Eskapismus - Verwandlung der Welt

Essay

Autor:
Ulrich Bergmann
 

Essay

Eskapismus - Verwandlung der Welt

Ich behaupte - in einfachen Worten -, dass ein Dichter von einigem Rang nicht nur ein Handwerker, ein in Worten geübter Mensch ist, der nach vorhandenen Schemata in einer konventionellen Sprache gute Bücher schreibt, sondern aufgrund genauer Beobachtungen und naher Erfahrungen sich derart in seine Inhalte vertieft und so speziell darin wird, dass er sich darüber am Ende kaum noch mit einem anderen unterhalten kann und immer einsamer wird, zumal er zur Darstellung seiner Erfahrungen und Visionen (egal wie intendiert diese sind) neue Strukturen und neue Sprachen entwickelt, die ihn verstärkt in eine hermetische Position bringen. So erfährt der Dichter eine doppelte (oder ineinandergeschachtelte) Hermetik.

Was ist nun das Eskapistische daran?
Es ist auch ein Doppeltes: Der Dichter muss die Welt verlassen, um eine neue Perspektive zu ihr entwickeln zu können. Er bleibt natürlich, weil er leben will, in dieser Welt, er tritt aber geistig aus ihr heraus, um diese neue Perspektive zu gewinnen.
Der zweite Aspekt besteht darin, dass er die erfahrene und in Dichtung umgesetzte Welt flieht, weil er sie jetzt noch weniger ertragen kann als vorher. Er sublimiert.
Diesen zweiten Aspekt kennt jeder, der nach dem Stress des Tages ins Kino geht oder ins Bistro oder ein (leichtes oder schweres) Buch liest. Nach den Mühen der Ebenen will jeder in die Leichtigkeit des Seins einsteigen, in eine Fiktion oder in eine kurzfristige Harmonie der Dinge in der Umgebung. Eskapismus wird man so eine verständliche und nützliche Haltung nicht nennen können.
Wer aber aus der Realität flieht, um ihr überwiegend oder ganz zu entgehen - etwa in komplexen Computerspielen -, der verhält sich eskapistisch. Allerdings nicht wie ein Dichter. Dessen Eskapismus ist gerechtfertigt durch eine Auseinandersetzung mit der Welt und seiner Beziehung zur Welt, also auch mit sich selbst, diese Arbeit wird produktiv in einem schriftstellerischen Werk.

Der so beschriebene Dichter gelangt durch eine besonders tief erfahrene (oft auch erlittene) Weltberührung bei gleichzeitiger Distanz (Isolierung) zu einer neuen Sicht der Welt in einer neuen Sprache in neuen Schreibstrukturen.

 

Originalbeitrag

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