Posts mit dem Label Die andere Maria werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Die andere Maria werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 7. Februar 2011

DIE ANDERE MARIA (6): WIR SIND ALLE HUREN

Diese Maria fährt nicht gen Himmel. Stattdessen wird ihr Sarg zum Tisch für einen Leichenschmaus, den sich die liederliche Gesellschaft aus Anlass ihres Todes gönnt. Dem Betrachter bleibt ein letzter Blick auf den sündigen Körper, mit dem sie unter Einsatz ihres Lebens gespielt hatte, verwehrt. 




Kolleginnen der Prostituierten haben sich eingefunden, um eine bürgerlich-glanzvolle Trauerfeier zu ihren Ehren zu inszenieren. Doch von Trauer ist nur am Rande etwas zu bemerken. Schon gehen die Spielchen weiter. Der Leichenbestatter rechts lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, mit den Huren anzubändeln. Auch der Pfarrer links labt sich am Wein und scheint so in Gedanken versunken, dass er ihn verschüttet (Doch wo macht er sich mit der linken Hand zu schaffen?). Marys verwaister Sohn sitzt derweil prachtvoll gekleidet der Feier vor und spielt mit einem Brummkreisel. In seinem Anzug und mit dem überdimensionierten Hut gibt er eine Parodie des Trauergasts, ein wahrer Erbe schon der mütterlichen Schauspielkunst, die sich Rollen aneignete, die ihre Mittel überforderten.

Hogarth hat hier erneut die Darsteller seiner Bildergeschichte in ein ikonographisches Schema eingesetzt: das letzte Abendmahl Christi, bei dem wir den anderen Sohn einer Maria zu sehen gewohnt sind. Wo im tradierten Bildtypus der Mariensohn den Mittelpunkt bildet, sitzt das Hurenkind unbeachtet am Boden. Wo der HERR sich den Seinen gab in Gestalt von Wein und Brot am Abend vor seiner Passion, scheint hier der leidensvolle Lebensweg des ahnungslosen Knaben in Laster und Verbrechen vorgezeichnet.

Leonardo da Vinci: Letztes Abendmahl

Hogarth befragte in seinen Bildergeschichten kritisch die überlieferten Muster auf ihre Bedeutung für die Gegenwart. Statt als autonomer Künstler die imitierte Tradition in sein Eigentum zu verwandeln, öffnete er sich der Erfahrung, dass umgekehrt das Erbe sich des Usurpators bemächtigen konnte. Statt Aneignung entschied er sich für ein Spiel mit dem Material. Das brachte ihn, den Aufsteiger, der um Anerkennung rang – wie er an seiner Heldin Mary eindrücklich vorführte – auch in die Gefahr, alles zu verspielen. Indem er an der sozialen und politischen Bedeutsamkeit von Kunst für die Gegenwart festhielt, bekannte er sich radikal zum Kunstprodukt als Ware. Statt „das Leben“ ins Kunstwerk zu bannen, versuchte Hogarth die Lebenswelt durch Kunst zu verwandeln. In die tradierten Bilderwelten setzte er jene ein, die nicht teilhatten am bürgerlichen Erfolg, die sich der Ordnung widersetzten und der Moral widersprachen. Damit nahm er Strategien der Avantgarden des 19. Jahrhunderts vorweg. Anders als „the Moderns“ ein Jahrhundert später identifizierte er sich als Künstler jedoch nicht im Bild der Verrückten und Ausgestoßenen, sondern wechselte zwischen Distanz und Identifikation. 


Die Verachtung der Avantgarde für die „Bourgeoisie“, aus der sie sich gleichwohl rekrutierte und auf die ihre Protagonisten ökonomisch angewiesen blieben, trug immer auch verlogene Züge von Selbstverachtung. Indem sie sich als Ausgestoßene inszenierten, bestätigten sie nur die Faszination des Bürgers am Künstlermythos. Was so entstand, konnte mit wohligem Schauer goutiert und später wohl abgehangen in den Kanon aufgenommen werden. Hogarth dagegen begriff sich als Teil der Gesellschaft, die er in seinen Bildern vorführte. Er arbeitete für Erfolg und Geld, wie die Männer und Frauen, von deren Anerkennung und Bezahlung er sich abhängig machte. Das Eingeständnis dieser tiefen Abhängigkeit von der Anerkennung der Anderen, von der Bereitschaft sich für diese zu verkaufen, ist Thema all seiner Bilderfindungen. Darum geht es: Wir sind alle Marys. Wir spielen (um) unser Leben. Wir sind alle Huren.


