Essay
Einiges über die Null
Man integrierte sie logisch in die bekannten Rechenoperationen, wobei die Division Probleme machte, weil man keine eindeutigen Ergebnisse definieren konnte. Einige namhafte Mathematiker kamen auf die Idee der Division durch Null den Wert „Unendlich“ entgegenzusetzen. 1 : 0 = Unendlich. Das mathematische Denken dazu ist einfach: bspw. ergibt 1 : 1 = 1. Verkleinert man nun den Divisor schrittweise und nähert ihn immer mehr dem Wert 0 an, vergrößert sich automatisch das Ergebnis. 1 : 0,001 = 1000. 1 :0,000000001 = 1000000000. Schließlich landet die Operation mathematisch bei unendlich. Da die Division eigentlich die Frage nach einer fortgesetzte Subtraktion beantwortet (Bsp.: wie oft muss ich 3 von 21 abziehen um 0 zu erhalten = 7 mal) und dabei operativ die Elimination eines Wertes betreibt, müsste eine Division durch 0 verschieden mächtige Unendlichkeiten erzeugen: man kann von 1 unendlich oft 0 abziehen, um 0 als Ergebnis zu erhalten und bspw. von 5 eben fünfmal soviel unendlich oft 0 abziehen, um 0 als Ergebnis zu erhalten. Aber natürlich macht das keinen Sinn: ziehe ich bspw. von 5 Null ab, dann bleibt der Ausgangswert immerfort bestehen und es löst sich kein Ring auf, den eine Division als Umkehr einer Multiplikation eigentlich in Teile zersetzen sollte. Die Operation funktioniert logisch nicht, weil das Unversehrtlassen eines Ausgangswertes keine Operation ist.
Auch beim Multiplizieren mit der Null wird das eigentliche Scheitern der Operation ignoriert und man nennt dieses Scheitern „Null“. Das Nichtstattfindenkönnen erhält damit den Rang eines Ergebnisses und die Multiplikation mit Null den Rang einer Kausalbeziehung. Wenn ich zu „a“ nichts hinzuaddiere und von „a“ nichts wegnehme, spielt die Null die Rolle eines „neutralen Elements“, dessen kennzeichnende Bewirkung die Nichtveränderung von „a“ ist. Wenn ich a mit nichts multipliziere, also keine Operation an „a“ ausführe, bekomme ich als Ergebnis „keine Operation ausgeführt“ und nenne das „Null“. Der Prozess einer nicht ausgeführten Operation erhält den Wert „Null“. Die Kausalbeziehung des Nichtstattfindens ist aber eine andere als die des Stattfindens. „Wenn ich a x-mal tue, wird b die Folge sein“ ist eine andere Beziehung, als „wenn ich a nicht tue, wird b die Folge sein“. Die Zahl Null verschluckt diesen kausalen Unterschied.
Mathematiker sind äußerst scharfsinnige Denker: man kann das Geschehen a mal 0 = 0 definitionsgerecht auch drehen zu 0 mal a = 0, was eine gleichwertige Operation ist und sagen, ich habe nicht a mit nichts multipliziert, sondern ich habe die Null a-mal aneinandergereiht, einen Ring aus a-mal Null aufaddiert und diese Operation erhält den Wert „Null“. Die Null im Prozess „absorbiert“ alle operationellen Anstrengungen, heißt es. Die Kausalbeziehung zu dieser Interpretation sieht dann folgendermaßen aus: „wenn ich nichts a-mal tue, wird b die Folge sein“.
All diese Kausalbeziehungen werden gleichgesetzt. Man kann es nur, wenn man mathematisch „spricht“ und verdingte Werthaltigkeit auch für ein Nichtgeschehen einführt. Man verdingt etwas, das gar nicht da ist, gibt ihm einen Körper. Man kann plötzlich etwas haben, was es nicht gibt. Das nicht haben wird zum „Nichts“ haben. Die Unstimmigkeiten fallen sofort auf, wenn man die Sätze in normale Sprache bringt. Das Nichts in der Mathematik ist verdinglicht.
