weitere Infos zum Beitrag
Essay
Zu zwei Versen von Rilke
Das ist natürlich keine neue Beobachtung, und ist, Folgen inklusive, beispielsweise schon recht präzise von Clemens Brentano beobachtet worden. In dem entlegenen und reichlich seltsamen Text „Lilia sub tilia“ (auch bekannt unter dem Herausgebertitel „Der Lebensbaum“), heißt es in Bezug auf die jüngere Geliebte des späten Brentano:
Ich habe bis jetzt selten erkannt, was sie versteht, denn mein Verhältnis zu ihr von ihrer Seite ist keine Freundschaft und keine Liebe, sondern eine Fledermaus zwischen beidem, da ist Dämmerung und Grauen. Ich werde in meinem Leben die [sc. ihre] Worte nie vergessen: Es wird Ihnen nie Etwas bei mir gelingen als höchstens ein Lied.
(und schon aus dieser kurzen Passage erschließt sich zudem, dass Brentano seinerseits mit „Liebe“ hier einen wallenden Flussgott meint.)
Dieser Mangel aber hat noch einschneidendere Konsequenzen als mannigfach in der Kommunikation sich fortsetzende Knebel und Schnitte, wie Brentano es darstellt. Mit „Inzest“, gar mit „Blutschande“ haben wir hier recht kernige Wörter parat: aber das sind Wörter der Sexualität, nicht Wörter für den Zwischenzustand, den sie dennoch okkupieren. Wörter also mit Expansionsbedürfnis. Auch auf jene Anziehung, die niemals Sexualität wird, können sie überspringen, und dort tabuisieren, beunruhigen, versalzen sie die Beziehung, oder, noch schlimmer, die Psyche (2). Feiner aber kann nicht geregelt werden, denn es fehlen die Wörter: und die Grenzen meiner Sprache bestimmen bekanntlich die Feinheit meiner Kategorien.
Woher es nun kommt, dass die Wörter des sexuellen Pols expansiver, auch hierin also flussgottmäßiger sind, sei dahingestellt, aber dass ihnen auch bei Rilke der Ruch der Tabuisierten vorausweht, deutet auf einen Petrarkismus, der gleichsam eine halbe Schicht tiefer liegt als jene Schicht der expressis verbis, der Antithese und der Geliebten. Jene zwei Verse offenbaren ein Minneparadox zweiter Ordnung: Nicht nur, dass Liebe und Sexualität als getrennt gesehen werden sollen, selbst ihr Nebeneinander, besser: Gegenüber wird noch als „wehe“-voll wahrgenommen und fortgewünscht. In sanfteres Grau verflüssigt sich die harte Kontrastierung nur auf das „wehe“ zu und von jenem fort: in diesem Weißraum. Der Schnitt ist selbst das „wehe“. Darauf muss zurückgekommen werden.
Das originale Minneparadox des erst altprovençalischen, dann hochhöfischen Sangs, das ich konsequenterweise auf erster Ordnung taufen müsste, bestand darin, dass das Minne-Ich eine vollkommene, ergo tugendhafte Frau besitzen, ergo beschlafen wollte. Das scheint mir recht gut nachvollziehbar und hochgradig welthaltig zu sein. Unmittelbar neben den Tugenden der Frau wurden die optischen und erotischen Reize gepriesen. Der Lobpreis fordert Lohn: aber zu den angepriesenen Damentugenden zählte neben einer Bereitschaft, freigiebig den Lohn in fleischlicher Münze auszuzahlen, auch die Ehrbarkeit und Enthaltsamkeit im Fleische, die ätherischen Wesen wohlansteht. So bringt das Minneparadox Sänger und Besungene zugleich in eine Zwickmühle: Sie ist entweder grausam oder befleckt, er ist entweder betrübt oder ohne Gegenstand. So wird die Liebesklage zum modus vivendi des lyrischen Liebesdiskurses; und es braucht schon Feingeister wie Heinrich von Morungen oder Kraftprotze wie Walther von der Vogelweide um daraus eine Dichtung von zeitlos anziehender Vielfalt zu schlagen. Was zusammengehört kann nicht zusammenkommen. Bei Rilke geht es nun soweit, dass es nicht mehr zusammengehört, dass es Eines und Anderes ist, selbst in der Sprache, selbst im Gesang. Die fixe katholische Idee der Sündhaftigkeit des Fleisches, die man im Minnesang zuweilen noch mit Freuden vermisst, hat hier, Nachbeben des 19. Jahrhunderts, eine Blüte getrieben, die unvereinbar auseinanderhält, was nicht zusammengehören soll, darf.
Wie stark die Verinnerlichung ist, zeigt der zweite Vers: jenes andere der Liebe ist schuldig, ex specie schuldig, nur der abstrakte Hauch körperloser Liebe kann sich unschuldig bewahren. Aus der Umkehrung der metaphorischen sexuellen Unschuld wird die handfeste, wortwörtliche Schuld des Sexuellen auch außerhalb aller sexuellen Handlungen. Jenes wird so stark unterdrückt, nach unten gedrückt, bis es „verborgen“ ist. Dieser Fluss-Gott vegitiert hinter der Donauversinkung sittlicher Rigorosität – mit dem Unterschied, dass eine Wiedergeburt als prächtiger, breiter Strom nicht in Aussicht steht. Man müsste die Donau im Bild rückwärts fließen lassen, und die meerweite Fleischespracht der Antike ist bei Rilke längst auf einer Almwiese des Schwarzwaldes kümmerlich verrieselt. So könnte eine streitbare Deutung dieser Verse gehen, die übersieht, dass es sich um Verse handelt, und nicht um ein Manifest in lyrischer Sprache.