Verwandte Beiträge
Heimsuchung (Blatt 1)
Geld und Lust (Blatt 2)
Verkündigung und beflecktes Empfangen (Blatt 3)
Die Passion beginnt (Blatt 4)
Eva wird zur Mater dolorosa (Blatt 5)



Samstag, 29. Januar 2011

DIE ANDERE MARIA (5): EVA WIRD ZUR MATER DOLOROSA

William Hogarth: A Harlot´s Progress (Blatt 5)


Endlich, kreischt die herrschende Moral, ist sie verhüllt. Der lasterhafte Körper, den die Mary zum Einsatz gebracht hat, ist kaum mehr zu erkennen. Jetzt hat sie die Gestalt der Mater dolorosa angenommen: Die sündige Eva  verwandelt in die schmerzverzerrte Maria.


Doch Marys Leib, gehalten von der treuen Kollegin, die wir schon von Blatt 3 und  Blatt 4 kennen, ist nicht jungfräulich geblieben. Das Kind, das er geboren hat, spielt zu ihren Füßen. Der Knabe mit lockigem Haar ist sich offensichtlich nicht bewusst, dass seine Mutter stirbt. Eine kleine Gruppe bilden diese drei: Mary, die Freundin und das Kind. Die Heilige Familie der modernen Welt: vaterlos. Die Frauen haben mit dem Feuer gespielt, wie das Kind in seiner Unwissenheit tut.

Die modernen Männer, Hogarth zeigt es gleich nebendran in der Gestalt der beiden Möchtegern-Ärzte, haben keine Zeit, sich um Frau und Kind zu kümmern. Sie sind verstrikt in Kämpfe um Macht, Geld und Status - wie diese beiden hier: Dr. Rock und Dr. Maubisan, zeitgenössische Quacksalber, die sich über die rechte Therapie streiten und dabei ihre Patientin völlig aus dem Blick verlieren. Die Hauswirtin macht sich indessen, beschimpft von Marys  Freundin, schon an deren Hausrat zu schaffen.

Dies dritte Blatt der ersten „Modern Moral Subjects“ Serie, die Hogarth veröffentlichte, zeigt die paradigmatischen Figuren des englischen Protestantismus: das Opfer und den Waisenknaben. Doch bei Hogarth werden die Opfer nicht gerettet und der to-be Waisenknabe wird niemals durch glückliche Fügung seine edle Herkunftsfamilie wiederfinden. Hogarths Stiche stabilisieren die herrschende Ordnung nicht, sondern unterminieren sie. Dabei wird das Geschlechterverhältnis niemals ausgespart. 


Indem Hogarth in dieser ersten Bild-Serie, die er herausbringt, eine Frau in den Mittelpunkt stellt, identifiziert er sich selbst und sein „Unternehmen“ gerade nicht eindeutig mit dem Männlichkeitskonzept des arbeitsamen, strebsam-fleißigen Bürgers. Der ehrgeizige Hogarth, dem durchaus der bürgerliche Aufstiegswille zu eigen ist, erarbeitet sich seine Identität vielmehr im Bild einer Frau, deren „Arbeit“ als Sünde denunziert wird. Die Gefährdung einer Identität, die über das Rollenspiel gewonnen werden muss (denken Sie an den Höhepunkt von Marys Laufbahn, wie er in Blatt 2 gezeigt wird), steht vielmehr im Mittelpunkt. Im Bild weiblicher Arbeit (nicht nur, aber auch in dem der Prostitution; Hogarth zeigt in seinem Gesamtwerk eine Vielzahl weiblicher Arbeitswelten) entwickelte er ein Arbeitsethos, das sich dem Genuss nicht verschließt. Diesem Bild blieb aber stets – im Gegensatz zur (männlichen) Erfolgsstory des Aufsteigers – die existentielle Angst vor der Versagung und dem Absturz eingeschrieben.

