12.12.2017 – Ghana
12.12.2017
Ghana 1996„Lucky do all day“Mit Buschtaxi und Trotro von Benin nach GhanaWieder einmal stehe ich in Cotonou an der Straße, diesmal will ich an der Küste entlang nach Togo und weiter nach Ghana. Schon hält ein Motorrad mit Chauffeur im gelben Hemd, ich sage: Jonquet, er nickt, nimmt mein Gepäck zwischen die Knie und bringt mich zum Bahnhof für die Minibusse und Buschtaxis, die nach Westen fahren.
Lome-Lome-Lome!!! Von diesem Ruf werde ich empfangen und ihm habe ich zu folgen, wenn ich nach Ghana will. Das heißt: umsteigen in Lome, Togos Hauptstadt. Noch halte ich mein Bündel fest, nach dem sich zwanzig Hände ausstrecken, bis ich weiß: ich nehme das Buschtaxi, nicht den Minibus, da dauern die Kontrollen nicht so lange. Ich habe die Wahl zwischen weniger Zeit oder mehr Sicherheit. Kaum habe ich entschieden, fällt meine Tasche auch schon in einen Kofferraum und der Deckel darüber zu. Hier bist du, hier bleibst du, im Auto kannst du warten. Wenn es voll ist, geht es los. Ich bin allein. Das kann dauern, es fehlen noch vier.
Frauen und Mädchen wandern mit Reiseproviant auf den Köpfen zwischen den Autos herum. Wasser gibt es in kleinen Plastiktüten und Ananas in Scheiben, Eier und Brot, viel Brot in langen Stangen oder als kurze Sandwiches. Mit hoffnungsvollen Gesichtern treten Mädchen an jedes geöffnete Fenster. Ich warte auf Bananen, nicht lange, da sind sie, von mir aus kann es jetzt losgehen. Die Rückbank ist inzwischen besetzt, ich habe Glück gehabt: es sind zwei schmale junge Männer, da wird es nicht eng. Eher schon vorne, da ist eine dicke Maman eingestiegen, aber der Fahrer ist das gewöhnt. Mit dem fünften Mann sind wir komplett, und der Peugeot verläßt nach einem kurzen Halt an der Tankstelle die Station. Kaum hat sich das Auto in Bewegung gesetzt, ist mein Nachbar schon eingeschlafen, und sein Kopf fällt auf meine Schulter. Er war die ganze Nacht unterwegs, erzählt mir sein Freund, sie kommen von Norden, aus Niger und wollen nach Togo, um Schmuck zu verkaufen. Nur einmal wacht er auf, als der Fahrer hält, um einen Ballon mit der roten Flüssigkeit von Straßenrand in sein Auto umfüllen zu lassen. Dann schläft er weiter bis zur Grenze nach Togo.Da heißt es aussteigen. Über die Grenze, die zu beiden Seiten der Kontrollen eine fröhliche Verkaufsstraße ist, geht man zu Fuß von Benin nach Togo. Drüben finden wir wieder zusammen. Wegen der Aus- und Einreiseformalitäten müssen meine Mitfahrer auf mich warten, aber es scheint sie nicht zu stören. Sie haben sich ein Sandwich oder ein Ei oder eine Kokosnuss gekauft. Ich laufe schnell gegen die Hitze, es ist offensichtlich überflüssig. Zeit zählt hier nicht.
Bald sind wir in Lome. Einer nach dem anderen wird abgesetzt. Wo ich hinwolle? Nach Ghana, zur Grenze.
Er werde mich hinbringen, meint der Fahrer, schön. Während der Fahrt verdoppelt er zweimal den zuerst genannten Preis. Weniger schön, aber was soll’s.
