Rafik Schami: Das Geheimnis des Kalligraphen (Roman) |
Rafik Schami: Das Geheimnis des Kalligraphen |
Inhaltsangabe:
Hamid Farsi gilt in den Fünfzigerjahren als der beste Kalligraph in Damaskus. Er versteht sich als Erbe von Ibn Muqla, des bedeutendsten arabischen Kalligraphen überhaupt, und fühlt sich einer tausendjährigen Tradition verpflichtet. "Und sobald ich es unterschrieben habe, nimmst du es mit dir nach Hause. Du bist noch viel zu jung, und der Neid der anderen könnte dir schaden. Lass es unser Geheimnis sein."
Danach berichtete ihm Meister Serani vom Geheimbund der Wissenden und der Geheimschrift Siyakat. Gegründet worden war der Geheimbund von Yakut al Musta'simi, einem Schüler des Meisters aller Meister Ibn Muqla. Hamid ließ sich aufnehmen und wurde zwei Jahre später zum Großmeister ernannt. Seither bemüht er sich um eine Verbesserung der arabischen Schrift und hält seine geheimen Erkenntnisse über die Kalligraphie in einem dicken Buch fest. [...] offen gesagt langweilten sie die Frauen. Sie waren einfache Menschen, die, sobald das Gespräch nicht um Männer, Kochen und Kinderkriegen ging, worin sie wahre Expertinnen waren, nichts über das Leben zu sagen hatten. Sie konnten weder lesen noch schreiben. Nach mehreren jämmerlich gescheiterten Versuchen, den Frauen irgendetwas über die Welt außerhalb ihres Ehetrotts beizubringen, blieb auch Nura stumm.
Nura beginnt Tagebuch zu schreiben, und mit jeder vollen Seite vergrößert sich ihre Distanz zu Hamid. Tatsächlich wurde Sarah später eine der besten Lehrerinnen des Landes und heiratete nach einer stürmischen Liebesaffäre einen Busfahrer, der sie bis zum letzten Tag seines Lebens verehrte. Neben ihrem Beruf erzog sie zwölf Kinder zu tüchtigen Handwerkern, Lehrern und Händlern. Sogar eine Ärztin und eine Rechtsanwältin waren unter ihren Kindern [...].
Mit der Mutter zusammen floh Salman vor seinem gewalttätigen Vater in das leer stehende Haus eines Verstorbenen, und nachdem er sich eines Hundes angenommen hatte, den er "Flieger" nannte, wagte der Vater es nicht mehr, sie dort zu belästigen. Allerdings mussten Mariam und Salman das Haus nach einem Jahr wieder verlassen, weil sich die Erben der Verstorbenen geeinigt hatten und es der katholischen Kirche verkauften, die dort ein konfessionell gebundenes Altersheim einrichtete. "Du kannst ruhig sagen, du warst nur bis zur zweiten Klasse in der Schule und hast kein Interesse an Büchern. Und dann kannst du seine Kunst heimlich lernen. Kalligraphen hüten eifersüchtig ihre Geheimnisse. Du musst also dieses goldene Handwerk heimlich lernen." Salman wird von dem Kalligraphen eingestellt, lernt eifrig und gewinnt dessen Vertrauen. Obwohl Hamid seiner Frau jeglichen Umgang mit Christen verboten hat, beauftragt er Salman, jeden Tag vom Atelier zum Wohnhaus des Meisters zu laufen und dessen Mittagessen zu holen. So lernen Nura und Salman sich kennen. Mehr als zweihundert Mal wiederholte sich diese Szene in den sieben Monaten zwischen Oktober 1955 und April 1956.
