Special Features: Mumbai Attack 2008

Anant Kumar

Special Features

Mumbai Attack 2008

© 2008 by Anant Kumar and gangan books australia

 

Indiens größte Schwäche liegt in ihrer größten Stärke. Das Milliarden Land mit unterschiedlichsten Ethnien und fast sämtlichen Religionen der Welt ist auch nach 60 Jahren der Unabhängigkeit gegen jedwede Erwartung die größte Demokratie geblieben. In den letzten Jahren hatten nicht wenige Länder der stabileren, westlichen Demokratien an die Gefährdung der Souvernität und Integrität Indiens geglaubt.
 

1.) DIE ENORMDICHTE BEVÖLKERUNGSMASSE IN BEWEGUNG?!

Wer in Indien in den letzten Jahren ein paar Wochen verbracht hat, hat gesehen, dass sich die Menschenschwärme wie die Ameisen ununterbrochen überall bewegen: Vom Land in die Kleinstadt, von der Kleinstadt in die Großstadt, von der Großstadt in die Metropole... von der Metropole in die Megapolen nach Bombay, Delhi, Madras, Kalkutta... Die Touristen aus dem Westen haben gesehen, wie die Millionen Menschen in Millionen Verkehrsmitteln in Tausenden Orten zugleich unterwegs sind, wie sich nachts ein Bahnhof einer mittelgroßen indischen Stadt in der Raum-Größe von Kassel-Wilhelmshöhe in ein Schlaflager von circa 1,000 Menschen verwandelt. In Mumbai vielleicht von Zehntausenden Menschen.

Mit welcher Technik könne man heute diese Milliardenmasse auf so einem engen, chaotischen, geographischen Raum in Tausenden Zügen, Flugzeugen, Schiffen, Fischerbooten, klapperigen Bussen, Flughäfen, Bus- und Bahnhöfen, Krankenhäusern, billigen und luxuriösen Hotels unter die Lupe nehmen?

Aktueller Bezug: In Mumbai kamen die Terroristen überraschenderweise über die Wasserwege in Booten.
 

2.) EINGRIFF VOM STAAT, MILITÄR UND DER POLIZEI?!

Indien ist das Land der Politik und der Politiker. Vergessen Sie eine Weile das umstrittene Gebiet „KASHMIR", das sich leider vom Paradies zum Schutzschild bzw. zur Herberge der Terroristen entwickelt hat (Rushdie, Salman: Shalimar the Clown). Der Staat und das Militär greifen in vielerlei Hinsichten wenig in die Rechte eines Menschen ein. Zweifel?! Fragen Sie bitte 100 Inder von unterschiedlichsten Schichten, vom Norden bis Süden, vom Westen nach Osten. Die Antwort würde etwa so lauten: Die Inder kennen im Gegensatz zu unzähligen Ländern in seltenen Ausnahmefällen die Repression des Staates und des Militärs. Der Rikschafahrer, die Bettler auf den Straßen und alle Anderen beschimpfen in der vollen Lautstärke die Regierung, den Premierminister, den Präsidenten. Die Passanten hören das und gehen schmunzelnd vorbei.

Was das indische Volk kennt, ist die Macht der Politik und der linken und rechten Politiker, der Landlords auf dem Lande, der durcheinander geratenen Kastenhierarchien und der Kriminellen, deren Hauptinteresse im wirtschaftlichen Aufstieg bzw. im Auferhalt Ihres Imperiums liegt. Nicht selten sind die Parlaments – und Landtagsabgeordneten Grundbesitzer, Eigentümer und Kriminelle mit Mord- und Raubdelikten, die sich durch und durch des Terrors bedienen und dadurch auch die Terroristen mal direkt und mal indirekt unterstützen, wenn es um Waffen und Geld geht. Bollywood, der indische Filmgigant, ist darin verwickelt und die Mafiosi Mumbais können sich nur dadurch behaupten.

Also nochmals: Wie sollen in diesem Strudel der politischen Korruption und verfeindeten Interessen der Inder die Sicherheitsmaßnahmen seitens des Staates und seitens der Armee verschärft werden? Das Land versucht schon... Aber man muss mit den wiederholten Rückschlägen weiterhin rechnen.
 