Hogarth schuf Werke, die ihren Warencharakter nicht verleugneten, sondern vervielfachten. Die „Modern Moral Subjects“ wurden diversifiziert angeboten für unterschiedliche Zielgruppen: als einfache Holzschnitte für die Lehrlinge und Dienstmädchen, als aufwändigere Drucke für den bürgerlichen Mittelstand, als Gemälde für die gehobenen Stände. Ihr Wert und der ihres "Schöpfers" Hogarth konnte sich folglich nicht im Werk als Gegenstand zeigen, sondern in der Erfindung. Es ist daher kein Zufall, dass William Hogarth sich für ein Urheberrecht einsetzte, das nicht mehr am Gegenstand hing, sondern der „Erfindung“ galt. Mit dem sogenannten „Hogarth Act“ wurde in England 1735 das erste Urheberrecht erlassen, das die Rechte von „Autoren“ schützte. Wie fragil aber eine bürgerliche Existenz ist, die sich auf immaterielle Rechte am „geistigen Eigentum“ stützen muss, wird in Zeiten des Internets überdeutlich.

Montag, 17. Januar 2011

DIE ANDERE MARIA (4): DIE PASSION BEGINNT

William Hogarth: A Harlot´s Progress (Blatt 4)

Nach der Verhaftung (Blatt 3) beginnt die Passion der modernen Maria.  Sie ist nun im Gefängnis in Bridewell. Mary steht, von anderen Häftlingen geschieden, im Vordergrund auf einem Podest. Immer noch ist sie vornehm gekleidet und versucht auf diese Weise ein wenig Eindruck auf die strengen Wächter zu machen. Hinter ihr ist ein Mann ins Holz geschlagen, über ihm die zynische Aufschrift: „Better to work than Stand thus.“  Der Gepeinigte am Pranger und ein bedauernswerter Spieler sind die einzigen männlichen Gefangenen. Ansonsten hat es nur Frauen und Mädchen hierher ins Arbeitsgefängnis verschlagen. Im Vordergrund erkennt man auch Marys Dienerin aus dem dritten Blatt wieder, die versucht einen der Wächter durch die Präsentation ihres Beines zu reizen.


Die Wahl zwischen dem rechten und dem schlechten Lebensweg, die Mary auf dem ersten Blatt nur vorgespiegelt wurde, war das große Thema des britischen Protestantismus von Milton bis Locke. Hogarth setzt an die Stelle eines männlichen Helden eine Frau und kommentiert auch durch diesen Geschlechterwechsel die propagierte Ideologie, die Arbeit und Vergnügen, Verantwortung und Lebenslust so scharf voneinander scheidet. Nur an der Oberfläche nämlich wird die Bestrafung Marys als gerechte Folge ihrer moralischen Verworfenheit dargestellt. Tatsächlich wird  gezeigt, wie (männliche) Prinzipien(reiter) die Hilflosigkeit der weiblichen Heldin ausnutzen.

Der Austausch des mutigen Helden gegen eine Frau ist ein typisches Phänomen in der Kunst und Literatur des  18. Jahrhundert in England: Daniel Defoe´s Moll Flanders oder Richardsons Pamela und Clarissa. Die weibliche Heldin, in der sich die männlichen Autoren selbst darstellten, verkörperte den Wechsel von einem aristokratischen zu einem bürgerlichen Ethos, an dessen Durchsetzung sie arbeiteten. Die Themen von Kunst und Literatur in der bürgerlichen Epoche sind nicht mehr Krieg und Verrat , sondern Liebe und Leidenschaft.  Zum Vorbild der durch männliche Autoren gestalteten weiblichen Heldinnen wurde langfristig aber weniger die amouröse Moll als die um ihre Unberührtheit ringende Pamela.  Männliche Autoren imaginierten sich ein weibliches Ideal, dem die Werte bürgerlicher Moral als Natur eingeschrieben waren: Bescheidenheit, Selbstlosigkeit und Keuschheit.

