems auf Staatskosten, indem er sie dicker und höher machte. Er hätte sie sogar so stark gemacht, daß sie jedem feindlichen Ansturm getrotzt hätten, wenn nicht der Statthalter von Syrien dem Kaiser das Unternehmen angezeigt hätte. Da dieser der Sache nicht recht traute, so befahl er Agrippa, unverzüglich den Bau der Mauer einzustellen; und dieser hielt es für das Geratenste, sich zu fügen.
Agrippa suchte durch große Freigebigkeit die Liebe seiner Untertanen zu erwerben. Auch wohnte er gern und dauernd in Jerusalem, beobachtete die Satzungen der väterlichen Religion gewissenhaft und ließ keinen Tag ohne Darbringung der gesetzlichen Opfer vorübergehn. Dennoch wagte, als Agrippa einst nach Cäsarea gereist war, ein gewisser Simon aus Jerusalem, der im Rufe eines tüchtigen Gesetzeskundigen stand, den König vor versammeltem Volke zu beschuldigen, er sei nicht fromm und des Zutritts zum Tempel, der nur Reinen offen stehe, nicht würdig. Als der König dies durch den Stadtkommandanten erfahren hatte, ließ er Simon zu sich kommen und im Theater, wo er sich gerade befand, an seiner Seite Platz nehmen. Dann fragte er ihn mild und gütig: „Sag mir doch, ob hier etwas gegen das Gesetz geschieht!“ Simon wußte nichts zu erwidern und bat um Verzeihung. Dies gewährte ihm der König; denn er war der Meinung, daß einem Könige Sanftmut mehr zieme als Zorn.
Nachdem Agrippa schon viele Bauwerke errichtet hatte, bedachte er Beryt besonders freigebig. Hier ließ er nämlich ein Theater aufführen, das an Pracht und Schönheit viele andre überragte, sowie ein großes Amfitheater, Bäder und Säulenhallen. Zur Einweihung dieser Bauwerke entfaltete er den glänzendsten Pomp. Im Theater wurden Festspiele aufgeführt und alle möglichen musikalischen und dichterischen Genüsse geboten. Im Amfitheater aber bewies der König durch die Menge der Gladiatoren seine Freigebigkeit. Um auch das Schauspiel eines Massenkampfes vorführen zu können, ließ er zwei Kohorten von je siebenhundert Mann sich gegenseitig angreifen. Hierzu hatte er alle Verbrecher, über die er verfügte, aufgeboten; und indem so der Krieg als Friedensbelustigung diente, wurden zugleich die Übeltäter mit einem Schlage ausgerottet.
(8) Nach diesen Feierlichkeiten in Beryt begab sich Agrippa nach Tiberias in Galiläa. Dort suchten ihn fünf benachbarte Könige auf. Noch während ihrer Anwesenheit erschien aber auch Marsus, der neue Statthalter von Syrien, dem diese Vertraulichkeit verdächtig vorkam. Agrippa zog ihm sieben Stadien weit aus der Stadt entgegen. Marsus aber befahl den Königen, ungesäumt in ihre Heimat zurückzukehren. Darüber ärgerte sich Agrippa gewaltig und war fortan mit Marsus verfeindet.