Und dann gehe ich wieder zu Fuß und kaufe mir auch eine Kokosnuss in Togo, wo mein Geld noch gilt, trinke sie leer und lasse sie aufhacken. Die Frauen tun das mit gezieltem Hieb eines scharfen langen Messers, sodass man die süße weiche Schicht mit dem kleinen Scheibchen, das sie zuerst abgehackt haben, heraus schaben kann.Afrikanische Grenzen, wenn man sie nicht überfliegt, sind die buntesten Grenzen, die ich bisher „überschritten“ habe. Hier ist das wörtlich zu nehmen: man geht zu Fuß, wenn man nicht im eigenen Auto, sondern mit einem Bus oder Buschtaxi kommt. Man wird aufgefordert, auszusteigen und ohne Gepäck – das bleibt in dem Auto – die verschiedenen Stellen zu durchlaufen. Rechts und links der Straße sitzen die Frauen hinter ihren Waren, die sie dir schmackhaft machen wollen. Dazwischen fahren die Jungen mit Getränken herum. Man geht von einem Haus in das andere, stellt sich an, zeigt den Paß, wird handschriftlich in ein großes, dickes Buch eingetragen, wenn man an der Reihe ist, auf der anderen Seite noch einmal dasselbe. Die Afrikaner, die auf der einen oder anderen Seite leben und diesen Weg häufig gehen, haben eine Abkürzung und müssen auf uns warten, bis auch wir das Taxi erreichen, das inzwischen mit unserem Gepäck die Grenze passiert hat, ohne dass wir es bemerkt haben. Auf der anderen Seite gibt es andere Uniformen, andere Gesichter, freundlichere oder weniger freundliche, aber die gleiche Verkaufsstraße mit ihren Frauen, Mädchen und Jungen.
Oder doch nicht die gleiche, nur erkenne ich die Unterschiede noch nicht. Aber jeden Morgen und jeden Abend wechseln die Frauen die Seiten. Dicke Mammies schwanken schwer beladen mit großen Schüsseln auf dem Kopf morgens von Ghana nach Togo und abends von Togo nach Ghana, um auf der anderen Seite etwas anzubieten, was es dort nicht gibt, und umgekehrt. Dann heißen sie Maman.Ein Junge hat meine Tasche an sich gerissen und ich müßte Gewalt anwenden, wollte ich sie selbst tragen. Ich muss ihm folgen. Au revoir, Maman sagen sie hier, hallo Mammy empfängt mich dort. Das fröhliche Lachen dabei ist hüben wie drüben dasselbe.
Der Junge treibt mich an und den Geldwechslern in die Arme, brauche ich doch Cedis um weiterzukommen. Ich falle prompt auf ihren Trick herein: Als ich nachzählen will, springt einer heran, klatscht in die Hände, ruft: police! und alle sind weg. Mein Träger schiebt mich weiter, jetzt hat er es sehr eilig, deutet auf einen fast vollen Bus, und bevor ich die Taxis erkennen kann, bin ich schon meinen ersten Cedi-Schein los und sitze eingeklemmt halb auf meiner Tasche, halb auf einem Notsitz zwischen zwei jungen Frauen in Jeans und T-Shirts und glänzenden Jacken. Mit dem Fahren beginnen meine Mitfahrer zu dösen oder zu schlafen, aber sie werden oft gestört: Siebenmal müssen alle aussteigen, um das Gepäck zur Kontrolle vorzuzeigen. Bei der Rückfahrt werde ich ein Buschtaxi nehmen, das weiß ich gewiß.
Bei jedem Halt wird der Bus von Frauen und Mädchen bestürmt, die uns auf ihrem Kopf auch hier Proviant anbieten. Meine rechte Nachbarin kauft durchs Fenster einen getrockneten Fisch und reicht ihn der Frau links von mir. Die schaut ihn an, knüllt ihn wieder in das Zeitungspapier, steckt ihn dann kopfschüttelnd in ihre schwarze Handtasche und schließt sorgfältig deren goldenen Verschluss.
Ich habe jetzt Zeit genug, um festzustellen, dass ich beim Wechseln ein Drittel des Kurses verschenkt habe. Eintrittsgeld.
