Robert Neumann

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Dieser Artikel behandelt den Schriftsteller Robert Neumann. Für den Badmintonspieler siehe Robert Neumann (Badminton).

Robert Neumann (* 22. Mai 1897 in Wien; † 3. Januar 1975 in München) war ein Schriftsteller und Publizist deutscher und englischer Sprache. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, autobiographische Texte, Theaterstücke und Hörspiele sowie einige Drehbücher. Durch seine Parodiensammlungen Mit fremden Federn (1927) und Unter falscher Flagge (1932) – erweiterte Gesamtausgabe in drei Bänden 1969 – gilt er als Begründer der „Parodie als kritischer Gattung in der Literatur der 20er Jahre“.

Leben[Bearbeiten]

Robert Neumann wurde als Sohn eines Bankbeamten jüdischer Abstammung und sozialdemokratischer Gesinnung geboren. Er studierte von 1915 bis 1919 Medizin, Chemie und ein Semester Germanistik in Wien. Er arbeitete als Effektenkassierer, Schwimmtrainer und Gesellschafter einer Lebensmittel-Importfirma, musste aber 1925 Konkurs anmelden. Danach war er kurze Zeit Matrose und Frachtaufseher auf einem Hochseeschiff.

Nachdem er schon 1919 und 1923 kleine Gedichtbände veröffentlicht hatte, gelang ihm mit der Parodiensammlung Mit fremden Federn 1927 der literarische Durchbruch. In einer Umfrage bezeichnete Thomas Mann das Buch als bestes des Jahres. Neumann war damit als freier Schriftsteller etabliert. In schneller Folge erschienen weitere Romane, Parodien und Theaterstücke. Daneben hielt er Vorträge und arbeitete als Literaturkritiker (Die Literatur, Die Literarische Welt). Seine Parodien waren so erfolgreich, dass sein sonstiges Werk dagegen verblasste. Rudolf Walter Leonhardt schrieb in seinem Nachruf auf Robert Neumann über diesen Publikumserfolg: „Zwei schmale Bändchen haben ein Lebenswerk von fünfzehn dicken Bänden begraben“.[1]

Neumanns Werke standen 1933 auf der Liste der von den Nazis verbrannten Bücher. Unmittelbar nach der Errichtung der austrofaschistischen Diktatur im Februar 1934 verließ er Wien und ging ins provisorische Exil nach Großbritannien. 1936 und 1937 verbrachte er einige Monate in Österreich, wo inzwischen die Bibliotheken ebenfalls von seinen Werken „gesäubert“ waren. Bis 1938 konnten seine Romane aber noch in der Schweiz erscheinen.

Als einer der wenigen Exilautoren konnte er auch in England veröffentlichen. 1936 schrieb er das Drehbuch für den britischen Film Abdul the Damned mit Fritz Kortner in der Hauptrolle. Nach der Besetzung Österreichs 1938 organisierte er in London den „Free Austrian P.E.N.-Club“ und versuchte, von Nazis bedrohten Schriftstellern zur Ausreise zu verhelfen. 1939 ersuchte er um die britische Staatsangehörigkeit, die er aber erst 1947 erhielt. Stattdessen internierte man ihn 1940 für einige Monate als „Enemy Alien“. In den Kriegsjahren lieferte er sporadisch Beiträge für die BBC. Ab 1942 erschienen insgesamt sechs Romane in englischer Sprache. Als Lektor und Teilhaber des Verlags „Hutchinson International Authors“ initiierte er die Publikation englischer Übersetzungen deutschsprachiger Exilautoren wie Arnold Zweig und Heinrich Mann. Sein Antrag auf ein Einreisevisum in die USA wurde trotz einer Einladung nach Hollywood abgewiesen. Rudolf Walter Leonhardt hielt den 1939 auf Englisch und 1945 auf Deutsch im Vereinigten Königreich erschienenen Roman An den Wassern von Babylon für Neumanns bestes Buch, es sei ein jüdisches Epos von überwältigender Eindringlichkeit. [2]

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs lebte Neumann bis Ende 1958 weiter in England, danach in Locarno-Monti im Tessin. 1947 wurde er Ehrenpräsident des wiedererstandenen Österreichischen P.E.N-Clubs. 1955 sprach er sich in seiner Schlussansprache auf dem Kongress des Internationalen P.E.N., in dem er 1950 einer der Vizepräsidenten war, gegen die „Kalter Krieg“-Parolen des P.E.N-Präsidenten Charles Langbridge Morgan aus und wurde dafür in der Presse als „Kommunist“ attackiert. 1971 forderte Neumann eine Neuorientierung des P.E.N gegen rechte Bestrebungen. Er initiierte die Abwahl des damaligen P.E.N-Präsidenten Pierre Emmanuel und schlug die Kandidatur von Heinrich Böll vor, der in einer Kampfabstimmung auch gewählt wurde. 1966 veröffentlichte er in der linksgerichteten Zeitschrift Konkret eine scharfe Polemik gegen die Gruppe 47 und namentlich gegen Hans Werner Richter, Walter Höllerer und Günter Grass.[3]

Zwischen 1959 und 1974 war Neumann weiter als Romancier, politischer Publizist und beachteter Literaturkritiker mit meist polemisch-satirischer Ausrichtung tätig, u.a. für Konkret, Die Zeit, Pardon, Tribüne, die Deutsche Zeitung – Christ und Welt sowie für alle ARD-Rundfunkanstalten. Gelegentlich veröffentlichte er auch im Spiegel und Stern (Zeitschrift). 1961 beschäftigte der Plagiatsstreit um seinen Roman Olympia Presse und Gerichte.

