1.- 6.7.2017 – Uusikaupunki

 1.7.2017

Wieder allein mache ich mir die Welt zum Geschenk.
Attu – Turku – Teersalo – Velkua – Teersalo – Velkua – Teersalo.
Hin zurück – wieder hin. Verfahren.

Mit einem weiten Blick über Schären und wieder Schären trinke ich ein Abendbier. Unten fährt die Fähre hin und her.
Um zehn Uhr denke ich: und was mache ich jetzt? Der Abend ist noch lang. Wo ich bin, weiß ich nicht. Keiner da, ihn zu fragen. – Aber der Fährmann! Mit ihm bin ich vorhin herübergekommen.
Also zurück. Die Fähre legt gerade ab, hält wieder an, stößt zurück für mich, macht die Klappe wieder auf, ich hinauf, rufe: „I have changed my mind!“ – „Welcome on bord!“ Kiitos!

 © H. Tarnowski

Und da ist dann einer, der mir sagt, dass ich nach Velkua fahre.
Er war sehr erstaunt, als ich ihn ansprach: Please can you help me, I don‘t know, where I am. Velkua. Was sonst.
Ich habe mich ganz woanders gesehen, muss eine Abbiegung falsch verstanden haben, wie ich überhaupt vieles nicht sehe oder falsch verstehe. Soviel verfahren habe ich mich noch nie.
Velkua also. Der mir das sagt, fährt noch eine Insel weiter, das mache ich dann auch.
Sonnenuntergang zwischen den Inseln. Ich mag diese kleine Fähre, die gerade sechs Autos mitnimmt. Ich fahre über die halbe Insel. Bei einem Verkehrszeichen, das ich nicht kenne, mit einem Wort, das ich nicht verstehe, kehre ich um. Sicherheitshalber. Wäre fahrlässig, weiterzufahren, wenn man das Zeichen nicht versteht. Ich bleibe mit meinem Hund an der Anlegestelle. Die kurze Nacht ist ruhig, bis die erste Fähre fährt.
Die kommt um sechs Uhr am Morgen, ein Auto steht schon da.
Wir laufen noch fast um die ganze Insel, durch Wiesen und über Felder und Felsen am Ufer. Mit der dritten Fähre fahren wir zurück.
Ich bin wieder da, wo ich am Abend das Bier getrunken habe. Da ist noch niemand.
Unten am Wasser sitzen ein Mann und seine Tochter bei ein paar fest gepackten Taschen. Sie fahren auf ihre Insel. Ich erfahre, dass die Fähre für mein Ziel – Kustavi – keine Autos mehr mitnimmt wie früher, nur noch Radfahrer und Fußgänger. Also muss ich noch weiter zurück.

Wieder zwischen den unendlich vielen Inseln. Was für ein Land! Wie bei den Höhlen in der Wüste von Tunesien staune ich auch hier, was Menschen aus dem machen, was sie vorgefunden haben. Was ihnen zum Leben gegeben ist. Ein Felsen, ein Baum. Was man sonst noch braucht, muss man aus der anderen Welt mitbringen.

3.7.2017

Uusikaupunki.

 © H. Tarnowski

Unter Finnen am Sonntag.
Männer mit Bärten und Sonnenbrillen beim Morgenspaziergang in Uusikaupunki. Einer schiebt sein Fahrrad und hält sich daran fest.
Das Wetter ist gut, die Familien sind am Wasser. Mir fällt die selbstverständliche Nähe der – jungen? – Väter zu ihren Kindern auf.

Gestern Abend um zehn Uhr hing da wieder die Frage am taghellen Himmel: und was mache ich jetzt? Ich bin Menschen suchen gegangen und mitten hinein geraten in meine Saturday night. Eine junge Finnin, der mein Hund gefällt, lädt mich auf der Terrasse eines Restaurants am Hafen auf den letzten Sonnenplatz neben sich ein. Da bin ich glücklich: aufgenommen.
Nice to meet you – sagt die junge Frau, ich sage das auch, und dass ich schön sei, oder mein Gesicht? Wir sprechen über den Hund und die Hunde, die sie liebt. Und dass es den Hunden in Estland so geht wie denen in Rumänien, wo meiner herkommt. Dabei ist doch Estland ganz nah!
Rundherum sehe ich Kaurismäki. STUFF und CREW haben die Augen überall. Frauen in großen Aufmachungen. Eine Schwangere im engen langen schwarzen Kleid mit Schlitz bis hinauf zum Oberschenkel. Eine Betrunkene fällt hin und ihr Bauch aus der Hose. Sie stopft ihn zurück, als ihr ein STUFF aufgeholfen hat. Junge Männer kommen und gehen wieder, kommen mit frisch gefüllten Gläsern zurück.
Ein winziges Hündchen stellt sich neben Yalla, die schaut uninteressiert darüber hinweg. Die Frau neben mir sagt, was ich denke: „She doesn‘t think, that it is a dog –“
Dann bricht die ganze Gruppe auf, die Betrunkene wird in die Mitte genommen, sie ziehen weiter. Für mich ist Schluss.

 

© H. Tarnowski

4.7.2017

Ein Oldtimer rollt langsam auf den Parkplatz, wo wir gerade ausgestiegen sind. Ein kleiner dünner Chauffeur steigt aus, geht um den Wagen herum und macht hinten eine Tür auf. Ein Mann in schwarzem, zu engem Anzug steigt aus. Dann: die Braut! Sie hat Mühe, den riesigen Rock durch die Tür zu drücken, ohne hängen zu bleiben oder schmutzig zu werden. Als sie es geschafft hat, zündet sie sich sofort eine Zigarette an. Jetzt muss sie wieder auf ihr Kleid aufpassen, den Rock zusammendrücken und den Arm weit ausstrecken, um die Asche abzustreifen. Inzwischen gehen die beiden Männer um das Auto herum, der Chauffeur redet, der Bräutigam nickt zufrieden. Sogar die Motorhaube wird hochgestellt. Wieder Reden, Nicken, sieht wie Bewunderung aus und Stolz.
Die Zigarette ist vorbei, die Braut will wieder einsteigen. Aber mit dem Kleid stimmt etwas nicht. Beide Männer machen sich am Rücken zu schaffen. Einer hält, einer zieht. Dann geht es, die Braut sitzt. Der Rock wird nachgeschoben, die Tür vorsichtig zugemacht. Die Männer gehen um das Auto herum, an der Tür bleiben sie stehen, der Bräutigam streckt die Hand aus und zieht sie schnell wieder zurück, um dem Chauffeur das Aufmachen zu überlassen. Dann steigt er ein. Der Chauffeur macht auch diese Tür behutsam zu. Dann fahren sie wieder.
Es war wohl nur eine Zigarettenpause für die Braut. Oder eine Szene für einen Film von Kaurismäki. 

6.7.2017

Uusikaupunki ade!
Ich wollte so lange in Uusikaupunki bleiben, bis ich mir den Namen gemerkt hätte. Heute ist es so weit. Ich habe drei Tage gebraucht.
Und ich habe eingekauft, was ich mir gewünscht habe: so ein langes Kleid, wie ich es an vielen Finninnen gesehen habe. Meines ist blau-weiß geringelt und aus Baumwolle. Dazu eine weiche kleine Strickjacke für den Abend. Ich hatte keine gemeinsame Sprache mit der Frau in dem Geschäft. Sie hatte mit einem Griff das Richtige in der Hand. Ich staune und lache und freue mich – sie auch.

© H. Tarnowski

 

 

 

 

 


Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de