hochaufgetürmte Tage

Gedichte

Autor:
Emmy Ball-Hennings
Besprechung:
Mónika Koncz
 

Gedichte

Die Getriebene. »hochaufgetürmte Tage« von Emmy Ball-Hennings.

12.07.2013 | Hamburg

Emmy Ball-Hennings war eine Getriebene. In ihrem ruhelosen Leben hat sie etliche Kostüme und Rollen ausprobiert. Sie war Tänzerin, Schauspielerin, Dichterin, Autorin, Morphinistin, Gelegenheitsprostituierte, Geliebte zahlloser Künstler, Geburtshelferin des Dadaismus und zuletzt an der Seite ihres Mannes Hugo Ball auch katholische Mystikerin.

Immer aber hat man dabei den Verdacht, dass sie, die niemals müde wurde sich selbst zu erkunden, all diese Rollen nur anprobiert hat, wie man in einem Geschäft Kleider anprobiert, um herauszufinden, welches das richtige ist. Und Emmy Ball- Hennings wusste, so scheint es, lange Zeit nicht, welches das richtige ist.

Wie schon Hermann Hesse, mit dem sie später eine innige Freundschaft verband, bemerkte, war Emmy Ball Hennings zeitlebens ein Kind geblieben. Das Leben war ihr eine große Spielwiese. Und es gelang ihr nicht, in sich selbst hineinzuwachsen. Sie war überall und nirgends zu Hause. Rannte von einer Station zur anderen: als Laienschauspielerin durch ganz Deutschland, als Bohemien von Berlin nach München, weiter nach Zürich und zuletzt Tessin; und rannte dabei doch immer an sich selbst vorbei. Suchte ruhelos weiter und stand, wie sie selbst sagte, mit einem Gefühl existenzieller Verlorenheit und Einsamkeit in der Welt.

 

Wie Kinder sind wir hilflos,

Die nicht wissen,

Ob sie im Diesseits oder Jenseits gehen.

Vor hohen Fenstern sieht man scheu uns stehen.

Man scherzt mit uns. Doch schweigen wir beflissen.

 

Denn: wenn wir gingen –würde man uns missen?

Und so beschleicht uns nur auf leisen Zehen

Ein Heimweh, mit dem Sommer zu verwehen

Und zu zerrinnen mit den Dämmernissen.

 

O, man war wohl besorgt, man war bemüht,

Mit manchen Schätzen uns vertraut zu machen.

Um unsere hellen Lippen aber zieht

 

Ein ängstlich Fremdsein. Unsere überwachen,

Erstaunten Augen sind der Nähe müd.

Auf weiter Fläche grüßen sie den Nachen…

 

Der hochroth Verlag hat nun in dem hübschen kleinen Bändchen hochaufgetürmte Tage 27 Gedichte, der als Dichterin immer noch weitestgehend unbekannten Künstlerin herausgegeben. Die darin verhandelten Themen wiederholen sich: Traum, Rausch, Tod, Einsamkeit, Verlorenheit.

Wir entdecken in dem Band leider keine zu Unrecht vergessene geniale oder begabte Dichterin. Die durchweg gereimten Gedichte sind schlicht. Die Verse und Reime sind schlicht. Die gedanklichen Inhalte und sprachlichen Bilder nicht sonderlich originell. Zuweilen grenzen die Gefühlsergüsse der Autorin an Banalem und Kitsch: ich trage so viel fremdes Leid / ich wein für andre viele Tränen/ ich fühle unbekanntes Sehnen/ und gebe fremde Zärtlichkeit.