Neumann, der mehrfach in seinem Leben mit schweren Erkrankungen zu kämpfen hatte, erkrankte 1974 unheilbar an Krebs. Nach seinem Freitod – laut einer Mitteilung aus dem Familienumkreis – wurde er 1975 auf dem Friedhof München-Haidhausen beigesetzt. Sein Nachlass befindet sich in der Handschriftenabteilung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.

Familie[Bearbeiten]

Neumann heiratete 1919 in Wien Stefanie („Stefie“) Grünwald (1896–1975), mit der er den Sohn Heinrich Herbert („Heini“) hatte (1921–1944). Für ihn schrieb er 1944 den autobiographischen Text Memoirs and Journal of Henry Herbert Neumann, edited by his father. 1941 ließ sich Neumann scheiden und heiratete die deutsche Redakteurin, Lektorin und Übersetzerin Lore Franziska („Rolly“) Stern, geb. Becker (1908–1991), von der er 1952 ebenfalls geschieden wurde. 1953 heiratete er die deutsche Tänzerin Evelyn Milda Wally Hengerer (Pseudonym: Mathilde Walewska, 1930–1958) und bekam mit ihr den Sohn Michael Robert Henry (* 1955). 1960 heiratete er in vierter Ehe die Rundfunkredakteurin Helga Heller (1934–1976).

Auszeichnungen und Ehrungen[Bearbeiten]

  • Acting President des Austrian P.E.N. im Londoner Exil (1939-1947)
  • Ehrenpräsident des Österreichischen P.E.N-Clubs (ab 1947)
  • Vizepräsident des International P.E.N. (ab 1950)
  • Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse (1965)
  • Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold (1967)

Veröffentlichungen (in Auswahl)[Bearbeiten]

  • Gedichte, 1919
  • Zwanzig Gedichte, 1923
  • Die Pest von Lianora, 1927
  • Mit fremden Federn, Parodien, 1927
  • Jagd auf Menschen und Gespenster, 1928
  • Die Blinden von Kagoll, 1929
  • Sintflut, 1929
  • Hochstapler-Novelle, 1930, Neuauflage mit einem Nachwort von Evelyne Polt-Heinzl, WIENER LITERATUREN, Band 3 herausgegeben von Alexander Kluy, Edition Atelier, Wien 2012, ISBN 978-3-902498-61-8
  • Passion: Sechs Dichter-Ehen, 1930
  • Panoptikum: Bericht über fünf Ehen aus der Zeit. Wien: Phaidon 1930, 175 S.
  • Karriere, 1931
  • Das Schiff Espérance, 1931
  • Die Macht. Roman. Berlin, Wien, Leipzig: P. Zsolnay 1932, 586 S.
  • Unter falscher Flagge – Ein Lesebuch der deutschen Sprache für Fortgeschrittene (Neue Parodien), 1932
  • Sir Basil Zaharoff, der König der Waffen. Bibliothek Zeitgenössischer Werke, ein zum Zsolnay Verlag gehörendes Unternehme, Zürich 1934. Erste Ausgabe in Deutschland, Verlag Kurt Desch, München 1951; zahlreiche Wiederauflagen. Neuauflage mit einem Vorwort von Anne Maximiliane Jäger-Gogoll und Johanes Maria Becker, Edition Flaschenpost / Wunderkammer, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-941245-07-5.
  • Die blinden Passagiere. Bibliothek Zeitgenössischer Werke, ein zum Zsolnay Verlag gehörendes Unternehmen, Zürich 1935
  • Struensee: Doktor, Diktator, Favorit und armer Sünder (später Der Favorit der Königin), 1935
  • Eine Frau hat geschrien (später:“ Die Freiheit und der General“), 1938
  • Scene in Passing (Roman, dt. Tibbs), 1942
  • The Inquest (Roman, dt. Bibiana Santis, dann Treibgut), 1944
  • By the waters of Babylon, Dent, London 1939, Übersetzung aus dem Deutschen .Deutsche Erstfassung An den Wassern von Babylon, East West Publications, Oxford 1945, Erste in Deutschland veröffentlichte Ausgabe Desch, München 1954. Später zahlreiche Neuauflagen.
  • Children of Vienna, 1946 (dt. "Kinder von Wien“, Amsterdam: Querido, 1948)
  • Tibbs. Roman. Konstanz: C. Weller 1948
  • Blind Man´s Buff, 1949
  • Insurrection in Poshansk (Roman, dt. Die Puppen von Poshansk), 1952
  • Meine schöne Mama, 1956 (als „Mathilde Walewska“)
  • Mein altes Haus in Kent: Erinnerungen an Menschen und Gespenster (Autobiographie), 1957
  • Die dunkle Seite des Mondes, 1959
  • „Ausflüchte unseres Gewissens. Dokumente zu Hitlers 'Endlösung der Judenfrage' mit Kommentar und Bilanz der politischen Situation“, 1960
  • Hitler: Aufstieg und Untergang des Dritten Reiches: Ein Dokument in Bildern, 1961 (Unter Mitarbeit von Helga Koppel); parallel zum Film „Hitler“, Regie: Paul Rotha
  • Olympia, 1961
  • Festival, 1962
  • Ein leichtes Leben: Bericht über mich selbst und Zeitgenossen (Autobiographie), 1963
  • Der Tatbestand oder Der gute Glaube der Deutschen, 1965
  • Vielleicht das Heitere: Tagebuch aus einem andern Jahr (Autobiographie), 1968
  • „Vorsicht Bücher..“, „Dämon Weib…“,„Nie wieder Politik…“. (Erweiterte Gesamtausgabe der Parodien, 3 Bände), 1969
  • Deutschland deine Österreicher: Österreich deine Deutschen, 1970
  • Oktoberreise mit einer Geliebten (Roman), 1970
  • Ein unmöglicher Sohn (Roman), 1972
  • 2 mal 2 = 5: Eine Anleitung zum Rechtbehalten, 1974
  • * Franz Stadler (Hrsg.): Robert Neumann. Mit eigener Feder. Aufsätze. Briefe. Nachlassmaterialien. StudienVerlag, Innsbruck 2013, ISBN 978-3-7065-5081-9.

