Gedichte
Frische Renaissancegedichte eines zeitgenössischen Postromantikers. »Aus Waben« von Tobias Roth.
Soldat zu Fuß
Der Landsknecht lässt seine Waffen segnen
Und hält die Lippen der Huren offen.
Schritt vorwärts fallende Grenzen.
Der Landsknecht steckt Fugen und Flöte weg
Und zieht noch im selben Arm den Säbel.
Quer durch die Felder der Namen und Ähren.
Der Landsknecht zeichnet Wappentiere
Auf die Wiesen mit seinem Leben.
In Hinterhöfen wurde ein Tod verschraubt.
(…)
Roths Gedichte erschienen manchmal wie in ihrer eigenen Kunstwelt eingefroren, sozusagen unter Glas. Das meine ich nicht negativ. Darunter sind sie, in ihrer eigenen Welt zu Hause, die nicht die vergangene und nicht die gegenwärtige ist. Ein Zwischenreich, das zeitlos in der Jetztzeit ist. Immerhin hatte ich dann plötzlich ernsthaft überlegt, ob es die Welt, die ich erlebe, wirklich so existent ist, wie ich sie empfinde oder ob es in Roths Gedichten nicht etwas viel Stärkeres gibt, gleichsam eine noch realere Realität, oder wenigstens eine haltbarere, wenn man sich vorstellt, wie flüchtig alles ist; wie allein die gebaute Umwelt sich stetig verändert, die Menschen um einen; zumindest stellen die Texte einen unerschütterten Glauben dar, dass es etwas Unerschütterliches gibt. Sie verkörpern einen stärkeren Glauben, der unaufhaltbarer ist als das, was sich uns vorstellt als die so genannte Wirklichkeit, mit all ihrem stets flüchtenden Jetzt. Nicht zuletzt wurde er jüngst von Pia-Elisabeth Leuschner bei seiner Lesung im Truderinger Kulturzentrum als „postromantischer Renaissancedichter“ bezeichnet.
Ritratto di gentiluomo sulla terrazza
Lorenzo Lotto, 1533, 108cm x 101cm
Einige Blätter und Blüten Jasmin auf dem Tisch.
Die Landschaft klar wie Granatapfelfleisch.
Der Genuss muss nicht gerufen wurden.
Gestützt auf einen Brief, die Hand grüßt leicht hinüber.
(…)
Tobias Roth ist begeisterungsfähig – und so sind seine Gedichte von Begeisterung und Schönheit durchdrungen. Man spürt in den Dichtungen die Freude hinter allem, die es dem Autor bereitet. Leider ist das Wort „Entzücken“ nicht mehr en vogue, aber es würde passen, ebenso wie „Liebreiz“, „Anmut“. Der Autor nähert sich lustvoll der Renaissance, wo viele Menschen vor lauter Ehrfurcht in die Knie gehen oder Renaissance und überhaupt „Bildungsinhalte“ als ernüchternd erleben, da sie zu sehr an Schulisches erinnern – da hat man nicht oft auch unter Dichtern ein geradezu verkorkstes Verhältnis, möglicherweise ebenso verkorkst wie der Literaturnormalverbraucher. Bei vielen Lesern weckt es Skrupel, wenn Gedichte zu „bildungsbeflissen“ sind. Doch bei Roth hat es nichts Protziges oder gar Pompöses. Es sind fein(sinnig)e Anspielungen; oft wird ein Motto unter den Text gestellt, eine Grabinschrift, beispielsweise ein Satz aus Vergils Bucolica, aus OvidsMetamorphosen, Catulls Carmina, daneben Anspielungen auf die Medici uvm. Seine Dichtungen sind beileibe mehr als ein bloßes Aufsatteln auf Bildungsinhalte. Es gibt Leser, die sich von etwas abschrecken lassen, was aus ein paar Metern Entfernung aussieht wie das Erzeugnis von „zu viel Bildung“, oder wie es in einem Gedicht von Charles Bukowski heißt, „krank vor lauter Kunst“, als sei es nur etwas für, bayerisch spoken, „bledgschtudierte Gscheithaferl“. Indes wird hier nicht über den Brillenrand doziert.
Die Weltlandschaft ist überzogen von großem Schlachten, / Einem Pelz von Lanzen. Eine Phantasie / Über Landkarten zerrt am Maßstab, fluchtet im Zorn. So beginnt das Gedicht Alexanderschlacht, weitaus mehr als eine bloße Bildbeschreibung.„Roth, der sich am Samstagnachmittag als letzter vorgestellt hatte, bezieht seine Texte auf Malerei. Das lyrische Ich erscheint als Kulturmensch, staunte Juror Jan Koneffke, während Ulrike Draesner insbesondere von der großartigen Beschreibung von Albrecht Altdorfers mittelalterlicher Darstellung der Alexanderschlacht angetan war, die dem Gemälde noch etwas hinzufüge.“ (Johannes Breckner, Darmstädter Echo zum Leonce und Lena Preis 2013.)
Ein sehr komplexes Buch mit allerhand Ebenen und Schichten, das umso vielschichtiger wird, je öfter man darin blättert; fast könnte man sich darin verlieren. Und je mehr ich darin las, um es zu rezensieren, desto spiegelartiger und labyrinthhafter kam es mir vor. Roth zieht allerlei Register, raffiniert und kühn. So werden alkäische Odenstrophen nicht nur in Reinform verwendet sondern auch einverwoben. Das Gedicht über die Weinbauern Gozzi, Den Gebrüdern Gozzi, spielt mit der alkäischen Odenstrophe: am Ende des Gedichtes fehlt nur deren vierte Verszeile, ansonsten wird die alkäische Metrik zwanglos und spielerisch durchgehalten.
Und, ähnlich Rilke, der mit der Sonettform ein heiteres Spiel trieb, schreibt Tobias Roth eine alkäische Ode – sogar mit einem humorvoll abgewandelten Rilkezitat versehen: Kleiner Heide besteht aus sechs alkäischen Odenstrophen, hie und da modern unterbrochen durch Einschübe wie Und dann und wann / Ein bleicher Protestant.
Tobias Roth ist keine „neue Stimme“ in der Heerschar von „neuen Stimmen“, sondern etwas ganz Eigenes. Von kreativer Energie durchdrungen wird geistreich und originell Erstmaliges gemacht. So werden z. B. gleich drei Gedichte mit dem identischen Titel Ein Gleiches als bukolische Parallelfiguren variiert, anderswo ein ganzer Text in Anführungszeichen gesetzt, wo man nicht weiß, ob dies nun eine Übersetzung ist oder eine kunstvolle Adaption. So treibt Roth ein ums andere Mal ein gewitztes Spiel. Der Truderinger geht als erklärter Bayer im Text Auf ein Luftbild (Trudering, um 1900) von dörflichem Klatsch aus, verwebt geäußerte Vermutungen und Gerüchte kunstvoll mit interviewähnlichen Dialogsequenzen und endet „gstanzlartig“ auf Mir samma Lait / Mir ham an Schnait, / Mir ham a Gejd, / Drum samma gschdejd.