Waldundwiesen-Kriminal-Erzählungen Teil 2/30

Prosa

Autor:
Mechthild Curtius
 

Prosa

Ried - Waldundwiesenkrimi

>Wir können gar nichts von der Seele sehen wenn sie nicht in den Minen sizt, die Gesichter einer grosen Versammlung von Menschen konte man eine Ge­schichte der menschlichen Seele nennen mit einer Art von Chinesischen Zeichen geschrieben. Die Seele legt, so wie der Magnet den Feilstaub, so das Gesicht um sich herum und die Verschiedenheit der Lage dieser Theile bestimmt die Verschiedenheit dessen, das sie ihnen gegeben hat. Je länger man Gesichter beobachtet, desto mehr wird man an den sogenannten nichtsbedeutenden Gesichtern Dinge wahrnehmen, die sie individuell machen. <                                      Georg Christoph Lichtenberg


In Furchen und Ackervertiefungen stehen Schneeschmelze-Seen zwischen sandig-hellem und schwerem schwarzen Boden. Riesenpflugschollen neben Kohlresten und Rosenkohl stauden vom Vorjahr, nach Windeln stinkt der faulende Weißkohl. Diesiger Himmel überspannt das platte Land als bleiweißer Schirm. Der schnurgerade Horizont teilt das untere Drittel aus Ackerbraun ab von den zwei oberen aus Wolkengrau. Molkenbläuliche Himmelsglocke, gestülpt über leeres Feld. Nützliche Kleckse darunter sind Getränkesilos und Industriebaracken aus Blech und Beton. Spargelhäufelfelder mit Schuppen dazwischen dehnen sich ad bis zum Horizont hin, den die Frau mit den Augen absucht. Hinter der Straßen-krümmung kündigt sich die Nähe des Altrheins an in überalterten Riedbüscheln vom Vorjahr, die von abwechselndem Regnen und Trocknen, Schneebelag und Tauwetter ausgebleicht sind. Als der Altrhein sich zeigt mit Kieshaufen und quetschenden Kähnen, hält die Frau an und steigt aus. Wasser gluckst und Riedbüschel rauschen, die sich reiben im Wind. Uber die wie in japanischen Garten gebogene Brücke geht die Frau zu FuB hinein in das Naturschutzgebiet, Kühkopf genannt. Möwen fliegen kreischend von den Geländern und weiter über den ehemals überfluteten Urwald, als sie das bewegte Lebewesen sehen und harte Tritte auf dem Beton hören, die unter die Brücke hallen und von dort verstärkt über Altrhein und Uferland hin. Baumleichen liegen breit und ausgelaugt als Holzgebein zwischen senkrecht oder windschief stehenden Weiden. Elefantenbeinstämmig und ebenso rissig und grau, auch ebenso kurz, ragen sie aus einer Spiegelschicht, grausilbern von Eis, das halbfortgetaut sein muss; die Markierung dunkelfarbender Feuchtigkeit an den Baumrinden zeigt einen Meter höher den ursprünglichen Wasserstand und die Höhe der daraus entstandenen Eisplatte an. Knorzig die Weidenköpfe, abgebrochen manche von ihnen, wo nicht ihre Haare gelb und struwwelpeterstrack aus den Erlenkönigstirnen in den Tropfhimmel stieren. Geisterwald in der Vertiefung links und rechts von den Dämmen, auf denen sie geht, klopfend und tapsend die Schritte auf ihrem festen Boden, schmatzend im schwarzen Matsch der Böschung und rutschend, sodann die Tritte auf knirschendem, bald berstendem Eis, das den Riedboden zwischen den stehenden und liegen den Stammen überzieht wie ein hier und da zerspringender Spiegel, den sie auch hört. Es knirscht und zerrt leise die unter Spannung stehende obere Eisplatte; der Ton mischt sich in der Nachmittagstille mit dem Klopfen der Tropfen von schmelzendem Eis, die von den karstigen Eiszacken in das moorige Mischmasch aus Brackwasser, rostbraun und ölig, und aus schwärzlichem Erdreich fallen. Die Frau steht und lauscht, froh, allein zu sein, denn Zeugen kann sie nicht brauchen. Silbern die Eisplatte unter den Schuhen, silbrig der Koffer, der beim Gehen gegen ihr Bein schlägt, wenn auch Bein und Arm tun, als sei er nicht da. Angespannt, als ginge es um nichts anderes als um Blicke für Bilder und um Ohren für Tone, lauscht und beobachtet sie, schaut haargenau hin:
Wie in Kristall eingefroren Riedfasern tot und frischkeimende Gräser, ein schwarzer Stein ragt halb aus dem Eis ne¬ben eingewinterten Blüten. Hohe Stamme voller Moos modrig riechend und Baumschwamme geriffelt und pelzig, Baumstümpfe grünorange blühend vor Fäulnis im Brackwas¬ser; und wenn auf einmal das Licht einfallt durch die Que¬sprünge der halbfortgetauten Eisplatte, funkelt die Ölschicht im Faulwasser darunter regenbogenbunt auf. Hinter dem Urwald lichtet sich's, wird heller hinter den Stammen. Die Frau, stets auf der Suche, folgt dem Weib und erkennt, dass es vom offenen Wasser des Altrheins herrührt, der sich zu einem See gestockt hat, und vom bleiweißen Himmel über der schillernden Flache, deren Faulduft und Sumpfgesicht die schwimmenden schimmelnden Pflanzen und Baumreste vermehren.

Da nimmt die Frau anscheinend die Gelegenheit wahr. Halt an, bückt sich und lässt den Koffer ins struppige Gras gleiten, beugt sich ihm nach und klappt ihn mit einem jähen Ruck auf, begleitet von schnappendem Laut. Außen Silberkoffer wie Fotografenaus-rüstungsstück, innen Silberfolie auch, das glänzt wie Wasser und Eis, und das ist kalt, so wie sie es aus dem Koffer heraushebt, das ist allem Anschein nach schwer und langsam zerlaufend, jedenfalls tropft es aus den Folien knittern wie aus den zerklüfteten Eisplatten im Tauwetter-Nachwinter jetzt. Die Frau legt den silbern eingewickelten Gegenstand wieder zurück in den Koffer, bettet ihn sorgfältig wie ein Kind, richtet sich auf und sinnt nach.  Sieht sich sitzen mit ihm am Tisch, Frühstücks- gespräche, die früher die schönsten waren, heute nur Höflichkeitsfloskeln, Liebe fort, Leidenschaft nicht, lieblos sie beide, lau nicht. Es kocht in ihr, und sie hegt eine einzige Leidenschaft, Hass. Wie ist das gekommen? Wie das gekommen sein soll?

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