Mit der Schere in der Tasche

Aufsatz

Autor:
Simone Trieder
 

Essay

Eine Poetikvorlesung von Herta Müller im Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Ich kannte sie nicht. Hatte gehört, dass sie den Literaturnobelpreis bekommen hat. Der Titel ihres Buches: Atemschaukel. Ach, dachte ich, das ist mir zu konstruiert, so mit Gewalt poetisch. Dennoch freute ich mich, dass eine Frau aus Rumänien mit zweisprachigem Hintergrund, mit den Securitate-Erfahrungen diese Ehrung erfährt. Wir saßen, Christian und ich, nachmittags bei Kerzenschein und Wein und dachten über die Dichter in Sachsen-Anhalt nach. Sollten wir dieses Land nicht endlich dichterfrei machen? 
Da sagte Christan, am Sonnabend fahre er mit Christine nach Leipzig zu Herta Müller. Oh, kann ich mit? Ich wollte eine Nobelpreisträgerin von Nahem sehen. Am Sonnabend war es kalt und als die beiden kamen, sagte ich: hach, ich bin aufgeregt. Wir fuhren mit meinem kleinen roten Auto nach Leipzig. Mit dem letzten Tropfen Benzin erreichten wir den Gerichtsweg, wo sich das Literaturinstitut befindet, dort studiert Christian, dort sollte Herta Müller sich den Fragen der Studenten stellen. Wir kamen in ein kleines Café. Sascha Kokot war da und ich fragte ihn nach einer Tankstelle. Er brachte mich hin. Und erzählte, dass Herta Müller später käme, sie sei 120 Kilometer vor Leipzig mit dem Auto liegengeblieben. Ich sag, sollen wir ihr entgegenfahren? Er hatte auch schon daran gedacht, aber sie sei nun schon auf dem Weg. Es rührte mich, dass die Nobelpreisträgerin mit einem so alten Auto fährt, das unterwegs liegenbleibt. Sascha aber meinte, 120 Kilometer vor Leipzig, das ist wohl vor ihrer Haustür in Berlin. Er glaubte an eine Ausrede, die ihr verziehen sei, schließlich waren alle glücklich, dass sie diesen lange ausgemachten Termin nicht abgesagt hatte, vor lauter Nobelpreistrubel. Zurück im Café, saßen da die Literaten von morgen, hübsche Mädchen mit dünnen keck in die Gegend stiezenden Rattenschwänzchen und düstere skurril gekleidete Jungs. Vor mir lag ein Plan, es war der Einsatzplan des Literaturinstituts zur Poetikvorlesung Herta Müllers. Teil eins im Institut im kleinsten Rahmen, Teil zwei im Alten Rathaus mit den Massen. Erst jetzt begriff ich, dass diese Reihe, in der im vergangenen Jahr Uwe Tellkamp gelesen hatte, eine gemeinsame Veranstaltung des Literaturinstituts und der Stadt Leipzig ist. Respekt. Auf dem Plan stand: Ankunft Herta Müller um 14 Uhr, dann sollte sie ins Hotel gebracht werden und um 15 Uhr wurde sie im Literaturinstitut erwartet. Es war schon halb vier. Im Plan waren Studenten eingeteilt, die für die Vorlesung im Alten Rathaus die VIPs in Empfang nehmen sollten. Einige von diesen Studenten saßen im Café. Sie haben sich im Internet die Fotos ausgedruckt und hatten nun Angst, ihre VIPs nicht zu erkennen. Der Plan war mit penibler Vagheit ausgeführt, welcher Redner vorausssichtlich wieviel Minuten reden wird. Ein Student für den Wechsel der Wassergläser dingfest gemacht. 18 Uhr sollte die Vorlesung im Alten Rathaus beginnen. Für 19.15 Uhr war ein Abendessen mit Honoratioren vorgesehen. Wo das sein sollte, stand nicht dabei. Aber, wer daran teilnehmen durfte. Der Oberbürgermeister von Leipzig mit Begleitung, die ganzen anderen Geldgeber mit Begleitung. Die drei Chefs vom Literaturinsitut mit … nur bei Treichel stand Begleitung mit Fragezeichen. Es gab auch Vorgaben, dass nicht mitgeschnitten werden durfte, fotografiert, ja, und beim Signieren durfte nur ein Buch pro Person vorgelegt werden. Listen mit Namen der Studenten und für welche Aufgaben sie zuständig waren. Eine Gästeliste, darauf entdeckten wir Christian Eger, unseren Literaturredakteur von der MZ. Christine stelle mich einer Studentin vor: das ist eine von den wenigen Schriftstellern in Sachsen-Anhalt, die vom Schreiben lebt. Wie geht das, fragte mich die Studentin. Dabei fiel mir ein, dass in der Sonderschule, in der ich zu den Landesliteraturtagen Sachsen-Anhalt lesen durfte, mich eine der drei Lehrerinnen fragte: Was schreiben Sie? Ich überlegte eine Weile und sagte, sehr vorsichtig: Bücher.
Eine Studentin nahm das satt einen soften Song swingende Handy ihrer Kommilitonin, die zum Rauchen draußen war, ans Ohr, und meldete unsicher in die Runde: Ich glaube, wir sollen kommen.  
Wir zogen hinüber ins Literaturinstitut, wo die Veranstaltung im Foyer sein sollte. Es waren nur wenige Studenten da, Christine und ich die einzigen „Eingeschleusten“. Dann beugte sich Josef Haslinger über das schöne alte Treppengeländer und sagte, wir gehen in den Seminarraum und die Studenten sollen bitte Fragen parat haben, damit „man nicht so stumm voreinander sitze“. Ich bekam Angst, dass man uns als Nichtstudierende aussondern würde. Aber wir erreichten ungehindert den Seminarraum, der höchstens 25 Leute fasste. Ein Tischviereck. Ich entdeckte einen Erker und Christine und ich setzten uns hinter den Studenten Christian. Damit wir nicht so auffielen.
Ich überlegte, was ich fragen könnte, aber da ich eigentlich nichts von Herta Müller kannte, wollte ich mich von dem Gespräch anregen lassen oder darauf verzichten.

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