Dabei ist es nicht unerheblich, warum ein „Nichts“ existiert, ins Existieren kommt. Wenn eine Operation zu keinem zählbaren Ergebnis führt (a mal x = 0), hat das eine andere Wertigkeit, als wenn eine Operation unterlassen wird (a mal 0 = 0). Wenn ich die falsche Nummer anrufe und kriege keinen Empfang, ist das etwas anderes, als wenn ich keine Nummer anrufe. Die Null am Ende meiner Operation enthält mehr Information, als die Null am Ende meiner Nicht-Operation. Nullen sind also nicht „gleichwertig“, sondern kontextsinnige Ergebnisse. Im Prinzip darf das Ergebnis meines Nicht-Anrufens nicht mit dem Ergebnis meiner Operation gleichgesetzt werden (a mal 0 = a mal x).
Wir sind uns wahrscheinlich einig: man kann eine Operation nicht „null mal durchführen“. Entweder man tut etwas oder man tut etwas nicht. Mathematik ist: man kann eine Operation null mal durchführen, indem man sie mit Null durchführt.
Dabei ist es physikalisch völlig unmöglich etwas mit „Nichts“ zu tun und damit nichts außer „Nichts“ zu erzeugen. Wenn ich Energie aufwende, um eine Operation mit „Nichts“ durchzuführen, schlüge zumindest dieser Energieaufwand irgendwo zu Buche. Das Operieren mit der Null muss als Realität eine Nicht-Operation sein.
Das Ergebnis „Null“
Wir haben gesehen, dass Ergebnisse von Handlung und Nicht-Handlung gleich „Null“ sein können. Sie sind allerdings nur numerisch gleich. Kein Ergebnis zu bekommen, kann viel weitergehende Bedeutungen mit sich tragen, als es die Null ausdrückt. Das Ergebnis meiner Operation Anruf öffnet ein Portefeuille an möglichen Begründungen für das Scheitern meiner Bemühung. Während ein unterlassener Anruf zu allen Zeiten das immer gleiche Null-Ergebnis generiert.
Die „Null“ als Ergebnis von Operationen hat einen logischen Wert, wenn sie nicht aus Null-Operationen stammt (oder anders herum: Null-Ergebnisse aus Null-Operationen sind wertlos). Will sagen: die Null hat ein Bedeutungskleid an. Selbst die Sprache der Mathematik spricht sinnvoll nur im Kontext. Die Null hat neben der Quantität auch eine Qualität. Einmal ist sie folgerichtig und willkommen, ein andermal bedeutet sie das Ende einer Theorie. Sie steht in einer ganz bestimmten Beziehung zum Gesagten. Das eine Mal umreißt sie scharf und macht gültig, das andere Mal verdunkelt sie und frisst das Licht wie ein schwarzes Loch.
Die Null hat eine dynamische Mächtigkeit, die mit dem um sie herum Gesagten einhergeht, weil sie sich als Größe oder als Aussage gegenüberstellt. Das einerseits Gesagte steht dem Nichts gegenüber und zeigt sich als unsagbar oder als wahr.
„Das Nichts hat keine Mitte, und seine Grenzen sind das Nichts. Unter den großen Dingen, die unter uns zu finden sind, ist das Sein des Nichts das Größte.“ sagte schon Leonardo da Vinci. Dieser Satz funktioniert auch aus einem gedachten Gegenspiel. Wir denken uns das Größte, das wir denken können, und denken uns dieses umgeben von Nichts. Schon ist das Nichts „größer als“. Das Sein des Etwas spielt gegen das Sein des Nichts, und weil um das Konkrete, das seiende Etwas, etwas herum ist, das nicht das Seiende selbst ist und auch sonst nichts, muss das Nichts eine allumfassende Ausdehnung und Gegenwart haben. Es wird in unseren Gedanken zu einer Entität.
Der Empiriker Rudolf Carnap hat auf diese übertriebene, fälschliche Nutzung des Begriffs „Nichts“ hingewiesen und ausgeführt: Sätze, die den Ausdruck „das Nichts“ beinhalten, fallen in die Klasse der sinnlosen Sätze, die keinen empirischen Gehalt haben und unmöglich verifiziert werden können. Er wollte damit dem Philosophen Heidegger dessen „Nichts“ um die Ohren hauen, der es in seiner eigenwilligen Sprachführung sogar aktiv „nichten“ lässt. Es kann dabei unsere Rechnerei mit Null gleich mit an diesen Pranger. Das als Null verdinglichte Nichts ist auf die gleiche Weise sinnlos.
Rudolf Carnap 1891-1970 Source: IEP