31.7.-7.8.2017 – Taufe in Tombouctou

31.7.2017

Mali hat mich auch auf der Reise nicht verlassen. Die letzte Meldung vor meiner Abfahrt kam aus Bamako: Tote bei einem Überfall auf das Hotel Le Campement.
Immer wieder wieder Kämpfe in Kidal im Nordosten. Mamadou berichtet oft davon.
Er hat eine Tochter bekommen. Mutter und Kind sind gesund. Sie feiern eine große Taufe, zu der sie alle Freunde und das ganze Viertel eingeladen haben. Dafür hat sich Mamadou 600 € geliehen, die er jetzt von mir wiederhaben will.
Weil seine Tochter meinen Namen hat, bekomme ich die Rechnung.
Mit Worten verstehen wir uns nicht gut. Wenn ich das nur einsehen könnte!
Was ich verstehe, sieht so aus:

bonjour maman
wie geht es Ihnen, und die Ferien, ich hoffe, alles ist gut.
Die Taufe war am Montag vom Morgen bis zum Abend, ein Fest mit der Familie, den Freunden und allen meinen Eltern.
Die Tochter heißt Heide, wie geplant, sie ist deine Namensvetterin, wie geplant, die ganze Familie war damit zufrieden, sie haben alles für die Taufe mobilisiert, ich habe sie und das ganze Fest fotografiert.
Ich habe es mit viel Kredit gemacht, den ich bei einem Händler genommen habe, und ich warte, dass du aus den Ferien zurück bist.

Die  Grundausgaben  beliefen  sich  auf knapp  350 000 fCFA  (# 600 EUR),

l‘accouchement a la maternité: 35 240  fCFA  (Krankenhaus: 55 # €)
un Mouton: 100 000  fCFA (ein Schaf: 150 €)
un sac de riz: 40 000  fCFA  (ein Sack Reis: 60 €)
le prix de condiment: 25 000  fCFA  (Gewürz: 40 €)
les dates du cérémonie: 20 000  fCFA  (Zeremonie: 30 €)
quelque Habits pour elle: 15 000   fCFA  (Kleidung für das Kind: 25 €)
un complet pour Aminata: 50 000  fCFA  (Komplet für die Mutter: 75 €)
boissons: 60 000  fCFA (Getränke: 90 €)

Es war sehr viel und das ist ein großer Tag für mich, weil dein Name in meinem Leben sehr wichtig ist.

Dann das Versprechen der Fotos, Grüße an die ganze Familie, und dass er nach meiner Rückkehr mit mir rechnet…
Und zuletzt:

nb: Man muss E. sagen, dass sie die Namensvetterin ihrer Mutter in Tombouctou hat

Was für ein Fest!

1.8.2017

Die Kämpfe um Kidal gehen weiter. Keiner weiß, was wird. Von Ruhe keine Spur.
Ein deutscher Hubschrauber stürzt ab zwischen Gao und Kidal. Zwei tote Soldaten. Es sei zu heiß zum Fliegen gewesen – 45 Grad.

2.8.2017

Ich denke immer wieder daran, Paul anzurufen, und schüttle den Kopf. Er ist ja nicht mehr da.
Bevor ich abfuhr, habe ich mich von ihm verabschiedet. Er hat mich erkannt, sprechen konnte er fast nicht mehr.
Er sollte jetzt nicht mehr allein sein – wann kommen die Kinder? Hab ich die Pflegerin gefragt. Sie wusste es nicht. Ein paar Stunden später war er tot.
Wie oft werde ich bei meinem nächsten Geburtstag erzählen müssen, warum Paul nicht dabei ist.

3.8.2017

Sicher bin ich nicht, ob es ohnesinn so weitergehen kann, wie ich es mir vorgestellt habe. Wenn ich die Zahlen für die Tage anschaue, finde ich größere Lücken.
Wieder einmal weiß jeder, der jetzt hier liest, mehr als ich: Geht es weiter?

4.8.2017

Die Maus ist tot, die Maus ist tot.
Drei Töne höher: Die Maus ist tot, die Maus ist tot.
Wieder drei Töne höher: sie kann nicht mehr… ja was?
Den Kanon höre ich nur so lange, bis ich die Falle mit der Maus aufhebe und hinaustrage. Ich schaue in ihre kugelrunden weit aufgerissenen Augen und streichle mit einem Finger ganz leicht das feine Pelzchen. Dann lasse ich sie über die Hecke in die Wiese fliegen. Für dem Mäusebussard? Wohl nicht, denn sie bewegt sich ja nicht mehr.

5.8.2017

Diese Tage haben die Frage, warum Finnland mich so lange beschäftigt, wo es mich, als ich dort war, wenig berührt und bewegt hat.

Einen Augenblick
verwechsle ich
das Licht des Glühwürmchens
mit dem Abendstern

Das war im Juni vom vorigen Jahr und alle Jahre davor.
In diesem Jahr nicht. Ein einziges Licht habe ich fliegen oder im Gras leuchten sehen.

In Attu leuchteten an einem warmen hellen Abend zwei Glühwürmchen zwischen den Steinen an der Ostsee. Dort kam der Vollmond über das Wasser herauf – sanft, zart, bleich und leise – und verschwand in den Wolken.

Morgen hat meine Kleine Geburtstag und wird 49.
Ich bereite meine Geschenke vor, packe Das andere Glück ein und freue mich wie an dem Tag, als sie kam.
Wie jedes Jahr höre ich die junge Ordensschwester wieder, die bei der Entbindung dabei war, wie sie sich wundert und staunend sagt: „Die lacht ja immer noch!“

7.8.2017

Heute Abend ist Vollmond und er wird zum Teil verdunkelt sein.


Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de