Literatur[Bearbeiten]

  • Hans Peter Althaus: Auf den zweiten Blick. Robert Neumanns Parodien als Spiegel der Literatur. Ed. Riveris, Trier 1994. (= Trierer Schriften; 2)
  • Friedrich-Martin Balzer (Hrsg.): „Operation Mauerdurchlöcherung“. Robert Neumann und der deutsch-deutsche Dialog. Bonn 1994 ISBN 3-89144-189-4
  • Richard Dove: „Fremd ist die Stadt und leer …“ Fünf deutsche und österreichische Schriftsteller im Londoner Exil 1933-1945 (Max Hermann-Neiße, Alfred Kerr, Robert Neumann, Karl Otten, Stefan Zweig). Parthas, Berlin 2004, ISBN 3-932529-59-6
  • Renate Heuer: Neumann, Robert. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 159 f. (Digitalisat).
  • Anne Maximiliane Jäger (Hrsg.): Einmal Emigrant - immer Emigrant? Der Schriftsteller und Publizist Robert Neumann (1897-1975). edition text+kritik, München 2006, ISBN 3-88377-845-1
  • Andrea Kriegner: Das Judentum im Romanwerk Robert Neumanns. Diplom-Arbeit, Universität Innsbruck 1992.
  • Rudolf Walter Leonhardt: Robert Neumann. Großmeister der Parodie, in: Zeitnotizen. Piper, München 1963, S. 135 ff.
  • Verena Ofner: Die historischen Romane Robert Neumanns. Eine Analyse. Diplom-Arbeit, Universität Wien 2004.
  • Georg Peter: Analytische Ästhetik. Eine Untersuchung zu Nelson Goodman und zur literarischen Parodie. Hänsel-Hohenhausen, Egelsbach u. a. 2002. (= Deutsche Bibliothek der Wissenschaften; Philosophische Analyse; 5), ISBN 3-8267-0024-4 (zugleich Dissertation, Universität Frankfurt am Main 2000)
  • Ulrich Scheck: Die Prosa Robert Neumanns. Mit einem bibliographischen Anhang. Lang, New York u. a. 1985. (= American university studies; Series 1, Germanic languages and literatures; 43), ISBN 0-8204-0252-4
  • Hans Wagener: Robert Neumann. Biographie. Wilhelm Fink Verlag, München 2007, ISBN 978-3-7705-4465-3
  • Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, ISBN 978-3-462-03962-7 (zu Neumann S. 199-201)

Belege[Bearbeiten]

  1. Rudolf Walter Leonhardt: Vielleicht das Heitere. In:Die Zeit vom 10. Januar 1975.
  2. http://www.zeit.de/1975/03/vielleicht-das-heitere/komplettansicht Vielleicht das Heitere
  3. Konkret 8/1966. Auch in: 30 Jahre Konkret, hg. v. Hermann L. Gremliza, Hamburg 1987, S. 88-93

Weblinks[Bearbeiten]

Bestand in den Katalogen der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
http://data.onb.ac.at/rec/AL00038751