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Essay
Eine Poetikvorlesung von Herta Müller im Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
Vier Reden. Die Wassergläser wurden nach Plan ausgewechselt. Man war stolz, die Nobelpreisträgerin eingeladen zu haben, als das noch nicht bekannt war. Hinterher erfuhren wir, dass die Geldgeber damals mit der Wahl nicht zufrieden gewesen waren, wer ist denn das? hatten sie gefragt und meinten, man solle doch Christa Wolf einladen. Das Institut musste ein Gutachten anfertigen, dass Herta Müller würdig sei für die Poetikvorlesung. Und nun platzte man vor Stolz (man hat es ja schon immer gewusst) und war noch stolzer, dass sie tatsächlich gekommen war.
Auf dem Podium standen zwei Sessel. Der eine schien höher zu sein, vielleicht ist das der für die kleine Herta? Nein, sie setzte sich in den anderen. Michael Lentz im modischen Streifenanzug und den Hemdkragen wie ein Zuhälter über den Revers geklappt, dicke teure Uhr am Handgelenk, zögerte den Beginn sehr hinaus. Er gab ihr das Mikrofon, er suchte nach dem Öffner für die Wasserflasche, öffnete und schenkte ihr ein, schenkte sich ein, dabei glitzerte seine teure Uhr, dann nahm er einen Schluck aus dem Wasserglas, raschelte mit seinen Papieren, flüsterte mit Herta Müller, schaltete endlich das Mikrofon ein und begann: Liebe Herta. Die Institutsleute duzen sie. Aus Zeitmangel hatte sie keine klassische Vorlesung geschieben, sondern sollte im Gespräch mit Lentz ihre Poetik beschreiben.
Er war aufgeregt und steif und blieb an seinem Frageplan. Sie hielt das Mikrofon im Schoß, bevor sie antwortete, leicht und ohne Druck sprach sie sich heran, schaute manchmal zu Seite, überlegte und sprach dann dichter mit einem fremden R, zum Mitschreiben genau und ohne jede Koketterie, das Lächeln war stes echt, meist über etwas, was sie selbst gesagt hat. Sie ließ auch Dinge offen, auch Widersprüche, auf einen wies Lentz sie hin, sie sagte, na und, dann widerspricht sichs. Lentz fragte sie, ob die Wörter für sie magische Qualitäten haben. Qualitäten, überlegte sie, nicht. Aber, wieder überlegte sie, irgendwas haben sie. Irgendwas haben sie. So ungenau genau, direkt ins Herz. Kein Intellektualismus, kein –mus, die Sinnlichkeit der Wörter, man sagt ja Worte, sagte sie, aber den Unterschied habe sie nie begriffen.
Hinter den ergriffen lauschenden Honoratioren in der ersten Reihe saß, ganz außen auf dem Platz, der einer Studentin gehörte, die die VIPs einweisen musste, eine Frau im Mantel, die sich zu Beginn des Gespräches nach bewährtem Muster flink auf den Besetzt-Zettel gesetzt hatte und sogar einem Mann, der einen Platz weiter in der Mitte für sich reklamierte, den Zugang verwehrte, er blieb verzweifelt stehen, er konnte sich mit der alten Dame ja jetzt schlecht prügeln. Nach zehn Minuten erhob wohl die Studentin doch Anspruch auf ihren Platz, blitzte aber genauso ab. Irgendwann schwante wohl der Frau, dass sie hier nicht rechtens saß, vielleicht hatte sie auch genug gesehen, sie bot freundlich dem Mann seinen eigenen Platz an und bat die Studentin, ein Foto von ihr und der Nobelpreisträgerin zu machen, die just genau in der Fluchtlinie saß. Die Frau lächelte in Mantel und Sonnenbrille zurück in die Kamera und, als das Foto mit der Nobelpreisträgerin hinter ihr geschossen war, verließ sie mit wehendem Mantel völlig befriedigt den Saal. Ich war da, das Foto ist der Beweis!
