Mit der Schere in der Tasche

Aufsatz

Autor:
Simone Trieder
 

Essay

Eine Poetikvorlesung von Herta Müller im Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Christine fragte nach der gemehrten Bildhaftigkeit durch die zwei Sprachen. Herta Müller wusste darauf nicht gleich was zu sagen und tastete sich heran: Ja, in dem Dorf, in dem sie groß geworden ist, wurde wenig gesprochen, es waren Bauern. Sie überlegte noch, da stand ihr Haslinger bei mit Beispielen, wie Bilder der rumänischen Sprache Eingang in das Deutsche fanden, wie in den Müller-Titeln „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“ und „Der Fuchs war damals schon der Jäger“.
Christian fragte sie, ob das Worteausschneiden nicht auch aus der Tradition der Verbrecher, Erpresserbrief z.B. käme. Das fand sie nicht. Aber dass es aus dem Mangel kommt, ja, die Schreibmaschinen waren damals registriert, also musste man sich behelfen.
Ein Student fragte sie nach der Banater Aktionsgruppe. Sie sei erst später dazugekommen, man traf sich und besprach Texte, sehr hart, so dass manchmal nichts übrigblieb, nicht so nett, wie wir hier, lachte sie.
Dann war die kostbare Zeit schon rum, die Institutsmänner zogen mit der kleinen Herta in der Mitte aus dem Raum und Christine und ich sahen uns an, wir waren glücklich, dass wir dabei sein durften. So nah.
Haslinger verteilte „Schnitten“, wie im Östereichischen Waffeln heißen. Ich dachte, als er mit den Waffeln zu mir kam, nun müsste ich erklären, wie ich hier unter die Studenten komme, aber er wollte nur seine „Schnitten“ loswerden. Wir stiefelten die schöne Treppe hinunter. Unten fragte Christian Treichel, ob er sich seinen Diplomtext durchlesen möchte. Ja, sagte er, wenn Sie es wollen. Sie müssen es nicht sehen, sagte Christian. Nein, dann werde ich zwar zwei Nächte weinen, sagte Treichel, aber dann ist es gut.
Mit drei anderen Studenten, die ähnliche Probleme hatten, wen nimmt man sich als Zweitprüfer und soweiter, zogen wir in Richtung Altes Rathaus, wo wir rechtzeitig sein sollten, damit wir noch reinkommen. Einlass war eine Stunde vor Beginn, also 17 Uhr. Wir kamen zehn vor an und die Schlange war beachtlich. Wir mussten uns hinten anstellen. Bange Frage, kommen wir noch hinein? Ein Student gab aus der Reihe Raport per Handy: Wir dürften gerade noch reinkommen. Am Treppenaufgang stand ein Fernsehschirm: Publik Viewing. Wir waren schon auf der Treppe. Mehrere Studenten zählten uns. Und – drin waren wir, ziemlich bald hinter uns war Schluss. Es war gerade fünf. Oben, in dem langen schönen Rathaussaal waren schon alle Stühle besetzt, der vordere Bereich war noch leer, aber abgesperrt, für Presse, VIPs und soweiter. Wir gaben das Gesuche nach einem leeren Stuhl auf und stellten uns an die Wand. Es gab einen großen Büchertisch mit lauter Herta Müller. Ich hatte von ihr noch kein Buch, aber zuwenig Geld. Christian und Christine gaben mir Fahrgeld und ich kaufte mir ein Buch mit Gedichten, die sie aus den ausgeschnittenen Wörtern zusammengeklebt hatte. „Die blassen Herren mit den Mokkatassen“. Lauter kleine Kunstwerke. Sie erinnerten mich daran, wie ich als Kind, wenn ich krank war, aus Zeitungen alles mögliche ausschnitt und irgendwie zusammenklebte, es war, das weiß ich noch, eine besondere Befriedigung. An den Gängen hingen ebenfalls Fernsehschirme. Wenn wir sie nicht sehen sollten, dann konnten wir uns mit dem Fernsehbild trösten. Außerdem, versicherten wir uns glücklich, hatten wir sie ja eben so nah erlebt!
Wir entdeckten Dieter Mucke, unseren zornigen Preisträger des östereichischen Staatspreises für Kinderlyrik. Es muss ihn jemand erkannt haben, er durfte in den abgesperrten Bereich. Hat er verdient, hat er verdient, fanden wir. Es kam unser Literaturredakteur Christian Eger, mit dem ich grade den Tag zuvor bei einer Literaturkonferenz verbracht hatte. Da sind wir ja schon wieder, sagte er launig. Ich sagte, dass ich ihn auf der Gästeliste schon entdeckt hätte. Er fragte leider nicht, woher wir die gesehen hätten, so konnten wir gar nicht angeben, dass wir eben mit Herta Müller fast ganz allein gewesen waren. Er stolzierte in den abgesperrten VIP und soweiter-Bereich. Christine entdeckte einen Stuhl, auf dem Reserviert stand. Setzte sich drauf, nun war er nicht mehr reserviert. Toll, dachte ich, das mache ich auch. Kaum saß ich, kam ein Student und meinte, es sei sein Platz. O.k, o.k., sagte ich, habs mal probiert. Dann bot mir ein Tontechniker seinen Dienstplatz an. Nun war es kurz vor sechs. Die restlichen gesperrten Stühle wurden jetzt freigegeben, man strömte nach vorn. Wir strömten mit und bekamen zwar keinen Platz mehr, aber dafür waren wir ganz vorn! Anscheinend hatte man unten noch ein paar Fans eingelassen, sie kamen nun auch nach vorn, verstellten uns die Sicht und dünsteten Schweiß und Parfüm aus. Dann kamen sie, der Oberbürgermeister, die Institutsleute, die von der Universität, gefolgt von der amorphen Fotografenmeute, die einen Blitz nach dem anderen abfeuerte. Ich sah sie von hinten, die einzige Frau in der Männerriege. Immernoch steckte ihre Sonnenbrille als Reifen auf dem geföhnten Haarschopf.