Atmungsaktiv
Sauerstoffmaske beim Fliegen in größer Höhe & Kälte (© Jürgen Albrecht)
„… Und trotzdem kann die literarische Rede nicht auf ein „handwerkliches Verfahren“ reduziert werden, wie es die mehrfach betonte Überzeugung Ingolds ist. Das Bild des Handwerkers wird dem Schreibprozess daher nicht gerecht, weil dieser seine Tätigkeit als ein Verfahren beherrscht. Es fehlt gerade die andere Bedeutung von „verfahren“, im Sinne eines Sich-Verlierens. Das bereits bestehende sprachliche Material wirkt beim literarischen Schreiben oft als Quell von Inspiration. Bestimmte sprachliche Klänge oder besondere Beziehungen zwischen Wörtern können in den Schreibprozess „einfallen“ und ihm neue, unerwartete Richtungen geben, ohne dass der Autor im Moment ganz versteht, was sie bedeuten. Mit „Inspiration“ ist hier nicht jenes mysteriöse Mitwirken der „göttlichen“ Muse gemeint, die Ingold als ein Attribut des auktorialen Autors vehement ablehnt. Es ist eher ein Horchen auf die eigene Sprache, in der Unerhörtes und Fremdes erklingt. Es handelt sich dabei um einen eminent körperlichen Vorgang, wie die Herkunft des Wortes „Inspiration“ aus Lateinisch „spirare“ – hauchen, atmen – vermuten lässt. Der Umgang des Autors mit sprachlichem Material kann daher vielleicht mit dem Ein- und Ausatmen verglichen werden. Wie beim Atmen bedingen sich dabei die Autorität der Sprache und jene des Autors gegenseitig.“
Marco Baschera aktuell im Volltext.net in “Der Autor und die Autorität der Sprache“ - einer Replik auf zwei vorangegangene Essays von Felix Philipp Ingold.
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