Bei aller Duzerei blieb Lentz steif. Herta Müller ließ sich nicht stören, jedes Thema, welches er von seiner Frageliste anschob, nahm sie ernsthaft auf. Ließ immer eine Weile das Mikrofon im Schoß, um dann ein Wort aufzugreifen, das das Problem nicht genau umschrieb, es abzuschneiden von der Fragestellung, als lege sie das Problem für sich frei. Genauigkeit, das war eines der Themen. Warum sie die Gegenstände, mit denen sich Menschen umgeben, so genau beschreibt. Weil sie wieder etwas über den Menschen erzählen, ihn näher bringen.
Nach einer guten Stunde war es vorbei. Langes Klatschen. Und die Ansage, dass man nun ein Buch pro Person signieren lassen könne, nur mit dem Namen. Ich stand ziemlich weit vorn und schoss zum Tisch, wo sich schon ein unübersichtlicher Haufen gebildet hatte. Ich gehörte nun zum Mob, na und. Lentz nahm die Bücher entgegen und hielt sie ihr hin. Sie schrieb mit schwarzem Stift runde Buchstaben und schaute beim Zurückgeben denjenigen auch an. Die Schlange war unglaublich, später hörten wir, dass 450 Leute im Saal waren. Der schwitzende Organisator vom Literaturinstitut scheuchte wie ein Dompteur die Leute zur einen Seite, das gelang nur bedingt. Wer einmal soweit vorn gestanden hat, mochte sich nicht wegrühren. Die Leute auf unserer Seite, die die richtige war, atmeten erleichtert auf. Ich hatte auch kurz gedacht, mich bescheiden hinten anzustellen. Tat es aber nicht, weil ich ja schon so dicht dran war. Da die Reihe nicht ganz ordentlich war, musste man sich kurz vorher verständigen, wer vor- oder zurücktritt. Der Mob verständigte sich nicht, und die Bildung trat zurück. Ich trat vor, ein Herr zurück. Das Mädel vor mir gab Lentz ihr Handy und wollte ein Foto von der Nobelpreisträgerin mit ihr und hatte die schon fast im Arm. Gequält wies Herta Müller auf die endlose Schlange hin, das Mädchen sagte, o.k., dann warte ich. Es scheuchte sie keiner weg. Auch ich bekam einen kurzen Blick von Herta Müller, es war, als würde sie jeden Leser einzeln registrieren und keinem unterstellen, er kaufe das Buch nur, weil sie den Nobelpreis bekommen wird.
Am anderen Ende des langen Saales gab es einen Sekt, die Leitung der Leipziger Messe, die wohl auch gern Mitorganisator gewesen wär, brachte sich in Erinnerung. Ich traf Christine und Christian wieder. Sie standen mit Hans-Ulrich Treichel beisammen, man war angeregt locker, Treichel blieb nicht unberührt von dem Stolz, die Nobelpreisträgerin hierher bekommen zu haben, die natürlich auch den „bildungsnahen Mob“ angezogen hatte. Im nächsten Jahr, sagte er, werden wir zur Poetikvorlesung einen jungen unbekannten Dichter einladen, der noch keine Preise bekommen hat. Ja, sagte Christian ganz bescheiden, da wüsste ich einen. Stopp, sag ich, du nicht, du hast schon einen Preis, ich hatte schließlich die Laudatio gehalten. Treichel: Damit ist die Unschuld verloren. Jedenfalls würde bei einer Poetikvorlesung mit einem jungen unbekannten Dichter der „bildungsnahe Mob“ wegfallen und man könnte sich hier langlegen. Ich kicherte über die Wortschöpfung und er registrierte wohl meinen Spaß daran und ich dachte, brauchste nicht ne Begleitung für heute Abend, Herr Treichel?