Auch der Maler Hogarth identifiziert sich und sein künstlerisches Schaffen mit seiner weiblichen Heldin. Wie sie, die Prostituierte, muss er seine Arbeit als Ware auf einem Markt  zum Kauf anbieten, der zugleich Warenförmigkeit fordert und brandmarkt. Wie sie versucht er mitzuspielen, um Arbeit und Vergnügen zu verbinden und wie sie wird er daran scheitern. Die Werte, die er in der Gestalt seiner Mutter Maria (denn sehen Sie hin: Mary ist schwanger), verkörpert sind eben nicht die der bürgerlichen Moralapostel. Sie, deren Körper sich schon auf dem ersten Blatt die Bordellbetreiberin Needham und der Freier Charteris anzueignen suchen, bemächtigt sich selbst dieses Körpers, versetzt ihn in Schwingungen, bewegt sich mit ihm wie Eva mit der Schlange, deren geschwungene Linie Hogarths Ausdruck der Schönheit war.

Hogarth´s Mary ist (noch) eine aktive Eva, die aus ihrem Paradies (Blatt 2), in dem sie keck ihr Füßchen aufsetzte und lustvoll spielte, vertrieben wurde. Doch nicht von Gottes Hand, sondern durch die des selbstgerechten Richter Gonson, der auf der Rückwand des Gefängnisses von Kinderhand karikiert ist. Dieser Maria wurde am Anfang nicht verkündet, dass der Allmächtige das Unmögliche möglich machen kann, sondern durch Mother Needham, was für eine wie sie unter den gegebenen Umständen möglich ist. Ihr begegnete nicht wie Maria Magdalena Jesus, der ihr vergab, sondern Gonson, der das Gesetz an ihr vollstreckte. Sie wird nicht gen Himmel fahren, sondern in den Sarg versenkt werden. Aber Hogarth immerhin hat sie nicht als  passive Dulderin dargestellt, sondern als eine, die, solange es geht, gegen ihre Vernichtung anspielt.

Auf diesem Blatt, das ihre Passion einleitet und das zahlreiche ikonographische und inhaltliche Anspielungen auf Kreuzigungsdarstellungen enthält (die Schächer, die um Jesus Gewand spielen, die römischen Soldaten, die ihn verhöhnen) hält sie den Körper aufrecht und macht eine gute Figur. Sie senkt nicht den Kopf, wie die Mutter des Herrn auf den meisten Darstellungen seiner Folter, sondern steht da, wie ich mir auch diese Maria wünschte: mit erhobenem Haupt, ihren Peinigern zur Schande.

Verwandte Beiträge

Donnerstag, 6. Januar 2011

DIE ANDERE MARIA (3): VERKÜNDIGUNG UND BEFLECKTES EMPFANGEN

William Hogarth: A Harlot´s Progress (Blatt 3)

Wir sahen, wie sie heimgesucht wurde von Mother Needham und Francis Carteris, der Puffmutter und dem notorischen Vergewaltiger. Alles ist möglich, erfuhr die nachgeborene Dorf-Maria, in der großen Stadt London. Du hast keine Chance, das stimmt, nutze sie! Was sie tat: Suchte sich einen, der zahlen konnte und bereit war, sich ihre Gunst etwas kosten zu lassen. Spielte die große Dame. Und wollte noch mehr: Lust und Liebe. Einen jugendlichen Liebhaber hielt sie sich, ganz wie die adligen Frauen in ihren Palästen. Das war zuviel verlangt. Oder unsere Schauspielerin, das Bauernmädchen Mary, zu unbedarft für diese Rolle. So kann´s kommen, wenn man unvorsichtig ist und zu hoch hinaus will.