 

Obwohl sie gemeinsam mit Hugo Ball Begründerin des legendären Cabaret Voltaire, der Geburtsstätte des Dadaismus war, haben ihre Gedichte selbst überhaupt nichts Dadaistisches. Die Kabarettistin im Cabaret Voltaire bleibt auch eine weitere kurz anprobierte Rolle, eine Pose, in der sie sich letztlich auch nicht wiederfindet: „Ich habe eine Aversion gegen den Dadaismus gehabt. Es waren mir zu viele Leute entzückt davon.“

Man wundert sich, dass diese Frau, die so unkonventionell und wild gelebt hat, derart brave und geschmeidige Gedichte schreibt. Wegen Diebstahls und Fahnenflucht saß sie mehrere Monate im Gefängnis. Sie litt an Morphium- und Äthersucht, hatte Armut und Prostitution erlebt. Ihr erster Mann verschwand spurlos und ließ sie allein mit einem Sohn, der bald darauf verstarb. Der Vater ihrer Tochter Annemarie ist unbekannt. Sie verdrehte der gesamten deutschen Boheme den Kopf und konnte u.a. Johannes R. Becher, Jakob von Hoddis, Erich Mühsam und Georg Heym zu ihren Liebhaber zählen. – Nichts von alledem findet man in den Gedichten wieder. Hier ist sie das zarte, das verletzliche, das traurige, todessehnsüchtige Mädchen. Der ungebärdige Freiheitsdrang ihrer Lebensführung und die Einhaltung der Formstrenge in den Gedichten – das alles will nicht übereinstimmen. Die ganze Person Emmy Ball-Hennings, will, wie man sie auch betrachtet, nicht mit sich übereinstimmen. Meine Worte sind ganz anders wie ich. / Ach, könnte ich schweigen! / Doch immer will der Irrwahn sich/ Auf seiner Oberfläche zeigen./ Wie Fluten singen meine Lügen/ Das helle Wellenlied vom Selbsbetrügen.

Die Rolle, in der sie endlich wirklich aufgeht, findet sie im mystischen Katholizismus, dem sie sich gemeinsam mit Hugo Ball zuwendet. Hierin wird sie gleich Maria Magdalena zur reuigen Sünderin, die in der Kehrtwendung zum Glauben ihre Rettung findet. Und kann man sterben wohl vor Scham/? Ich bin so müde, lendenlahm, / Und dennoch: Zähne gesund, mein Mund ist rot. / Madonna, lass mich fallen in tiefen Schacht. Nur einmal noch: behütet sein… Lieb mich von allen Sünden rein. / Sieh, ich hab manche Nacht gewacht.

Und mit dem Gedichtband Helle Nacht von 1920 kommt Licht in die Gedichte, die nun auch kunstvoller werden. Die Reime findiger, das Spiel mit Klang, Rhythmus und Assonanzen harmonischer und komplexer. Jetzt geh ich viele Gassen auf und ab. / Türmen sich Tage, türmt sich mein Grab. / (…) Wo ist mein Lieben nun, in dich hineingeliebt, geblieben?

Bis zu ihrem Tod im Jahr 1948 macht sie sich als Verwalterin und Herausgeberin der Werke Hugo Balls verdient und verfasst zwei autobiographische Schriften sowie Erinnerungsbände über ihn und sich. Sie lebt bis zuletzt immer wieder am Existenzminimum und stirbt 1948 nach vielen Klinikaufenthalten an einer Lungenentzündung.

Selbst wenn man die Gedichte nicht für ihre Kunstfertigkeit bewundert, so kann man Emmy Ball-Hennings doch für ihre Hellsichtigkeit bewundern. Die Gedichte sind allesamt Dokumente einer gelungenen Selbsterforschung. Getreu dem Spruch über dem Eingang zum delphischen Orakel noscere te ipso, wurde Emmy Ball Hennings nicht müde ihr Dasein, dass sie als ein frommes Rätselspiel liest, in ihrer Kunst zu erkunden. Sie war in der Lage sich selbst sehr klar zu sehen und zu beschreiben, nur nicht sich zu helfen. So ward ihr Dasein frommes Rätselspiel. / Nur ihre Sehnsucht ward zu einer Sage. / Verschlungen blühten sie, hoch überm Tage, / In einem ihnen selbst geheimen Bunde.





Exklusivbeitrag

Emmy Ball-Hennings: hochaufgetürmte Tage. Herausgegeben von Hagen Schied, 40 Seiten, 6,00 Euro, ISBN 978-3-902871-24-4. hochroth Verlag 2013.

Mónika Koncz hat zuletzt über »Der Hase!!!!« von Ernst Herbeck auf Fixpoetry geschrieben.