Vorn schwebte eine Rauchwolke in dem ehrwürdigen komplett holzgetäfelten Ratssaal, Herta Müller signierte mit einer Zigarette in der Hand, sieh an, selbst die Feuerwehr verneigt sich auf ihre Weise vor der Nobelpreisträgerin. Dann war sie tatsächlich fertig. Und der Tross kam zum Ausgang, an dem wir standen. Sie hatte einen dunklen Mantel an, eine weiße Tasche baumelte quer an ihrer Hüfte, darin wohl die Schere zum Wörterausschneiden. Man wich zurück und machte der kleinen Person großen Platz, sie lächelte Christine an und den Türsteher.
Auf dem Podium standen zwei Sessel. Der eine schien höher zu sein, vielleicht ist das der für die kleine Herta? Nein, sie setzte sich in den anderen. Michael Lentz im modischen Streifenanzug und den Hemdkragen wie ein Zuhälter über den Revers geklappt, dicke teure Uhr am Handgelenk, zögerte den Beginn sehr hinaus. Er gab ihr das Mikrofon, er suchte nach dem Öffner für die Wasserflasche, öffnete und schenkte ihr ein, schenkte sich ein, dabei glitzerte seine teure Uhr, dann nahm er einen Schluck aus dem Wasserglas, raschelte mit seinen Papieren, flüsterte mit Herta Müller, schaltete endlich das Mikrofon ein und begann: Liebe Herta. Die Institutsleute duzen sie. Aus Zeitmangel hatte sie keine klassische Vorlesung geschieben, sondern sollte im Gespräch mit Lentz ihre Poetik beschreiben.
Er war aufgeregt und steif und blieb an seinem Frageplan. Sie hielt das Mikrofon im Schoß, bevor sie antwortete, leicht und ohne Druck sprach sie sich heran, schaute manchmal zu Seite, überlegte und sprach dann dichter mit einem fremden R, zum Mitschreiben genau und ohne jede Koketterie, das Lächeln war stes echt, meist über etwas, was sie selbst gesagt hat. Sie ließ auch Dinge offen, auch Widersprüche, auf einen wies Lentz sie hin, sie sagte, na und, dann widerspricht sichs. Lentz fragte sie, ob die Wörter für sie magische Qualitäten haben. Qualitäten, überlegte sie, nicht. Aber, wieder überlegte sie, irgendwas haben sie. Irgendwas haben sie. So ungenau genau, direkt ins Herz. Kein Intellektualismus, kein –mus, die Sinnlichkeit der Wörter, man sagt ja Worte, sagte sie, aber den Unterschied habe sie nie begriffen.
Hinter den ergriffen lauschenden Honoratioren in der ersten Reihe saß, ganz außen auf dem Platz, der einer Studentin gehörte, die die VIPs einweisen musste, eine Frau im Mantel, die sich zu Beginn des Gespräches nach bewährtem Muster flink auf den Besetzt-Zettel gesetzt hatte und sogar einem Mann, der einen Platz weiter in der Mitte für sich reklamierte, den Zugang verwehrte, er blieb verzweifelt stehen, er konnte sich mit der alten Dame ja jetzt schlecht prügeln. Nach zehn Minuten erhob wohl die Studentin doch Anspruch auf ihren Platz, blitzte aber genauso ab. Irgendwann schwante wohl der Frau, dass sie hier nicht rechtens saß, vielleicht hatte sie auch genug gesehen, sie bot freundlich dem Mann seinen eigenen Platz an und bat die Studentin, ein Foto von ihr und der Nobelpreisträgerin zu machen, die just genau in der Fluchtlinie saß. Die Frau lächelte in Mantel und Sonnenbrille zurück in die Kamera und, als das Foto mit der Nobelpreisträgerin hinter ihr geschossen war, verließ sie mit wehendem Mantel völlig befriedigt den Saal. Ich war da, das Foto ist der Beweis!
Bei aller Duzerei blieb Lentz steif. Herta Müller ließ sich nicht stören, jedes Thema, welches er von seiner Frageliste anschob, nahm sie ernsthaft auf. Ließ immer eine Weile das Mikrofon im Schoß, um dann ein Wort aufzugreifen, das das Problem nicht genau umschrieb, es abzuschneiden von der Fragestellung, als lege sie das Problem für sich frei. Genauigkeit, das war eines der Themen. Warum sie die Gegenstände, mit denen sich Menschen umgeben, so genau beschreibt. Weil sie wieder etwas über den Menschen erzählen, ihn näher bringen.