Die Szene ist ein Spiegelbild der vorangegangen. Aber jetzt ist, was vordem Glanz und Pracht war, nur noch Tand und Dreck. Da sitzt sie nun auf ihrer neuen Arbeitsstätte, kein Rokoko-Stühlchen mehr, sondern eine schlamperte Matratze, kein zierliches Teetischchen steht vor ihr, sondern ein krummer Schemel, kein rausgeputzer Mohr bedient, bloß eine ausgepreiste Vorgängerin mit von Syphilis zerfressener Nase. An der Wand hängen mit einer Ausnahme (dazu später mehr) keine biblischen Historienbilder, sondern Porträts ihrer neuen, zeitgenössischen Helden: statt des rechtschaffenen Jona und des siegreichen David Captain McHeath, der Schuft aus „Beggar´s Opera“ und Dr. Sacheveral, ein berüchtigter Quaksalber und Hochstapler. Es ist eben alles spiegelverkehrt hier, erinnern Sie sich: Jona, ein selbstgerechter Priester und David, der mit Gewalt zur Macht kam und an der Macht zum Vergewaltiger wurde. Ihren Körper verkauft sie, an jeden offenbar, der zahlen kann, auch ausgefallene Wünsche werden befriedigt, die Werkzeuge dazu hängen an der Wand oder liegen bereit. Ganz oben auf dem Betthimmel sieht man eine Perückenschachtel, die den Namenszug ihres derzeitigen Liebhabers trägt: John Dalton, ein berühmter Straßenräuber, dessen Taten die Gazetten füllen.

Gegen alle Hoffnung (oder Glaubensgewissheit) der frommen Moralisten zeigt uns Hogarth die gefallene Maria (Magdalena) jedoch nicht als Zerknirschte und um Rettung Flehende. Es ist zwar hier alles ein wenig dürftig, doch sie weiß sich auch in dieser Umgebung zu bewegen. Sie lebt und liebt, sie arbeitet und verdient; sie nimmt, was sie kriegen kann und gönnt sich, was zu haben ist. Doch, warte nur, Maria, der Engel des Herrn naht, dir das Gesetz zu verkünden: Da steht er schon in der Türe, der mächtige G., Bote der All-Macht, dich in deine Schranken zu verweisen.

El Greco: Verkündigung

Hogarth hat auch auf diesem Blatt die Dirne Mary in ein christlich-ikonographisches Schema der Marien-Erzählung eingebettet: Maria Verkündigung. Der erschrockenen Maria erscheint Gottes Bote, der Erzengel Gabriel, um ihr die unbefleckte Empfängnis des Gottes-Sohns anzukündigen.

Unserer von Hogarth vorgestellten Straßenschönheit kann offensichtlich keine fleckenfreie Empfängnis verkündet werden. Sie hat sich befleckt und sich besudeln lassen, weiß das Gesetz: Du sollst nicht... Zwar greift für die Vergehen der Mary wörtlich keines der Zehn Gebote, doch die Herrschaft hat immer schon verstanden, das Gesetz des Herrn passend anzuwenden auf die je gegebenen Lebenswege der Sünderinnen. Von Mary noch unbemerkt steht der Vollstrecker des herrlichen Willens bereits im Türrahmen: Ihr Engel, der ihr den rechten Weg weisen wird, erscheint in der Gestalt des unermüdlichen und unerbittlichen Richters Gonson, der mit seinen Schergen gekommen ist, die Unzüchtige zu verhaften.

Wiederum mutet Hogarth seinem Publikum Ungeheures zu: Denn über die Porträts von Marias gegenwärtigen Leitbildern hat er eine billige Zeichnung gehängt, die eine verstörende alttestamentarische Szene zeigt: die Opferung Isaaks durch Abraham. Er konfrontiert durch das Bild im Bild den Gott des Alten Testaments, der von Abraham so viel Vertrauen fordert, dass er verlangt, den eigenen Sohn zu opfern, mit dem Gott des Neuen Testaments, der so viel Vertrauen und Vergebung schenkt, dass er seinen Sohn opfert. In der Szene jedoch, in welcher der HERR der Frau, die in ihrem Leib den Gottessohn austragen soll, das Opfer ankündigt, hat bei Hogarth die Rolle der Jungfrau Maria die Hure Mary übernommen und der Erzengel ist ein mitleidloser Strafrichter, der Vergebung nicht kennt. In einem christlichen Umfeld kann man gesellschaftliche Zustände kaum schärfer kritisieren.

