Dan Abnett, Jahrgang 1965, ist Comic-Autor und Schriftsteller. Mit seinen Romanen für das „Warhammer 40,000“-Universum, unter anderem die beliebte Gaunts-Geister-Serie und die Eisenhorn-Romane, hat er weltweit zahlreiche Science-Fiction-Fans gewonnen. Dan Abnett lebt in Kent.
Ein Tag für Helden
"Mögen meine Sünden zwischen dem Strömen des Flusses und dem Wehen des Windes zu Tugenden verklärt werden."
- Katechismus von Hagia, Buch I, Kapitel III, Vers XXXII
Sie hatten den König mit Stacheldraht in der Stadt auf einem Platz nördlich des Flusses aufgeknüpft. Er wurde Platz der Erhabenen Gelassenheit genannt, eine acht Hektar große Fläche aus von der Sonne gebackenem rosa Basalt, die von den eleganten Mosaikmauern des Universitariate Doctrinus umgeben war. In den letzten zehn Tagen hatte sich dort herzlich wenig von erhabener Gelassenheit ereignet. Dafür hatten die Pilger des Paters gesorgt. Ibram Gaunt warf einen scharf umrissenen, fledermausartigen Schatten auf die Bodenplatten, als er mit wehendem Uniformmantel in eine Deckung rannte. Die Sonne hatte den Zenit erreicht, und ihr greller Schein versengte den harten Boden. Gaunt war sich dessen bewusst, dass das Licht auch seine Haut verbrennen musste, doch er spürte nichts außer dem kühlen, brausenden Wind, der über den großen Platz wehte. Er erreichte den Schutz eines umgekippten, ausgebrannten Chimäre-Truppentransporters und warf mit einer ra- schen Daumenbewegung das leere Magazin aus seiner Boltpistole aus. Er hörte ein Ploppen aus weiter Ferne, und in der geschwärzten Panzerung des Chimäre-Wracks tauchten plötzlich Beulen auf. Fernschüsse, deren Knallen der Wind verschluckte. Weit weg, jenseits der bratenden rosa Steine des freien Platzes, konnte er schwarz uniformierte Männer der Imperialen Garde sehen, die sich jetzt vorwagten, um ihm zu folgen. Seine Männer. Soldaten des Ersten und Einzigen Tanith. Gaunt sah, wie sie ausschwärmten, und betrachtete wieder den König. In der Tat der Hochkönig, der er im Leben gewesen war. Wie hatte er noch gleich geheißen? Verwest, aufgebläht und gedemütigt schwang der adelige Leichnam an einem Galgen aus Waggonbalken und verrosteten Lkw-Achsen und konnte nicht antworten. Die meisten seiner unmittelbaren Angehörigen und seines Hofstaats baumelten neben ihm. Weiteres Ploppen. Eine harte, scharf umrissene Beule erschien in dem widerstandsfähigen Metall neben Gaunts Kopf. Der Einschlag ließ Lackbrösel wegspritzen. Mkoll warf sich neben ihm in Deckung und brachte sein Lasergewehr in Anschlag. "Sie haben sich aber Zeit gelassen", neckte Gaunt. "Ha! Ich habe Sie nur viel zu gut ausgebildet, Kommissar, das ist alles." Sie grinsten einander an. Mehr Soldaten gesellten sich am Ende ihres Spießrutenlaufs über den freien Platz zu ihnen. Einer zuckte zusammen und ging auf halbem Weg zu Boden. Sein Leichnam würde unbetrauert noch mindestens eine Stunde im Freien liegen bleiben. Larkin, Caffran, Lillo, Vamberfeld und Derin schafften es herüber. Die fünf huschten neben den Anführer der Geister und Mkoll, dem Befehlshaber der Späher-Abteilung des Regiments. Gaunt riskierte einen Blick über die Deckung des Chi- märe hinaus. Er zog sofort wieder den Kopf ein, als entferntes Ploppen anzeigte, dass er unter Beschuss genommen wurde. "Vier Schützen. In der Nordwest-Ecke." Mkoll lächelte und schüttelte den Kopf. Als er antwortete, hörte er sich wie ein scheltender Vater an. "Mindestens neun. Haben Sie denn nichts von dem behalten, was ich Ihnen erklärt habe, Gaunt?" Larkin, Derin und Caffran lachten. Sie waren allesamt Tanither, Geister der ersten Stunde, Veteranen. Lillo und Vamberfeld verfolgten den scheinbar respektlosen Wortwechsel mit Unbehagen. Sie stammten aus der Vervunmakropole und waren neue Rekruten im Regiment der Geister. Die Tanither nannten sie "frisches Blut", wenn sie wohlmeinend waren, "Irreguläre", wenn sie nicht nachdachten, oder "Kanonenfutter", wenn ihnen nach Grausamkeit war. Die neuen Rekruten trugen dieselbe mattschwarze Uniform und Rüstung wie die Tanither, aber sie unterschieden sich von ihnen durch ihre Hautfarbe und ihr Gehabe. Und durch ihre nagelneuen Lasergewehre mit Metallschaft sowie die speziellen silbernen Grubenhammer- Abzeichen auf dem Kragen. "Keine Sorge", sagte Gaunt, der ihre finsteren Mienen registrierte und lächelte. "Mkoll wird regelmäßig größenwahnsinnig. Ich erteile ihm einen Verweis, wenn das hier vorbei ist." Mehr Ploppen, mehr Beulen. Larkin zappelte hin und her, um sein Blickfeld zu verbessern, und führte seine erlesene, mit Nalholz überzogene Präzisionswaffe mit erfahrener Geschmeidigkeit durch einen Riss in der Panzerung, sodass sie darauf ruhte. Er war der beste Scharfschütze des Regiments. "Haben Sie ein Ziel?", fragte Gaunt. "Worauf Sie wetten können", versicherte ihm der grau- haarige Larkin, während er seine Waffe mit der Zärtlichkeit eines Liebhabers in die optimale Position brachte. "Dann schießen Sie ihnen den verdammten Arsch weg, wenn Sie die Güte hätten." "Sie haben's erfasst." "Wie ... Wie kann er etwas sehen?", hauchte Lillo ungläubig, indem er den Kopf reckte. Caffran zog ihn in Deckung und rettete ihn vor einem jähen Tod, als Laserstrahlen über sie hinwegzischten. "Er hat von allen Geistern die schärfsten Augen", bemerkte Caffran grinsend. Lillo nickte, lehnte aber die großspurige Art des Tanithers ab. Er war Marco Lillo, Berufssoldat, seit einundzwanzig Jahren in der Vervunwehr, und dieses Kind, das nicht älter als zwanzig war, sagte ihm, wo es langging. (...)