Im dritten Jahre seiner Herrschaft über Judäa begab sich Agrippa nach Cäsarea, um dort zu Ehren des Kaisers Schauspiele zu geben. Hierzu strömte eine große Zahl angesehener Juden aus dem ganzen Lande zusammen. Am zweiten Tage kam Agrippa schon frühmorgens in einem mit Silberfäden durchwirkten Gewande ins Theater. Als nun das Silber, von den ersten Strahlen der Sonne getroffen, aufleuchtete, riefen ihm seine Schmeichler von allen Seiten zu: „Sei uns gnädig! Haben wir dich bislang nur wie einen Menschen gefürchtet, so wollen wir fortan bekennen dass du ein mächtiger bist als sterbliche Wesen.“ Der König wies ihre gotteslästerlichen Schmeicheleien nicht zurück. Da sah er plötzlich über sich auf einem Seil den Uhu sitzen, den er einst als Gefangener Kaligulas gesehen und von dem damals ein mitgefangener Germane ihm geweissagt hatte, er müsse, wenn er ihn wiedersähe, in fünf Tagen sterben. Tatsächlich stellten sich bald in seinem Leibe heftige Schmerzen ein, die ihn von Anfang an in unerträglicher Weise folterten. Schnell wurde er in seinen Palast gebracht; und bald verbreitete sich das Gerücht, er liege im sterben. Sofort warf sich das ganze Volk samt Frauen und Kindern nach väterlicher Sitte auf Teppiche nieder, um für die Genesung des Königs zu Gott zu beten, und überall erhob sich Jammer und Klage. Fünf Tage lang ertrug er die Qual in seinen Eingeweiden, bis ihn endlich der Tod erlöste. Er starb im vierundfünfzigsten Jahre seines Lebens, im siebten seiner Regierung. Obwohl er aus seinem Reiche zwölf Millionen Drachmen bezog; mußte er doch viele Anleihen machen, denn Sparsamkeit war ihm gänzlich fremd. (9) Er hinterließ einen siebzehnjährigen Sohn gleichen Namens und drei Töchter, deren älteste, die sechzehnjährige Bernike, mit dem Bruder ihres Vaters, Herodes von Chalkis, vermählt war.
Als Agrippas Tod bekannt wurde, vergaßen die Bewohner von Cäsarea und Sebaste seine Wohltaten bald vergessen und benahmen sich wie seine schlimmsten Feinde. Sie überhäuften den Verstorbenen mit Schmähungen, drangen in seinen Palast ein, raubten die Standbilder seiner Töchter, brachten sie in geschlossenem Zuge in Bordelle und stellten sie dort auf den Dächern auf. Auf den öffentlichen Plätzen aber hielten sie mit bekränztem Haupt und nach Salben duftend große Gelage, wobei sie dem Charon[2] opferten und sich einander vor Freude über des Königs Tod zutranken.
Des Verstorbenen Sohn Agrippa befand sich damals in Rom, wo er am Hofe des Kaisers Klaudius erzogen wurde. Als nun der Kaiser erfuhr, der alte Agrippa sei aus dem Leben geschieden, wollte er sofort den jungen als Nachfolger seines Vaters heimschicken. Doch rieten ihm seine Freigelassenen und Freunde, die großen Einfluß auf ihn hatten, davon ab und stellten ihm vor, wie gefährlich es sei, einem jungen, kaum dem Knabenalter entwachsenen Menschen ein so großes Reich anzuvertrauen, das selbst eines rüstigen Mannes ganze Kraft in Anspruch nehme. Dies leuchtete dem Kaiser ein, und er ernannte deshalb Kuspius Fadus zum Prokurator über Judäa und das ganze Reich Agrippas; (XX 1) doch behielten die Juden auf Fürsprache des jungen Agrippa das heilige Gewand und den Turban des Hohenpriesters und bekam Herodes von Chalkis, der Bruder des verstorbenen Agrippa, die Aufsicht über den Tempel und die heiligen Gelder sowie die Vollmacht, die Hohenpriester zu ernennen.