3.) DAS KOLONIALE ERBE & DIE BESTEHENDEN DISKRIPANZEN?!

Das heutige Indien hat den von den Briten bettelarm gemachten Subkontinent umgekippt: Im Jahr 1947 lebte über 2/3 der damaligen Bevölkerung Indiens unter der Armutslinie. Die Statistiken der Weltmacht sehen heute zwar anderes aus, die Armut grassiert jedoch weiter unter 300 Millionen des Milliardenvolks, und vor allem steht der Leitgedanke Indiens immer wieder auf der Bewährungsprobe: „Einheit in der Diversität".

Indien, der Traum oder die Wirklichkeit, basiert darauf, dass sie polyphonal-multilingual aus verschiedensten Hautfarben und Kulturkreisen jenseits des Himalayas als eine palimpsestartige Einheit bildet, indem das „Indische" die sämtlichen Divergenzen und Diversitäten eint – ohne einen Akt der Reinigung oder Wegradierung. Dieses Indische bildet das einzige Hauptthema von Nehru in seinem Kanonwerk „The Discovery of India".

Bei der Staatsgründung mit dem Premierminister Jawaharlal Nehru wurden die von den Briten kreierten Hunderte von Königreichen „Princely States" vereinigt. Es entstanden circa 20 Bundesländer. Daraus sind heute 28 geworden, weil die Regionen mehr Autonomien oder ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten. Der indischen Nation bleiben sie weiterhin treu, auch wenn ein Bundesland das andere weniger mag, beschuldigt oder sogar haut. Vor diesem Massaker herrschte die Hauptkrise in Mumbai und in Indien, wobei die zahlreichen Immigranten aus dem armen Bundesland Bihar in Mumbai geprügelt, erstochen und ermordet wurden. Die Gründe: Die Bihars nehmen uns unsere Jobs weg! Die Biharis sind schmutzig, und sie haben Mumbai beschmutzt. (Es sei erinnert, dass Mumbai immer ein Moloch und zugleich das Finanzzentrum Indiens gewesen sei)...

Bezüglich des in Flammen geratenen indischen Paradieses Kashmir mit den meisten Autonomieklauseln zettelt Rushdie in seinem Buch „Shalimar the Clown" den Streit weiter an:„Kashmir for Kashmiris, a moronic idea. This tiny land locked valley barely five million people to its name wanted to control its own fate... If Kashmir, why not Assam for the Assamese, Nagalands for Naga? Why shouldn't towns or villages declare independence, or city streets, or even individual houses?" Jene Tirade kommt aus dem Munde eines Militäroffiziers, also: vom indischen Staat.

Laut vieler muslimischer Politiker Kashmirs möchte Kashmir nicht bei Indien bleiben, weil Kashmirs Bevölkerung mehrheitlich aus Muslimen bestehe. Daher entweder zum Pakistan, zum muslimischen Staat. Oder ohne Indien.
 

4.) DIE RELIGIONEN?!

Die Mehrheit der indischen Muslime (derzeit circa 180 Millionen) betrachteten sich zuerst als Inder – wie die Hindus, Sikhs und die Christen. Dabei gab es und gibt es immer wieder Unterbrechungen aus unterschiedlichsten globalen Gründen und örtlichen Krisen. Dann rückt die falsche oder richtige Religion in den Vordergrund. Konsequenzen: Das sehen wir im Fernsehen, oder erleben es hautnah...
 


Anant Kumar
www.anant-kumar.de
Der Verfasser ist ein deutschsprachiger Autor indischer Herkunft. Er lebt und arbeitet in Kassel (Hessen). Er arbeitet jedes Jahr über vier Wochen in den Bildungseinrichtungen im indischen Hinterland. In Gangway befinden sich zahlreiche Beiträge von ihm.

Neuerscheinung 2008: Kumar & Corciova: -Ein Inder in Deutschland:-)-
27 Reisereportagen & 27 Grafiken, Wiesenburg Verlag Schweinfurt:
www.buchhandel.de
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VS Hessen, LIT Hessen e.V.
Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, Wuppertal

© Anant Kumar
3 December 2008

 


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