Ein Gespräch

Interview

Im Gespräch:
Jochen Arlt und Rüdiger Fischer
 

Interview

Angenehme Pfade am Hang. Jochen Arlt im Gespräch mit dem Übersetzer und Lyrikverleger Rüdiger Fischer.

Gezielt Interessierte an unserem Dialog dürften nicht nur die aktuelle "Éditions En Forêt"-Gesamtübersicht begrüßen. Vielmehr, so stelle ich mir vor, wären einige Empfehlungen dazu hilfreich. Möglich, dass der Verleger zwei, drei ihm wichtige Bücher stellvertretend als Vorschläge, Tipps herausstellt? Gerne mit Leseproben ...

Wichtig? Zuerst „Eine Oper für Terezin“ von Liliane Atlan, ausnahmsweise keine Lyrik und nur auf Deutsch. Ein Buch, dessen einer roter Faden die Schwierigkeiten der Musiker in Theresienstadt sind, „Die verkaufte Braut“ aufzuführen. Dann: Gérard Bayo, meiner Meinung nach der wichtigste französische Lyriker heute. Ich habe sieben Bücher von ihm veröffentlicht, mehr als von jedem anderen Autor. Ein Gedicht, durch das Aufschlagen des letzten Buches ausgewählt (Lichtwände, 2010):

 

WAS ES NIE GEGEBEN HAT

 

Bei der Gabelung an den Gemüsegärten, Glockenturm

der Pappeln,

senffarbene Knospen. Jedenfalls

nichts Erfundenes.

 

Um mit eigenen Augen zu sehen,

genügte das:

 

was für uns Schönheit ist.

 

Rascheln der Ähren

im friedlichen Wind, von weit her gekommen,

von so weit her.

 

Abgesehen von der quälenden Angst

um die Ernte.

 

Eben da war das,

unerwartet wie das Leben über seinen

und deinen Tod hinaus:

 

das nichts weniger als unbestechliche,

erkennbare Leben.

 

(Landstraße nach L’Isle-sur-Serein)

 

Ein drittes? Hier der Anfang des Gedichts „Die Frau von Cro-Magnon“ von Bluma Finkelstein:

 

Kleid, Schuhe, Mantel,

hübscher Hut, hohe Absätze,

Büstenhalter, rotes Höschen,

schwarze Strümpfe, Fransen, Spitzen,

die ganze Ausrüstung.

Ich bin eine Frau, ich mache mich schön,

ich kichere wie ein kleines Mädchen,

vor dem alten Spiegel, um die zehn Jahre

deiner Pensionierung zu feiern.

 

Bei Waffenruhe schläfst und träumst du

abends am Feuer. Ich weiß, du bist taub,

ich tobe mich aus, ich gurre wie eine Taube

auf dem Dach. Das Essen ist fertig, der Tisch ist aufgeräumt,

die Kinder sind fort, du schnarchst, deine Pantoffeln schnarchen,

dein Körper ist ein einziges langes, tiefes Schnarchen,

mein Geliebter. (...)

 

Das steht in dem Buch „Frauen von Cro-Magnon“ (2011), das fünf Lyrikerinnen vorstellt: Nazand Begikhani (Kurdistan / Irak), Mona Daher (Palästina), Bluma Finkelstein (Israel), Siham Issami (Marokko), Nidaa Khoury (Palästina).

Es versteht sich, dass in Ihrem Verlagsprogramm der exemplarisch länderübergreifende Pierre Garnier präsent ist wie der große amerikanische Lyriker Cid Corman. Zudem unversehens erwähnt der marokkanische Poet Abdellatif Laâbi oder Liliane Wouters, bedeutende belgische Autorin, für "Journal du scribe -Tagebuch des Schreibers" in Hamburg gar mit dem Montaigne-Preis gewürdigt. Ein Alphabet der Wahrheit aus Einfachheit und Raffinesse, Natürlichkeit und Strenge die Strophen der 17 deutschen Dichterinnen und Dichter in "Odeur de feu - Geruch von Feuer". Ach, genug der Empfehlungen. Beschert Ihnen das Multi-Kleinstunternehmen Verlag Im Wald anhaltende schöpferische Glücksmomente?  

Schöpferische nicht, aber, wie zu Beginn gesagt, entdeckerische. Es ist toll, einen Lyriker wie Jean Rousselot vorzustellen (der mich, als er schon über 80 war, darauf aufmerksam machte, daß er „noch nie in die Sprache der Nibelungen übersetzt worden“ sei), den Autor von 150 Büchern, Shakespeare-Übersetzer undsoweiter.

Ist's Ihnen ein Trost hinsichtlich schleppender Auflagesteigerungen, dass Konstantínos Kavafis zu Lebzeiten kein einziges Buch veröffentlichte, vielmehr seine Verse auf Zetteln rundum verteilte? Heute gehört Kavafis zu den wichtigsten Lyrikern Griechenlands mit vielgekauften Werk- oder Einzelausgaben ...

Trost brauche ich nicht, da ich ja nur an mein Vergnügen denke. Und: ob ein Kavafis unter meinen Entdeckungen ist, wird sich in hundert Jahren herausstellen. Aber schon jetzt ist es schön, dass ich mir sagen kann: die Gedichte von Robert Bly sind auf Deutsch zum ersten Mal Im Wald erschienen!

Ach ja: Rüdiger Fischer, der Verleger, Übersetzer, Essayist, der Multiplikator wie Organisator. In welcher Reihenfolge sehen Sie sich selbst?

Ich hab sechs Jahre vergeblich nach einem Verlag für meine Übersetzungen gesucht, das Übersetzen ist also vorher da und wichtiger. Die übrigen Titel haben nicht viel mit mir zu tun.

Sie haben im Laufe Ihrer literarischen Tätigkeiten in satt Tausenden von Gedichten die Sicht des Lebens, der Dinge oder der Phantasie weitergereicht. Entstanden dabei Antworten auf Fragen nach dem, was gegebenenfalls bleiben, was uns überleben könnte? 

Die Antworten, die - für mich! - entstanden, müssen immer wieder neu gesucht werden, und sie müssen jetzt oder zumindest schnell wirken; was danach mit ihnen geschieht, müssen die sagen, die sie danach kennenlernen. Zum Beispiel (bei Gérard Bayo zu finden): „Dépêche-toi d’aimer - Beeil dich zu lieben“.