(2) Um diese Zeit nahmen Königin Helena von Adiabene[3] und ihr Sohn Izates den jüdischen Glauben an. Izates hatte diesen durch einen jüdischen Kaufmann namens Ananias, Helena durch einen andern Juden kennen gelernt. Da aber Izates sich für keinen vollkommenen Juden hielt, solange er sich nicht hätte beschneiden lassen, so war er auch hierzu entschlossen. Seine Mutter jedoch, der dies zu Ohren kam, suchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen und gab ihm zu bedenken, in wie große Gefahr er dadurch geraten würde; es müsse ja bei seinen Untertanen lebhaften Unwillen erregen, wenn sie vernähmen, daß er fremden, ihnen widerwärtigen Bräuche huldige, und sie würden gewiß nicht zugeben, daß ein Jude über sie herrsche. Izates teilte ihre Äußerungen Ananias mit; dieser billigte wider Erwarten die Ansicht der Helena und drohte, seinen Hof zu verlassen, wenn er nicht gehorche. Er, Ananias, müsse Gefahr für sein eigenes Leben fürchten, wenn die Sache an die Öffentlichkeit käme; denn man würde ihm den Vorwurf machen, den König dazu verleitet zu haben. Izates könne Gott auch ohne Beschneidung verehren, wenn er nur sonst das von den Vätern ererbte Gesetz der Juden befolge, was viel wichtiger sei als die Beschneidung. Gott selbst werde ihm wohl gern nachsehen, wenn er die Beschneidung unterließe, weil er Rücksicht auf seine Untertanen nehmen müsse. Durch diese Worte ließ der König sich einstweilen bereden; danach aber machte ein aus Galiläa gekommener Jude namens Eleazar, der für besonders gesetzesstreng galt, sein Verlangen nach der Beschneidung wieder rege. Als dieser nämlich den König beim Lesen des Mosaischen Gesetzes antraf, sagte er zu ihm: „Es ist nicht genug, das Gesetz zu lesen; du mußt auch all seine Vorschriften befolgen. Wie lange willst du noch ohne Beschneidung bleiben?“ Als der König ihn so reden hörte, war er sogleich entschlossen, nicht länger zu säumen. Er begab sich in ein andres Gemach und ließ durch einen Arzt die Vorschrift des Gesetzes an sich vollziehen. Darauf ließ er seine Mutter und seinen Lehrer Ananias rufen und teilte ihnen mit, was er getan. Beide ängstigten sich nicht wenig; Gott aber ließ ihre Befürchtungen nicht Wirklichkeit werden; denn aus allen Gefahren, in denen Izates schwebte, rettete er ihn und seine Kinder und zeigte ihnen, daß die zu Gott aufschauen und auf ihn allein ihr Vertrauen setzen den Lohn ihrer Frömmigkeit sicher erwarten dürfen.
Als nun des Königs Mutter Helena sah daß im ganzen Reiche Frieden herrschte, regte sich in ihr das Verlangen, nach Jerusalem zu pilgern, den in aller Welt berühmten Tempel Gottes zu verehren und Dankopfer darzubringen. Dazu bat sie ihren Sohn um seine Einwilligung. Die erteilte ihr er gern und versah sie reichlich mit Geld. So konnte sie nach ihrer Ankunft in Jerusalem, das damals von einer furchtbaren Hungersnot heimgesucht wurde, wirksam helfen, indem sie in Alexandria große Mengen Getreide und in Cypern eine Schiffsladung Feigen aufkaufen ließ.
(3) Auch seine fünf Söhne schickte Izates nach Jerusalem, um die Landessprache und die jüdischen Bräuche gründlich zu lernen. (4) Als er im 25. Jahre seiner Regierung starb und nicht lange danach seine Mutter ihm im Tode folgte, ließ sein Bruder, den er zu seinem Nachfolger ernannt hatte, die Gebeine der beiden nach Jerusalem bringen und in den Pyramiden beisetzen, die seine Mutter dort, drei Stadien von der Stadt entfernt, hatte bauen lassen.
(5) Noch während Fadus Prokurator von Judäa war, bewog ein Betrüger namens Theudas eine große Menschenmenge, ihm unter Mitnahme ihrer gesamten Habe an den Jordan zu folgen[4]. Er gab sich nämlich für einen Profeten aus und behauptete, er könne durch sein Machtwort die Fluten des Jordans teilen und seinem Gefolge einen bequemen Durchgang ermöglichen. Durch solche Vorspiegelungen gelang es ihm, viele zu täuschen. Fadus aber sandte eine Abteilung Reiter gegen sie aus, die unversehens über sie herfiel und viele von ihnen tötete. Theudas geriet in Gefangenschaft und wurde enthauptet, sein Kopf nach Jerusalem gebracht.