Ich habe bis jetzt selten erkannt, was sie versteht, denn mein Verhältnis zu ihr von ihrer Seite ist keine Freundschaft und keine Liebe, sondern eine Fledermaus zwischen beidem, da ist Dämmerung und Grauen. Ich werde in meinem Leben die [sc. ihre] Worte nie vergessen: Es wird Ihnen nie Etwas bei mir gelingen als höchstens ein Lied.
(und schon aus dieser kurzen Passage erschließt sich zudem, dass Brentano seinerseits mit „Liebe“ hier einen wallenden Flussgott meint.)
Dieser Mangel aber hat noch einschneidendere Konsequenzen als mannigfach in der Kommunikation sich fortsetzende Knebel und Schnitte, wie Brentano es darstellt. Mit „Inzest“, gar mit „Blutschande“ haben wir hier recht kernige Wörter parat: aber das sind Wörter der Sexualität, nicht Wörter für den Zwischenzustand, den sie dennoch okkupieren. Wörter also mit Expansionsbedürfnis. Auch auf jene Anziehung, die niemals Sexualität wird, können sie überspringen, und dort tabuisieren, beunruhigen, versalzen sie die Beziehung, oder, noch schlimmer, die Psyche (2). Feiner aber kann nicht geregelt werden, denn es fehlen die Wörter: und die Grenzen meiner Sprache bestimmen bekanntlich die Feinheit meiner Kategorien.
Woher es nun kommt, dass die Wörter des sexuellen Pols expansiver, auch hierin also flussgottmäßiger sind, sei dahingestellt, aber dass ihnen auch bei Rilke der Ruch der Tabuisierten vorausweht, deutet auf einen Petrarkismus, der gleichsam eine halbe Schicht tiefer liegt als jene Schicht der expressis verbis, der Antithese und der Geliebten. Jene zwei Verse offenbaren ein Minneparadox zweiter Ordnung: Nicht nur, dass Liebe und Sexualität als getrennt gesehen werden sollen, selbst ihr Nebeneinander, besser: Gegenüber wird noch als „wehe“-voll wahrgenommen und fortgewünscht. In sanfteres Grau verflüssigt sich die harte Kontrastierung nur auf das „wehe“ zu und von jenem fort: in diesem Weißraum. Der Schnitt ist selbst das „wehe“. Darauf muss zurückgekommen werden.
Das originale Minneparadox des erst altprovençalischen, dann hochhöfischen Sangs, das ich konsequenterweise auf erster Ordnung taufen müsste, bestand darin, dass das Minne-Ich eine vollkommene, ergo tugendhafte Frau besitzen, ergo beschlafen wollte. Das scheint mir recht gut nachvollziehbar und hochgradig welthaltig zu sein. Unmittelbar neben den Tugenden der Frau wurden die optischen und erotischen Reize gepriesen. Der Lobpreis fordert Lohn: aber zu den angepriesenen Damentugenden zählte neben einer Bereitschaft, freigiebig den Lohn in fleischlicher Münze auszuzahlen, auch die Ehrbarkeit und Enthaltsamkeit im Fleische, die ätherischen Wesen wohlansteht. So bringt das Minneparadox Sänger und Besungene zugleich in eine Zwickmühle: Sie ist entweder grausam oder befleckt, er ist entweder betrübt oder ohne Gegenstand. So wird die Liebesklage zum modus vivendi des lyrischen Liebesdiskurses; und es braucht schon Feingeister wie Heinrich von Morungen oder Kraftprotze wie Walther von der Vogelweide um daraus eine Dichtung von zeitlos anziehender Vielfalt zu schlagen. Was zusammengehört kann nicht zusammenkommen. Bei Rilke geht es nun soweit, dass es nicht mehr zusammengehört, dass es Eines und Anderes ist, selbst in der Sprache, selbst im Gesang. Die fixe katholische Idee der Sündhaftigkeit des Fleisches, die man im Minnesang zuweilen noch mit Freuden vermisst, hat hier, Nachbeben des 19. Jahrhunderts, eine Blüte getrieben, die unvereinbar auseinanderhält, was nicht zusammengehören soll, darf.
Wie stark die Verinnerlichung ist, zeigt der zweite Vers: jenes andere der Liebe ist schuldig, ex specie schuldig, nur der abstrakte Hauch körperloser Liebe kann sich unschuldig bewahren. Aus der Umkehrung der metaphorischen sexuellen Unschuld wird die handfeste, wortwörtliche Schuld des Sexuellen auch außerhalb aller sexuellen Handlungen. Jenes wird so stark unterdrückt, nach unten gedrückt, bis es „verborgen“ ist. Dieser Fluss-Gott vegitiert hinter der Donauversinkung sittlicher Rigorosität – mit dem Unterschied, dass eine Wiedergeburt als prächtiger, breiter Strom nicht in Aussicht steht. Man müsste die Donau im Bild rückwärts fließen lassen, und die meerweite Fleischespracht der Antike ist bei Rilke längst auf einer Almwiese des Schwarzwaldes kümmerlich verrieselt. So könnte eine streitbare Deutung dieser Verse gehen, die übersieht, dass es sich um Verse handelt, und nicht um ein Manifest in lyrischer Sprache.