Die HERRschaft und die Moral, die Gonson und die seinen vertreten und die sie an Mary vollstrecken, werden als bigotte kenntlich. Sie opfern nichts Eigenes, weil sie keinem vertrauen; sie opfern Mary, deren Leib sie missbraucht haben, wie der HERR den Leib Marias, der Jungfrau, die unter Schmerzen in einem Stall gebären und nie Lust empfinden sollte, um unbefleckt zum Himmel zu fahren.

William Hogarth, der männliche Maler, scheut sich nicht, in seiner Erzählung die ikonographischen Muster immer wieder queer  zu  nutzen: Seine weibliche Hauptdarstellerin kann die Rolle des Herkules ebenso annehmen, wie die der Mutter Maria oder Maria Magdalenas. Ihr vorgeführter Lebensweg wird kommentiert durch die Taten männlicher biblischer (Anti-)Helden: Abraham, Jona, David. Wir werden noch sehen, wie sehr Hogarth sich und seine Kunst mit der Frau, die selbst mitspielen will, aber am Spiel der Macht scheitert, identifiziert.

Und die Moral von der Geschicht´: Beschmutz Euch getrost, es wird euch nichts vergeben!

Verwandte Beiträge

Sonntag, 2. Januar 2011

DIE ANDERE MARIA (2): GELD UND LUST

William Hogarth: A Harlot´s Progress (Blatt 2)

Ob sie wohl die Beine breit machen musste, für den schmuddeligen Charteris, der schon geil im Türrahmen wartete, auf dem ersten Blatt, unsere kräftige Maria vom Lande? Sehr wahrscheinlich. Auch, dass ihr besonderer Wert für die Kupplerin Needham in der angenommenen Unschuld der Landpomeranze lag, ist anzunehmen. Die Jungfräulichkeit der Maria macht ihre Preis-Würdigkeit aus. Hier – wie für die Kirchen-„Väter“.  Der Geburtskanal der Frau unberührt vom anderen Mann, die Freude am Schock des überraschten und verstörten Mädchens, womöglich auch die Lust als Erster Schmerz zu verursachen und Blut fließen zu sehen, vor allem aber die Kontrolle über das sexuelle Begehren und die Reproduktionsfähigkeit der Frau – da kommen einige männliche Wahnvorstellungen zusammen, wie sie die biblischen Geschichten (und andere Ur-Mythen selbstverständlich) prägen.


Ich mag mir vorstellen, dass der Preis gezahlt wurde, aber der Geldgeber gleich von Anfang betrogen ward. (Wie auch die Kirchenväter sich betrogen über Maria, die Mutter, von der ER nie behauptete, sie sei Jungfrau gewesen). So wie sie da stand, verlegen wohl, aber nicht gebückt, sich ihres Körpers und seiner Kraft und Ausstrahlung bewusst – warum sollte sie sich nicht beglückt mit einem jungen Burschen im Heu gewälzt haben, dort wo sie herkam? Als wir sie wiedersehen jedenfalls, hat sie gelernt: Man kann – ja, Frau muss ihren Körper gegen Geld verkaufen. Da lohnt es sich darauf zu achten, den Preis möglichst hoch zu treiben. Das hat sie verstanden. Doch sie geht Risiko. Denn der Körper, den sie für den höchsten Preis zur Verfügung stellt, lässt sich nicht mit seidigen Roben, porzellanem Geschirr, exquisiten Früchten, zierlichen Rokoko-Tischchen und güldenen Geschmeiden befriedigen. Sie will mehr. Sie will Lust. Das Geld hat der eine Mann, die Fähigkeit sie zu belustigen der andere.

