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Essay
Die anziehende, herausfordernde Wortlosigkeit der Tiere. Ulrike Draesner begibt sich in die Nachbarbereiche des Gedichts.
Februar 2012
Tiere in Gedichten sind ein leidiges und herrliches Thema. Ich denke nicht an Rilkes Panther! Sondern an Gedichte, in denen Tiere selbst sehen, fühlen, sprechen. Nie werde ich vergessen, wie sehr mich Ted Hughes‘ Crow, ein Zyklus von fast 90 Gedichten, innerlich sprachlos ließ vor Aufregung, Staunen und Freude. Die Gedichte fassen das Leben Crows; sie erleuchten, was es heißt, ein Wesen vom Schlag „Krähe“ zu sein.
Oder als ich das Kuhgedicht von Les Murray in Rotterdam hörte. Es nahm mich mit / riss mich hin, wie der australische Dichter das Wortperspektivzoom zunächst in dem schlichten Wort „me“ handhabte, um zum Ende Blick, Kuh und Leben nach oben, geradezu physisch fühlbar über das Dach des Theaters hinaus zu ziehen. Noch nie hatte ich das Wort „sky“ so körperlich begriffen, nie Wolken ohne jede Metapher so verwandelt gesehen.
Tiersprache 1
The Cows on Killing Day
(Les Murray: New Collected Poems, 2002)
All me are standing on feed. The sky is shining.
All me have just been milked. Teats all tingling still
from that dry toothless sucking by the chilly mouths
that gasp loudly in in in, and never breathe out.
All me standing on feed, move the feed inside me.
One me smells of needing the bull, that heavy urgent me,
the back-climber, who leaves me humped, straining, but light
and peaceful again, with crystalline moving inside me.
Standing on wet rock, being milked, assuages the calf-sorrow in me.
Now the me who needs mounts on me, hopping, to signal the bull.
The tractor comes trotting in its grumble; the heifer human
bounces on top of it, and cud comes with the tractor,
big rolls of tight dry feed: lucerne, clovers, buttercup, grass,
that’s been bitten but never swallowed, yet is cud.
She walks up over the tractor and down it comes, roll on roll
and all me following, eating it, and dropping the good pats.
The heifer human smells of needing the bull human
and is angry. All me look nervously at her
as she chases the dog me dream of horning dead: our enemy
of the light loose tongue. Me’d jam him in his squeals.
Me, facing every way, spreading out over feed.
One me is still in the yard, the place skinned of feed.
Me, old and sore-boned, little milk in that me now,
licks at the wood. The oldest bull human is coming.
Me in the peed yard. A stick goes out from the human
and cracks, like the whip. Me shivers and falls down
with the terrible, the blood of me, coming out behind an ear.
Me, that other me, down and dreaming in the bare yard.
All me come running. It’s like the Hot Part of the sky
that’s hard to look at, this that now happens behind wood
in the raw yard. A shining leaf, like off the bitter gum tree
is with the human. It works in the neck of me
and the terrible floods out, swamped and frothy. All me make the Roar,
some leaping stiff-kneed, trying to horn that worst horror.
The wolf-at-the-calves is the bull human. Horn the bull human!
But the dog and the heifer human drive away all me.
Looking back, the glistening leaf is still moving.
All of dry old me is crumpled, like the hills of feed,
and a slick me like a huge calf is coming out of me.
The carrion-stinking dog, who is calf of human and wolf,
is chasing and eating little blood things the humans scatter,
and all me run away, over smells, toward the sky.
Manchmal gelingt es einem Gedicht, die menschliche Perspektive aufzugeben, obwohl es sich menschlicher Sprache bedient, Gedichtregeln folgt, Erzählregeln, der (menschlichen) Zeit. Es wechselt in ein anderes Lebewesen, überspringt unsere Zweifel, unseren Nichtglauben, indem es an das Menschliche rührt, das wir im Tier ahnen oder befürchten. Gedichte dieser Art sind Fiktionen mit einem kleinen Dreh – mithilfe des falschen Gebrauchs von „me“, Wahrnehmungssprüngen, fehlendem Vokabular und der Wiedergabe innersten Kuh-Körpergefühls imitieren sie die Wahrnehmung der Kuh so, wie wir uns Kuhwahrnehmung vorstellen. Bald können wir uns, als Leser an Identifikation gewöhnt, ja, darauf ausgerichtet, gegen das vom Gedicht suggerierte Ich-Kuhsein nicht mehr wehren. Dem Übergang über die eine Grenze lässt sich ein zweiter, noch unwahrscheinlicherer anschließen. Auch er gelingt: In Gestalt der Kuh treten wir durch den Tod über das Leben hinaus.
Das Gleiten der Sprache im Gedicht. Wir hören das innere Sprechen einer Krähe, einer Kuh, eines Baums. Romantisch? Nein. Neurologisch-empathisch? Vermutlich. Im Kern aber: Teil unserer eigenen, inneren Verfasstheit in Sprache.
Wir können uns unser Innenleben nicht anders als sprach-förmlich vorstellen, selbst wenn wir uns vorstellen, dass dem nicht so ist (auch diese Vorstellung vollzieht sich in sprachlicher Form). Zu diesem Ergebnis kommen, wenn auch auf sehr unterschiedlichen Wegen, Jacques Lacan und Ludwig Wittgenstein. Die Struktur unseres Fühlens, Wahrnehmens und Wissens über uns selbst ist, durchaus variantenreich in der Taktung, zumindest in der menschlichen Welt jenseits der Infantilität sprachlicher Art. Das Erlernen von Sprache war kein unschuldiger Akt – nun sitzt sie im Körper. Auch er, indes, sitzt in ihr. Dazu später mehr. Auf dieses Umschlagen, die Sprünge um diese Grenze oder Naht, kommt es mir bei Gedichten an. Immer wieder höre oder sehe ich sie darauf zielen, auch und gerade im Tiergedicht.
Leichter als Prosa und um vieles leichter als der Film vermag Poesie beides zu sein: irreal und konkret. Tiergedichte geben fremde, immer „nur“ erfundene Sprachkörperlichkeit wieder, verbunden mit realer Menschenkörperlichkeit (Sprechrhythmus, Nervenrhythmus); sie verrücken Sprache zugunsten eines eigentlich unzugänglichen, vorgestellten Erlebens.