Reiche und Arme
(Lk XII 13) Einer aus der Menge bat ihn: „Meister, sag doch meinem Bruder, daß er das Erbe mit mir teile!“ (14) Jesus erwiderte: „Mann, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler über euch gesetzt? (15) Hütet euch vor aller Habsucht! denn selbst durch Überfluß an Hab und Gut kann niemand sein Leben sichern.“
(16) Und er erzählte ihnen ein Gleichnis: „Es war einmal ein reicher Man, dessen Feld hatte gut getragen. (17) Da überlegte er: „Was soll ich tun? ich weiß nicht, wo ich meine Ernte lassen soll. (18) Dies will ich tun: meine Scheunen abreißen und größere bauen, all mein Korn und meine Habe hineintun (19) und zu mir selbst sagen: Du hast nun Vorrat für viele Jahre; ruh dich aus, iß und trink und sei guter Dinge!“ (20) Gott aber sprach zu ihm: „Du Tor! noch in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern; wem wird dann gehören was du erworben hast?“ (21) So geht es dem, der sich Schätze sammelt und nicht reich ist bei Gott.“
(XVI 1) Und er sprach zu seinen Jüngern: „Ein Reicher hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm verklagt, dass er sein Vermögen verschwende. (2) Da ließ er ihn kommen und sagte: „Was höre ich da von dir? Leg Rechenschaft ab über deine Verwaltung! du kannst nicht länger Verwalter sein.“ (3) Der Verwalter überlegte: Was soll ich tun? mein Herr nimmt mir mein Amt! Zum Graben fehlt mir die Kraft, und zu betteln schäme ich mich. (4) Ich weiß, was ich tue: damit, wenn ich abgesetzt bin, sie mich in ihre Häuser aufnehmen.“ (5) Und er ließ die Schuldner seines Herrn, einem nach den andern, zu sich kommen und fragte den ersten: „Wieviel schuldest du meinem Herrn?“ (6) Der antwortete: „Hundert Faß Öl.“ Er sprach: „Hier hast du deinen Schuldschein; schreib schnell: fünfzig!“ (7) Dann fragte er einen andern: „Wieviel schuldest du?“ Der antwortete: „Hundert Malter Weizen.“ Er sprach: „Hier hast du deinen Schuldschein; schreib: achtzig!“ (8) Und der Herr lobte den unehrlichen Verwalter, daß er klug gehandelt habe: „Die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichts. (9) Auch ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem sündigen Mammon, damit, wenns mit euch zu Ende geht, man euch aufnimmt in die ewigen Hütten!
(19) Es war einmal ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und feine Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. (20) Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür voller Schwären (21) und begehrte sich an dem zu sättigen, was von des Reichen Tische fiel; da aber kamen die Hunde und beleckten seine Schwären[1]. (22) Eines Tages starb der Arme und wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Auch der Reiche starb und wurde begraben. (23) Als er nun in der Hölle voller Qualen die Augen erhob, sah er Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß.[2] (24) Da rief er: „Vater Abraham, erbarm dich meiner und sende Lazarus, daß er seine Fingerspitze ins Wasser tauche und meine Zunge kühle! denn ich leide Qual in dieser Flamme.“ (25) Doch Abraham erwiderte: „Mein Sohn, bedenke, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus aber nur Schlimmes! Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest Qual.[3] (26) Überdies ist zwischen uns und euch eine breite Kluft gemacht, damit niemand von hier zu euch oder von dort zu uns herüberkann.“ (27) Nun bat der Reiche: „Vater, so sende ihn doch in meines Vaters Haus, (28) denn ich habe noch fünf Brüder, damit er sie warnt und sie nicht auch an diesen Ort der Qual kommen!“ (29) Abraham erwiderte: „Sie haben Mose und die Profeten, die mögen sie hören!“ (30) „Nicht doch, Vater Abraham“, sagte der Reiche; „aber wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.“ (31) Doch Abraham erwiderte: „Hören sie Mose und die Profeten nicht, so werden sie auch nicht hören, wenn einer von den Toten aufersteht.“
Erklärungen
[1] „Ein grausiger Zug.“ (Wellhausen)
[2] Die in älterer Zeit einheitliche Unterwelt erscheint hier zweigeteilt in Paradies und Hölle.
[3] Ausgleichende Gerechtigkeit. Vgl. Mk X 25 und Lk VI 20.21 im Kapitel „Die Bergpredigt“, Fußnote 1!
Israel und Juda. Sage und Geschichte, Weisheit und Hoffnung eines Volkes in Selbstzeugnissen. Hg. u. kommentiert von August Möhle (seit 2017 auch als E-Book)