Auf Fadus folgte Tiberius Alexander, Sohn des Alabarchen[5] Alexander zu Alexandria, der an Adel und Reichtum alle dort wohnenden Juden und an Frömmigkeit seinen Sohn weit übertraf, da dieser den väterlichen Bräuchen und Satzungen nicht treu geblieben war. Tiberius Alexander ließ Jakob und Simon, Söhne des Galiläers Judas, ans Kreuz schlagen, der, wie oben erwähnt, während der Schätzung des Quirinius das Volk zum Aufruhr verleitet hatte. Nach kurzer Amtsdauer wurde Alexander durch Kumanus ersetzt.
In diese Zeit fällt auch der Tod des Herodes von Chalkis, des Bruders Agrippas I. Sein Reich übergab Kaiser Klaudius dem jüngeren Agrippa[6].
Unter Kumanus brach in Jerusalem ein Aufstand aus, bei der viele Juden umkamen. Als nämlich das Passahfest bevorstand und eine ungeheure Menschenmenge dazu herbeiströmte, fürchtete Kumanus, es könnten Unruhen entstehn. Er gab deshalb einer Kohorte Soldaten den Befehl, in Wehr und Waffen die Säulenhallen des Tempels zu besetzen, um etwa ausbrechende Unruhen im Keime zu ersticken. Das hatten auch die früheren Prokuratoren an hohen Festen stets getan. Am vierten Tage des Festes ließ sich nun ein Soldat beifallen, der Menge seinen Scham zu zeigen. Hierüber geriet die Menge in Erbitterung und schrie, das sei nicht nur eine Frechheit gegen sie, sondern ein Frevel gegen Gott gewesen. Als Kumanus den Vorfall erfuhr, war auch er nicht wenig darüber empört; doch bat er die Juden, keinen Aufruhr während des Festes anzuzetteln. Da man aber nicht auf ihn hörte, sondern ihn nur mit noch heftigeren Schmähungen überhäufte, so ließ er seine ganze Streitmacht in die den Tempel beherrschende Burg Antonia rücken[7]. Bei ihrem Anblick erschrak das Volk und ergriff die Flucht. Weil aber die Straßen eng waren und die Juden sich verfolgt glaubten, so entstand ein fürchterliches Gedränge, in dem viele erdrückt wurden. Die Zahl der auf diese Weise Umgekommenen betrug an zwanzigtausend, und so wandelte sich die Festesfreude in tiefe Trauer. Opfer und Gebete waren vergessen, und die Stadt hallte wider von Jammer und Wehklage. So großes Unheil brachte der Mutwille eines einzigen Soldaten über die Juden.
Noch war dies Leid nicht vergessen, als auch schon ein anderes Unheil hereinbrach. Einige Umstürzler nämlich griffen auf offner Landstraße, hundert Stadien von den Stadt entfernt, einen Sklaven des Kaisers an und raubten ihm alles was er bei sich hatte. Als Kumanus dies erfuhr, schickte er sofort Soldaten ab mit dem Befehl, die benachbarten Dörfer zu plündern und die Angesehensten aus diesen ihm gefesselt vorzuführen, damit er sie zur Verantwortung ziehen könnte. Bei der Plünderung fand nun ein Soldat in einem Dorfe ein Mosaisches Gesetz und zerriß es vor aller Augen unter allerlei Verhöhnungen und Schmähungen. Als die Juden dies erfuhren, rotteten sie sich zusammen, zogen nach Cäsarea zu Kumanus und baten ihn, er möge nicht ihnen sondern Gott Genugtuung verschaffen; sie wollten lieber ihr Leben lassen als das Gesetz ihrer Väter so verhöhnt sehen. Da Kumanus fürchtete, es könnte zu neuen Unruhen kommen, so ließ er auf den Rat seiner Freunde den Soldaten, der das Gesetz verhöhnt hatte, mit dem Beil hinrichten; hierdurch gelang es ihm, die Erregung der Juden zu beschwichtigen.