Ich werde mir in Accra ein billiges Hotel suchen müssen.HOPE HOPE HOPE – das ist die erste der vielen wandernden und fahrenden Botschaften, die mir in Ghana entgegenkommen. Eine lachende Verkäuferin trägt sie an der Central Bus Station in Accra auf ihrem Kopf herum: in drei übereinandergestapelte rechteckige Weißbrote sind die Worte hineingebacken. Die Form des Brotes hat sich verwandelt, hier hat Brot die Form von Toast statt Baguette und damit genug Platz für eine Botschaft.
Deren werden es immer mehr. Fast jeder Trotro trägt ein Motto, das ihn Gott anvertraut. Ein Trotro ist ein kleiner Bus oder halboffener Lastwagen mit zwei Bankreihen an den Seiten. Der Letzte, der zusteigt, steht auf der Stoßstange und hält sich selbst mit einer Hand an der Sitzbank, mit der anderen die Tür hinter sich fest. Vorher wird nicht abgefahren, als nicht auch die Stoßstange „besetzt“ ist. Denn ein leerer Platz in einem Bus – das ist etwas, was man sich hier überhaupt nicht vorstellen kann.
Auf den Trotros steht geschrieben: In God we trust – The kingdom comes – We belong to him – What is written oder einfach: Jesus. Seltener: Allahu Akbar. Soll das eine Versicherung sein? What is written begegnet mir in weißer Schrift auf blauem Lack immer wieder. Ich halte es für ein und dasselbe Auto, bis mir David, einer der vielen Jungen, die mir in Cape Coast ihre Begleitung anbieten, erklärt, dass es sich meist um private Gesellschaften handelt, die bestimmte Routen fahren und an dem Motto, das sie sich gewählt haben, zu erkennen sind. Ich solle mit dem grün-weißen God is great bis zur Central Bus Station fahren, rät mir David, von wo mich ein großer staatlicher Bus nach Accra zurückbringen wird.
„Hallo Heide!“ – David steht auf einmal wieder neben mir, um mir Goodbye zu sagen und mich daran zu erinnern, dass ich nicht vergessen darf, ihm Fotos zu schicken und so ein Buch wie das meine, in welches er seine Adresse geschrieben hat. Mein Gepäck wird von Versprechen immer schwerer. Er bedankt sich noch einmal dafür, dass ich ihm die Leihgebühr für die Bibliothek bezahlt habe Es war mein Dank für seine Stadtführung. Dafür kann er nun ein Jahr lang Bücher lesen.
Der Taschentuchverkäufer hat die Tücher, die hier jeder nötig braucht, an einen großen bunten Schirm geklammert. Ein Papiertaschentuch löst sich schon beim dritten Mal die Stirn abwischen auf. Das Dach ist nun so schwer wie die Schirme, welche man über die Könige hält. Der Wind greift in die Tücher und läßt sie malerisch flattern.
Wie überall laufen auch hier die Schüsseln und bunte Emailteller made in China auf den Köpfen herum.Als mein Bus fast voll ist, steigt ein Mann zu und schreit so laut Halleluja , dass ich erschrocken zusammenfahre. Er beginnt mit geschlossenen Augen und fest um eine Bibel gefalteten Händen lange und anhaltend laut zu singen. Endlich beschließt er seinen Gesang mit einem letzten Halleluja und steigt wieder aus. Nun ist der Bus bis auf den allerletzten schmalen Platz besetzt. Es könnte losgehen. Tut es auch. Das ist der Moment, wo ein zweiter Prediger von seinem Sitz aufsteht, um sich wieder mit einem furchtbar lauten Halleluja seinen Mitfahrern zuzuwenden, und diese antworten sofort: Halleluja! Dann schreit auch er, ich kann nicht viel verstehen, madness kommt vor, dabei greift er sich an den Kopf. Nach einer halben Stunde holt er Papiertütchen in zweierlei Größen aus seiner Tasche: Kopfschmerztabletten für 500 oder 1000 Cedi. Dann folgt wieder eine geschrieene Rede, bei der er sich häufig den Bauch hält. Die Mitfahrenden lachen, Frauen stellen Fragen und bekommen lange, laute Antwort. Nach einer weiteren halben Stunde gibt es Tütchen für 1000 Cedi gegen Durchfall. Danach beginnt er noch einmal, ich verstehe Aids. Dazu verkauft er nichts. Zuletzt verteilt er Zettel, auf die die Adresse einer Klinik gestempelt ist. Halleluja ruft er. Halleluja antwortet die Busgemeinde. Amen.- Amen. Der Prediger setzt sich. Draussen fängt Accra an.