Eines Tages küsst Nura den Boten ihres Mannes. Salman erzählt Karam, dass er sich in die Ehefrau seines Meisters verliebt habe, und der Kaffeehausbesitzer stellt ihm daraufhin ein Fahrrad zur Verfügung. Das soll er bei dem mit Karam befreundeten Töpfer Yassin unterstellen und dem Kalligraphen verheimlichen. Auf diese Weise kann er mehr Zeit mit Nura verbringen. Bald darauf zieht sie ihm ohne lange Erklärungen die Hose herunter und lässt sich von ihm penetrieren. Nassri hatte Taufiq von seinem Vater geerbt, der auf dem Totenbett gesagt haben soll: "Deine zwei Brüder haben Verstand und du hast Taufiq. Achte auf ihn, denn wenn er weggeht, gehst du unter." Während Taufiq sich um das Geschäft kümmert, beschäftigt Nassri Abbani sich am liebsten mit Frauen. Im Januar 1952 beauftragte er Hamid Farsi mit einer ersten Kalligraphie für den Staatspräsidenten Adib ibn Hasan asch-Schischakli. Dazu hatte ihm Taufiq geraten. Das Geschenk sollte es möglich machen, eine größere Anzahl von importierten Maschinen am Zoll vorbeizuschleusen. Tatsächlich erhielt Nassri Abbani daraufhin eine persönliche Einladung des Präsidenten zum Abendessen, und dem durch einen Putsch an die Macht gekommenen Oberst gefiel der charmante Frauenheld. Farsis Kalligraphien wurden von Oberst Schischakli geschätzt. Nassri schenkte ihm fast jede Woche eine Kalligraphie mit klassischer Dichtung. Hamid Farsi freute sich über die Aufträge, denn nun kamen viele Bekannte des Präsidenten auf den Geschmack und bestellten bei ihm.
Bald gehörte Nassri zur Entourage des Staatschefs. Der wurde allerdings im Frühjahr 1954 durch einen Aufstand gestürzt. Eine Woche später hatte Asmahan ihren ersten Liebhaber. Auf einem Empfang beim damaligen Kultusminister Fuad Schajeb wurde sie von den Frauen beneidet und von den mächtigsten Männern umschwärmt. Sie brauchte nur zu wählen. Sie genoss den Champagner und beobachtete die Gockel, die ihr wie kleine Jungen vorkamen, eitel, kopflos und unzuverlässig. Und sie sah, wie ihr arroganter Mann plötzlich vor dem Gesundheitsminister klein und bucklig wurde, und dieser vor dem Ministerpräsidenten, und dieser wiederum vor dem Armeechef.
Asmahan begann eine Affäre mit dem Innenminister Said Badrachan und sorgte dafür, dass darüber getuschelt wurde. Um einen Skandal zu vermeiden, willigte ihr Mann in die Scheidung ein. Zwei Monate später kam Said Badrachan bei einem Autounfall ums Leben. Jemand hatte die Bremsleitungen beschädigt. Nassri zitterte und näherte sich dem Fenster. Er warf einen Blick auf den Hof hinunter, in dem die Frau sich in einem großen Stuhl am Brunnen sonnte. Sie las. Als er das Fenster aufstieß, schaute sie herauf und lächelte. Nassri hätte sterben können vor Glück. Er grüßte sie mit einem Nicken und zeigte ihr das Papier. Der Wind war nun still. Er ließ den Streifen hinunter segeln und sah das Staunen auf dem Gesicht der Frau. Sie lachte und legte sich die Hand auf den Mund.
Drei Kalligraphien schickt Nassri der Begehrten auf diese Weise. Aber dann hält eine Leitersprosse seinem Gewicht nicht stand; Nassri stürzt und bricht sich das linke Bein. Als der Gips endlich ab ist und er wieder nach oben klettern kann, erblickt er Hamid Farsi bei der Angebeteten. Er hält den Kalligraphen für einen Liebhaber der Frau, denn er weiß nicht, dass sie in dem verwinkelten Viertel Nachbarn sind und es sich bei der Schönen um Nura handelt. Vierhundertzwanzig Seiten. Der Fotograf hatte eine sehr gute Kamera und machte zweihundertzehn Aufnahmen, jeweils eine von einer Buchdoppelseite. Salman stand abseits und sein Herz fiel ihm in die Hose, als der Buchrücken in der Mitte hörbar knackte, weil der Fotograf eine glatte Oberfläche brauchte. Der gebrochene Rücken des Buches bleibt dem Besitzer nicht verborgen, und er entlässt Salman, auf den sein Verdacht fällt. Salman hätte sich ohrfeigen können für seine Naivität. Er hatte wirklich geglaubt, dass Karam alles nur aus Neugierde wissen wollte. Salman hatte ihm einen Abdruck des altmodischen Schrankschlosses angefertigt. Nach ein paar Tagen händigte Karam ihm ein Schlüsselduplikat aus, mit dem Salman, als der Meister verreist war, den Schrank – unter Mühen – aufmachen und das schöne dicke Buch mit den Geheimnissen des Kalligraphen herausholen konnte.