(6) In der Folge kam es zu Feindseligkeiten zwischen Juden und Samariern, und zwar aus folgender Veranlassung: Die Galiläer pflegten, wenn sie zu den Festen nach Jerusalem zogen, ihren Weg durch Samaria zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit wurden sie einmal von Bewohnern eines Dorfes, das an der Grenze zwischen Samaria und der großen Ebene[8] lag, überfallen, und es kamen viele von ihnen um. Daraufhin begaben sich die angesehensten Galiläer zu Kumanus und baten ihn, den Tod der Gemordeten zu rächen. Kumanus aber ließ sich von den Samariern bestechen und schenkte den Klagen der Galiläer keine Beachtung.
Hierüber erbittert, riefen diese das ganze jüdische Volk zu den Waffen, nahmen auch den Räuber Eleazar, der sich schon eine Reihe von Jahren im Gebirge umhertrieb, zu Hilfe und äscherten einige samarische Dörfer ein. Als Kumanus dies erfuhr, zog er mit der Sebastener Schwadron, vier Kohorten zu Fuß und den bewaffneten Samariern gegen die Juden und machte eine Menge von ihnen nieder, mehr noch zu Gefangenen. Als die Obersten zu Jerusalem sahen, in wie große Not sie geraten waren, zogen sie Trauerkleider an, bestreuten ihr Haupt mit Asche und beschworen die Aufständischen aufs dringendste, im Hinblick auf das was ihnen drohte: die Zerstörung ihrer Vaterstadt, die Einäscherung des Tempels und ihre und ihrer Frauen und Kinder Wegführung in die Sklaverei, von ihrem Vorhaben abzulassen, die Waffen wegzuwerfen und ruhig nach Hause zu gehen. Diesen Vorstellungen fügte man sich: die Menge ging auseinander, und die Räuber zogen sich wieder in ihre Schlupfwinkel zurück. Doch blieb Judäa fortan der Schauplatz räuberischer Überfälle.
Die Häupter der Samarier aber wandten sich nun an den Statthalter von Syrien, Quadratus, und klagten die Juden wegen Plünderung und Einäscherung samarischer Dörfer an. Nach eingehnder Untersuchung erklärte Quadratus die Samarier für schuldig. Als er aber hörte, unter den Juden seien wieder aufrührerische Gelüste bemerkbar, ließ er die Rädelsführer und die von Kumanus gefangenen Juden ans Kreuz schlagen und schickte den Hohenpriester Ananias und den Oberbefehlshaber des jüdischen Heeres gefesselt nach Rom, damit sie dort vor dem Kaiser Rechenschaft ablegten. Auch den Obersten der Juden und Samarier sowie dem Prokurator Kumanus befahl er, sich nach Italien zu verfügen, um ihre Klagen vor den Richterstuhl des Kaisers zu bringen. Er selbst begab sich, da er einen neuen Aufstand der Juden befürchtete, nach Jerusalem, kehrte aber, als er das Volk ruhig bei der Feier eines religiösen Festes versammelt fand, nach Antiochia zurück.
In Rom verwandten sich die Freigelassenen und Freunde das Kaisers angelegentlich für Kumanus und die Samarier; und diese hätten gewiß Recht bekommen, wenn nicht auf Bitten des jüngeren Agrippa Agrippina, des Kaisers Gattin, sich bei diesem für die Bestrafung der wirklich Schuldigen eingesetzt hätte. So erkannte Klaudius in den Samarieren die Urheber der gesamten Feindseligkeiten und ließ die von ihnen, die zu ihm gekommen waren, hinrichten, den Kumanus aber verbannte er.