Nach einer guten Stunde war es vorbei. Langes Klatschen. Und die Ansage, dass man nun ein Buch pro Person signieren lassen könne, nur mit dem Namen. Ich stand ziemlich weit vorn und schoss zum Tisch, wo sich schon ein unübersichtlicher Haufen gebildet hatte. Ich gehörte nun zum Mob, na und. Lentz nahm die Bücher entgegen und hielt sie ihr hin. Sie schrieb mit schwarzem Stift runde Buchstaben und schaute beim Zurückgeben denjenigen auch an. Die Schlange war unglaublich, später hörten wir, dass 450 Leute im Saal waren. Der schwitzende Organisator vom Literaturinstitut scheuchte wie ein Dompteur die Leute zur einen Seite, das gelang nur bedingt. Wer einmal soweit vorn gestanden hat, mochte sich nicht wegrühren. Die Leute auf unserer Seite, die die richtige war, atmeten erleichtert auf. Ich hatte auch kurz gedacht, mich bescheiden hinten anzustellen. Tat es aber nicht, weil ich ja schon so dicht dran war. Da die Reihe nicht ganz ordentlich war, musste man sich kurz vorher verständigen, wer vor- oder zurücktritt. Der Mob verständigte sich nicht, und die Bildung trat zurück. Ich trat vor, ein Herr zurück. Das Mädel vor mir gab Lentz ihr Handy und wollte ein Foto von der Nobelpreisträgerin mit ihr und hatte die schon fast im Arm. Gequält wies Herta Müller auf die endlose Schlange hin, das Mädchen sagte, o.k., dann warte ich. Es scheuchte sie keiner weg. Auch ich bekam einen kurzen Blick von Herta Müller, es war, als würde sie jeden Leser einzeln registrieren und keinem unterstellen, er kaufe das Buch nur, weil sie den Nobelpreis bekommen wird.
Am anderen Ende des langen Saales gab es einen Sekt, die Leitung der Leipziger Messe, die wohl auch gern Mitorganisator gewesen wär, brachte sich in Erinnerung. Ich traf Christine und Christian wieder. Sie standen mit Hans-Ulrich Treichel beisammen, man war angeregt locker, Treichel blieb nicht unberührt von dem Stolz, die Nobelpreisträgerin hierher bekommen zu haben, die natürlich auch den „bildungsnahen Mob“ angezogen hatte. Im nächsten Jahr, sagte er, werden wir zur Poetikvorlesung einen jungen unbekannten Dichter einladen, der noch keine Preise bekommen hat. Ja, sagte Christian ganz bescheiden, da wüsste ich einen. Stopp, sag ich, du nicht, du hast schon einen Preis, ich hatte schließlich die Laudatio gehalten. Treichel: Damit ist die Unschuld verloren. Jedenfalls würde bei einer Poetikvorlesung mit einem jungen unbekannten Dichter der „bildungsnahe Mob“ wegfallen und man könnte sich hier langlegen. Ich kicherte über die Wortschöpfung und er registrierte wohl meinen Spaß daran und ich dachte, brauchste nicht ne Begleitung für heute Abend, Herr Treichel?
Vorn schwebte eine Rauchwolke in dem ehrwürdigen komplett holzgetäfelten Ratssaal, Herta Müller signierte mit einer Zigarette in der Hand, sieh an, selbst die Feuerwehr verneigt sich auf ihre Weise vor der Nobelpreisträgerin. Dann war sie tatsächlich fertig. Und der Tross kam zum Ausgang, an dem wir standen. Sie hatte einen dunklen Mantel an, eine weiße Tasche baumelte quer an ihrer Hüfte, darin wohl die Schere zum Wörterausschneiden. Man wich zurück und machte der kleinen Person großen Platz, sie lächelte Christine an und den Türsteher.