Gedichte

Frische Renaissancegedichte eines zeitgenössischen Postromantikers. »Aus Waben« von Tobias Roth.

29.05.2013 | Hamburg

Im März 2013 debütierte der 28-jährige Tobias Roth mit dem Gedichtband Aus Waben – ein Gedichtband, wie man ihn heute nicht erwartet. Anderswo begegnet einem als Lyrikleser pausenlos das so überaus Neue, Innovative und Unerwartete –­ Bände, an denen förmlich das Ich bin so ganz anders-Schildchen hängt. Ein gewisses obligatorisches Übertrumpfen des Vorausgegangenen mit einem doch recht vorhersehbaren Das hat noch keiner gemacht-Gestus ist dabei für Leser, die das poetische Treiben im deutschsprachigen Raum schon lange verfolgen, zuweilen doch ein klein wenig ermüdend. Zumal wirklich „neuer Wind“ etwas ganz und gar Unübliches wäre, was auf den ersten Blick so gar kein Potenzial hätte, heute irgendwen zu interessieren; und das, was sofort gefeiert wird, ist bei Erscheinen genau dadurch bereits in seinen Ausdrucksmitteln ad hoc anerkannt und etabliert; andernfalls wäre das Irritationsmoment größer. Dahingehend überrascht der neue Band von Tobias Roth sehr.

Was man hier liest, ist neu und gleichzeitig doch nicht neu – oder es klingt in den meisten Fällen nicht nach einem zeitgenössischen Gedicht, sprich es hat augenfällig so gar nicht die Merkmale und Supplemente, die zeitgenössische Gedichte haben und den Lesern dadurch suggerieren: so und nur so kann ein Gedicht heute klingen. Tobias Roth zeigt, dass es auch anders geht. Aus dem Gedicht Mosaikstein:

 

Wir versuchen, die Welt

Zu streicheln mit den Lemniskaten unserer Tage,

Und manchmal gelingt es.

(…)

 

Was bei Tobias Roths Gedichten völlig unüblich und dennoch atemberaubend „frisch“ ist, ist sein Bezug zu­ (und eben beileibe nicht nur sein Bezug sondern auch sein Umgang mit) historischen Stoffen und Gegenständen z. B. aus der italienischen Renaissance. „Die Geschichte als Erfahrungsstoff für Befindlichkeiten und Widersprüche der Gegenwart bildet den Hintergrund der Gedichte von Tobias Roth. Besonders starke Bezüge gibt es zur italienischen Malerei und zu antiken Vorbildern, so dass seine Dichtung ihrer Funktion als kulturelles Gedächtnis gerecht wird. Auf diese Weise gelingen ihm Reflektionen und Parallelfiguren von großer Eindringlichkeit und Schönheit.“, schreiben die Darmstädter Juroren.Im März gewann der junge Truderinger Dichter mit seinen Gedichten einen der bedeutendsten Preise für junge deutsche Lyrik: er wurde mit dem renommierten Wolfgang-Weyrauch Förderpreis ausgezeichnet. „‚Nichts gilt mir unmittelbar‘ heißt es in einem seiner Gedichte. Unmittelbar aber ist seine poetische Antwort. Tobias Roth wird dafür mit dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis 2013 ausgezeichnet“, heißt es in besagter Würdigung.

 

Verschieden Purpur


Vom Kirschenschneiden blieben die Finger blau,
Vom Saft der Kirschen rötlich von gestern Nacht,
Und an den Fingerkuppen sitzt noch
Bläulich nach Wasser und einer Nacht aus
Dem Fleisch der Früchte unscharfe Malerei.
Es gab den Abend blauen und roten Pur-
Pur, Färbungen, mag sein, und Kirschen.

(…)

 

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