(7) Darauf sandte der Kaiser Felix, den Bruder des Pallas,[9] als Prokurator nach Judäa und überwies im 13. Jahre seiner Regierung dem Agrippa die Tetrarchie des Filippus nebst einigen angrenzenden Gebieten, nahm ihm aber Chalkis, über das er vier Jahre geherrscht hatte.
Nun vermählte Agrippa seine Schwester Drusilla mit König Aziz von Emesa, nachdem dieser sich zur Annahme der Beschneidung bereit erklärt hatte. Nicht lange nachher aber löste sich Drusillas Ehe aus folgendem Anlaß: Felix, der Prokurator von Judäa, hatte Drusilla, die sich durch hohe Schönheit auszeichnete, kaum gesehen, als er auch schon in heftiger Liebe zu ihr entbrannte. Er schickte daher einen ihm befreundeten Juden zu ihr und ließ ihr zureden, ihren Gatten zu verlassen und sich mit ihm zu vermählen; wenn sie ihn nicht verschmähe, werde er sie glücklich machen. Drusilla ließ sich wirklich zur Übertretung ihres väterlichen Gesetzes verleiten und vermählte sich mit Felix.
Erklärungen
[1] D. i. er trug die Kosten für das Scheren vgl. Apostelgeschichte XXI 24!
[2] Dem Fährmann, der nach griechischem Glauben die Seelen der Verstorbenen über die Styx in die Unterwelt fuhr.
[3] Land östlich des mittleren Tigris.
[4] Um dann die Römer zu vertreiben und das Reich Gottes aufzurichten. Das sagt Josefus aber hier ebenso wenig wie in XVIII 4 und in XX 8, wo er die jüdischen Freiheitskämpfer schlechthin Räuber und die Führer messianischer Volkserhebungen Gaukler und Betrüger nennt.
[5] Wohl aus Arabarchen entstellt und den Oberzollaufseher auf der arabischen (östlichen) Seite des Nils bezeichnend. Vgl. Kapitel „Die Juden unter Gajus Kaligula“, Fußnote 1!
[6] Dieser wird zugleich auch die Rechte bekommen haben, die sein Cheim nach XX 1 besessen hatte, d. i. die Aufsicht über den Tempel und die Verfügung über das Hohepriesteramt. Jedenfalls hat Agrippa fortan bis zum Ausbruch des Jüdisch-römischen Krieges alle Hohenpriester ernannt: und daß ihm irgendwann die Aufsicht über den Tempel anvertraut war, ist XX 10 nachträglich erwähnt.
[7] Vorher wird er sich mit ihr im Palast des Herodes und in den dazu gehörigen drei Türmen (Krieg V 4 II 14) aufgehalten haben.
[8] Jesrael.
[9] Pallas und Felix waren Freigelassene (also ehemalige Sklaven) der Mutter des Klaudius, Antonia; Pallas ein Günstling des Klaudius und später auch an Neros Hofe sehr mächtig. Daß ein Freigelassener eine Prokuratur bekam, die mit einem militärischen Kommando verbunden war, war ganz ungewöhnlich. Aber die Kaiser liebten es, die Macht des unabhängigen alten, republikanisch gesinnten Adels durch die Erhebung eigener, von ihnen abhängiger Kreaturen zu brechen. Der Geschichtsschreiber der älteren Kaiserzeit, Tacitus, der diese Entwicklung zum absolutistischen Beamtenstaat mit Ingrimm betrachtete, urteile in seinen Historien V 9 über Felix bitter: „Klaudius überließ die Provinz Judäa römischen Rittern und Freigelassenen, von denen Antonius Felix voll Grausamkeit und Wollust ein Königsrecht mit knechtischer Gesinnung ausübte.“