Lucky do all day begleitet mich als letzte Stoßstangenbotschaft, als ich Ghana verlasse.Wir sitzen im Sammeltaxi an der togolesischen Grenze. Den lauten Forderungen, auch für die beiden Kinder zu bezahlen, leistet meine Mitfahrerin erfolgreichen Widerstand. Sie heißt ihren größeren Jungen, sich in die Mitte auf den Boden zu setzen, und beweist so den Männern, dass er keinen Platz braucht. Den kleineren hat sie sowieso auf dem Schoß. Nach einer halben Stunde geben die Männer auf. Auf die Rückbank gesellt sich noch eine dritte Frau mit einem Baby zu uns, vorne sind es zwei Männer. Alle kommen aus Accra und wollen nach Lagos in Nigeria und sprechen englisch miteinander, es geht um Geld und Geschäfte, das scheint eine ernste Sache zu sein. Wir sind drei Frauen, drei Männer, drei Kinder. Die Enge scheint Sicherheitsgurte überflüssig zu machen. Das Baby wird gestillt und trockengelegt, der kleine Junge bekommt ein Stück Fleisch in den Mund gestopft, der große ißt schweigend. Dann greift Dösen um sich, bis das Auto zu rütteln anfängt. Wir halten, der Fahrer steigt aus und gibt uns ein Zeichen, das auch zu tun: das linke Hinterrad ist platt. Wir nehmen unser Gepäck aus dem Kofferraum, ich suche einen Platz im Schatten.
Meine Mitfahrer sind unzufrieden mit dem Auto und zeigen das deutlich. A bad car höre ich so oft, bis der Chauffeur wütend wird und sagt, schließlich habe er den Reifen zu wechseln, nicht sie. Dabei hält er Ausschau nach einem leeren Taxi, an das er uns loswerden könnte, aber ohne Erfolg. Nach zehn Minuten findet man sich wieder zusammen, was bleibt uns schon übrig, wir wollen weiter. Wir fahren nicht lange, da biegt der Chauffeur von der Hauptstraße ab. Was ist denn jetzt schon wieder! Ich muss etwas nicht verstanden haben, was hier alle schon wissen, wir kommen zur Taxi-Station des nächsten Ortes und sollen das Auto wechseln. Kein Problem. Kein Problem – nur das Benzin aus dem anderen Wagen muss der Ordnung halber noch aus dem Tank geholt werden, einer saugt es mit einem Schlauch an und läßt es in einen Kanister laufen. Dann wird frisch getankt und es geht weiter.Drei Männer, drei Frauen, drei Kinder. Die beiden Frauen neben mir sind bald eingeschlafen, das Baby und die beiden Jungen auch. Den Kopf des größeren, der vom Sitz gerutscht ist, habe ich auf dem Knie, die Füße des Babies, das an der Brust der Mutter schläft, liegen auf meinem Schoß. Auch die beiden Männer schlafen, nur der Fahrer und ich sind wach.
An den Kontrollpunkten sind in den Plastikeimern schon die Öllämpchen aus Blechdosen angezündet. Rot leuchten sie in der frühen Dunkelheit. Bei jedem Leuchten muss gehalten und das Winken eines Soldaten abgewartet werden.
In Cotonou dauert es eine Weile, bis ich merke, dass nicht Jonquet angesteuert wird, sondern Dantopka, die Station für die Fahrten nach Osten. Ich lasse anhalten, denn ich bin schon fast da, ich brauche jetzt nur noch einen Gelben, der mich heimbringt.

Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de