Weil Salman nun vermutet, dass Karam ihn von Anfang an missbrauchte, um den Kalligraphen auszuspionieren, dessen Reformbemühungen ihm und anderen fundamentalistischen Muslimen missfallen, beschließt er, seine eigenen Notizbücher in Sicherheit zu bringen, sich von Karam zu trennen und Damaskus zu verlassen. "Hat der Kalligraph auch die Liebesbriefe geschrieben, die du mir gegeben hast? Hast du nicht ein einziges Wort für mich gefunden? Hast du ihn dafür bezahlt, deine Liebe auszudrücken?" In ihrer Aufregung holte sie ein Stück Papier und legte es mit dramatischer Geste vor ihn hin. "Schreib mir hier einen kurzen Brief", sagte sie. Nassri war aufgebracht, er tobte und führte sich auf wie toll. Aber es nützte nichts. Sie wusste nun, dass er sie belogen hatte. Ihr Mitleid schlug um in tiefe Verachtung.
Taufiq versteckt Nassri eine Weile in der leer stehenden Wohnung seiner verstorbenen Schwester, aber Hamid beschattet den Geschäftsführer und kommt Nassri auf die Spur. Der lässt sich daraufhin von seiner vierten Frau aufnehmen, ohne zu ahnen, dass Almas ihn an ihren Onkel Karam verrät, der es darauf angelegt hat, dass der Reformer sich durch einen Rachemord selbst ausschaltet. Sobald Hamid Farsi fünf Monate nach Nuras Verschwinden von dem Kaffeehausbesitzer erfahren hat, wo Nassri Abbani zu finden ist, ersticht er seinen vermeintlichen Gegner mit einem Messer. Er war nicht übermäßig begabt, aber man sah ihm die Freude an, mit der er an die Arbeit ging. Moscheen und islamische Druckereien gaben ihm selten Aufträge, aber da er nicht so viel verlangte wie die anderen Kalligraphen, bekam er genug Aufträge für Geschäftsschilder und Plakate von Kinos, Restaurants, christlichen Druckereien und Verlagen. Pfarrer Josef Gamal ließ durch ihn alle Bücher seines neu gegründeten Verlags gestalten. Samir verkaufte im Gegenzug in seinem Laden neben Postkarten, Tinte für Kalligraphen und Schreibwaren auch Heiligenbilder. Und auf Anraten des Pfarrers beschaffte sich der Kalligraph eine kleine Maschine, mit der er Stempel für Behörden, Schulen, Clubs und Vereine herstellen konnte. Dass es sich bei seiner Frau Laila um eine ausgezeichnete Schneiderin handelt, spricht sich rasch unter den Nachbarinnen herum, und nach einem Jahr nennen sie Samir nur noch den Mann der Schneiderin. Sarah, die einzige Tochter des Paares, wird später eine berühmte Kalligraphin. |
Buchbesprechung:Dass es sich bei dem Roman "Das Geheimnis des Kalligraphen" um eine Künstlertragödie handelt, zeigt sich erst im letzten Drittel, denn statt stringent eine Handlung zu entwickeln, mäandert Rafik Schami wie ein orientalischer Märchenerzähler durch viele Geschichten und schweift dabei immer wieder ab. Wie in der arabischen Schrift, über die der staunende Abendländer so manches erfährt, geht es im Roman nicht allzu geradlinig zu: Auch erzähltechnisch befinden wir uns im orientalischen Souq und nicht in einer deutschen Fußgängerzone. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Dezember 2008)
Nach zahlreichen Arabesken gelangt Rafik Schami zu den bereits im Prolog erwähnten Ereignissen im Frühjahr 1957 in Damaskus, und erst jetzt findet der Kalligraph Hamid Farsi die Zeit, über sich und sein Leben nachzudenken. Dadurch wird zur Hauptfigur, und Rafik Schami geht zurück bis zu Hamids Kindheit. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
Rafik Schami: Die Sehnsucht der Schwalbe |