Prähistorische Dramen
Mit ungefähr elf, zwölf Jahren bekam ich zwei von Zdeněk Burian illustrierte Bände geschenkt, „Tiere der Urzeit“ und „Menschen der Urzeit“, dem sich bald ein älterer (vermutlich aus den 60er Jahren) mit großformatigen sepiagetönten Abbildungen anschließen sollte. Vielleicht hätte ich mich für diese fernen, unvorstellbaren Zeiten und deren Bewohner nicht interessiert, wenn Zdeněk Burians Bilder meine Phantasie nicht dermaßen gepackt und sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis geprägt hätten. Denn einige Jahre später kaufte ich mir, vom Taschengeld mühsam zusammengespart, weitere Bücher über die Urzeit, mit umfangreicherem, viel fundierterem Text und Illustrationen auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand, aber sie konnten mich — obwohl der Faszination noch längst nicht entwachsen — nicht ansatzweise so begeistern, wie es die Gemälde des tschechischen Malers vermochten. Wenn ich jetzt in der Auswahl aus Burians Werk blättere, die der Verlag Matthes und Seitz in seiner Reihe „Naturkunden“ vorgelegt hat, wird die einstige Begeisterung sofort wieder lebendig, so lebendig wie die auf den Bildern dargestellten Dinosaurier und Urweltlandschaften.
Die Kunsthistorikerin Angela Fichtel berichtet in dem knappen, dennoch sehr informativen Nachwort über die Entwicklung Burians vom Illustrator von Abenteuerbüchern ab etwa 1930 zum Rekonstrukteur prähistorischer Welten in Zusammenarbeit zunächst mit dem Paläontologen Josef Augusta, später mit seinem Schüler Zdeněk Spinar. Sie weist dezidiert darauf hin, daß Burian sich zwar am Realismus des 19. Jahrhunderts orientierte, diese Technik jedoch mit raffinierten modernen Stilmitteln in Szene zu setzen wußte, etwa Draufsichten, Unterwasserperspektiven oder fotographische Effekte zur Wiedergabe von Geschwindigkeit. All dies diente dazu, in einer unnachahmlichen Mischung aus Faktenwissen und Spekulation den prähistorischen Landschaften und Lebewesen buchstäblich neues Leben einzuhauchen.
In seinem leicht ausschweifenden Vorwort hat Clemens J. Setz durchaus richtig den Vergleich von Burians Saurier-Protagonisten mit Theatercharakteren aufgestellt. Denn Burian rekonstruiert nicht nur, er inszeniert: Kleine Dramen des Überlebenskampfes spielen sich vor den fremdartigen und doch so vertrauten Kulissen ab. Manches Reptil zeigt dabei verblüffend menschliche Verhaltensweisen, man betrachte etwa das Trachodonpaar, das sich vor einem brüllenden Tyrannosaurus ängstlich-scheu und mit beinahe beschwichtigendem Blick wegduckt. Die unwirtlichen, lebensfeindlichen Landschaften sind natürlich ein Reflex auf die Bedrohungen des eigenen Zeitalters mit den durch ganz andere Mittel geführten Kriege. Doch so vergänglich die Arten auf den Gemälden auch sind, so prachtvoll und heroisch ist die Ablösung der einen durch die andere. Nichts scheint Burian ferner zu liegen, als der Evolution eine gewisse Teleologie zu unterstellen, die zu einem sie womöglich krönenden Menschengeschlecht führt.
Wie bei allen Auswahlen wird man auch in diesem Band einige Illustrationen vermissen. Vor allem fehlen Burians Darstellungen aus dem Quartär. Mir selbst sind noch aus der Kindheit vertraut und sehr erinnerlich ein Uintatherium und die Mammuts, die sich durch den Schnee pflügen, eine Tetralophondon-Familie und verschiedene andere frühzeitliche Elefantenarten. Dies wird jedoch allemal wettgemacht durch den Abdruck verschiedener Varianten ein und desselben Bildes. Hier wird Burians große Kunst der Verfeinerung im Detail sichtbar. Steht etwa auf einer Zeichnung aus dem Jahre 1948 ein Exemplar von Edmontonia mit gehobenem Kopf einem Gorgosaurus gegenüber, ist es auf einem Gemälde von 1955 eine andere Spezies Ankylosauria, die mit einem Gorgosaurus in exakt derselben Körperhaltung konfrontiert wird, ein Scolosaurus, der seitwärts den Kopf senkt. Sein dem Betrachter zugewandter Blick signalisiert, daß er weder angereifen noch sich verteidigen will, sondern sich ganz auf seinen Panzerung verläßt, wenngleich nicht ohne Sorge um die scharfen Zähne des Gorgo.
Einziges Manko dieser wunderbaren Wiederbelebung: das Lektorat. Es gibt zum Beispiel im Nachwort zweimal eine Abbildung Nummer drei, und Augustas Vorname Josef wird durchweg Joseph geschrieben; und im Vorwort lautet Darwins berühmte Abhandlung „On the Origin of Species“ plötzlich „The Origin of the Species“. Doch all das darf den Blick nicht von Burians einzigartigen Darstellungen ablenken.
Vielleicht faßt ein Gedicht Zdeněk Burians Visionen am besten zusammen:
Es war die Dämmerung des Leguan-
zahns, lange vorm Auftritt
des Menschen. Immer neue Charaktere
beförderte die Evolutionsmechanik
auf die bestialische Bühne,
urmeerher ein Wettrüsten von
Stacheldaumen, Stirnhorn, Zackenrücken
und dem geschliffenen Reißzahn,
überaus einfallsreich.
Die Erdkruste ein unsicheres Terrain,
eruptive Spalten, Magmaflüsse,
Schwefelquellen und sonnenlose Dünste,
da war kein Empfang, niemand wollte
froh die Ursuppe auslöffeln,
denn da war kein Friedensgarten,
nur der Hunger, die hungrige Natur, irr
vor Selbsterhaltung. Listig spähte
Saltoposuchus hinter den Stämmen vor,
je größer, desto wilder die waldbrechende
Echse, schroffe Haut wie Fels,
Trachoden dennoch kratzfüßig geduckt
vorm auftrumpfenden Tyrannen,
aufgerissenes Maul und Dickhäutigkeit
ganz für die Eroberung. Höher
in den Lüften glitten auf gespannter Haut
die Schädel des Dimorphoden,
während Protoceratops eine Ebene
aus bleichen Baumgebeinen erkundete.
Einer fresse des anderen Fleisch!
dies waren unsere Vorfahren,
und alle Science-Fiction-Welten, Alien-
invasionen, sind nur Erinnerungen,
alle Vorstellungen von den zehn
Höllenkreisen und darüber hinaus
kommen aus dem Zeitabgrund
unseres eigenen Planeten.
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