Hogarth zeigt uns Mary auf diesem zweiten Blatt bereits auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie hat es geschafft, sich als Mätresse eines reichen Mannes zu etablieren, der sie in einem luxuriös ausgestatteten Apartment untergebracht hat. Sie imitiert den Lebensstil der Aristokratin  und hält sich selbst einen Geliebten. Um von dessen Anwesenheit abzulenken, stößt sie ein Teetischchen um, damit der sich hinter dem alten Freier hinaus schleichen kann. Das ist ein Spiel, für das sie bezahlen wird, wie wir sehen werden. Die "Moral" der Zeit lässt nichts anderes zu: Eine Frau, die sich nimmt, was sie will und nicht nur, wodurch sie bezahlt wird; eine Frau, für die Sex nicht nur ein Geschäft ist, sondern die daran Spaß hat, verdient die Höchststrafe. Im Prinzip spielt es dabei keine Rolle, ob sie sich als Hure oder als Ehefrau prostituiert. Wenn sie mehr und anderes will als Status und Geld, ist sie verloren.

Hogarth setzt den Werdegang Marias wiederum zu biblischer Ikonographie in Bezug. Im Hintergrund an der Wand sehen wir ein Gemälde, das Jona zeigt, der mit Gott hadert  und ein anderes, auf dem David vor der Bundeslade tanzt. Diese Gemälde kommentieren  das Geschehen im Vordergrund.  


Rembrandt: Jona vor den Mauern von Ninive



Jona hadert mit Gott, weil dieser das lüsterne Leben der Menschen in Ninive nicht hart genug bestraft und David schwingt sich durch die  Überführung der Bundeslade nach Jerusalem zum religiösen und weltlichen Herrscher auf, jedoch nicht, indem er vom Thron herabschauend sich vom Volke feiern lässt, sondern indem er sich selbstvergessen dem Tanz hingibt. Die Kritik  Hogarth´ gilt gerade nicht der Lust, sondern der Lustfeindlichkeit, der Mäßigung und Selbstdisziplinierung  durch bürgerliche Ideologie.

Die Maria „Hackabout“, die Hogarth uns vorführt, ist kein reines Opfer. Sie scheitert auch nicht daran, dass es ihr an Moral mangelt. Sie scheitert – wie der Maler, der sie erfand - an und in einer Welt, in der Lust und Geld, Arbeit und Vergnügen streng von einander getrennt sind. Die einen, die Adligen, frönen der Lust und leben parasitär, die anderen, die Bürger, arbeiten und verkneifen sich ihr Begehren (zumindest wird das als Ideal propagiert). Die lustvolle Frau, die arbeitet, - Hogarth setzt sie auf diesem Bild nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal als Mittlerin zwischen beidem Welten ein. Er zeigt: Wohlleben und Lust, sich versorgen und sich gehen lassen, lassen sich in der bestehenden Ordnung nicht unkorrumpiert vereinen. Ein Stück weit verkauft man sich, gibt sich hin, wer mitspielen will, unterwirft sich den Spielregeln. Sie verdient kein Mitleid. Denn Mitleid ist immer Herablassung. Stattdessen - Mitscham: Dafür, dass Lust nur um den Preis der Verarmung oder Marginalisierung zu haben ist, dass wir teilhaben an einer Welt, die so eingerichtet ist.

Verwandte Beiträge:

Sonntag, 26. Dezember 2010

DIE ANDERE MARIA (1): HEIMSUCHUNG

WILLIAM HOGARTH: A HARLOT´S PROGRESS (1.Blatt)

1731 hätte ich in London für eine halbe Guinee als Vorauszahlung das Recht auf eine Folge von sechs Drucken erwerben können, die mir den Lebenslauf einer Dirne vor Augen führen sollten. Auf dem Subskriptionsticket, das sich seit gestern in meinem Besitz befindet, verspricht Mr. W. Hogarth, diese zu liefern, „when finish´d on Receiving one half Guinee more.“

Der erste Stich, den ich erhalten hätte, zeigte mir, wie die junge Mary in London ankommt. Sie trägt einen Strohhut und schlägt vor jener älteren Frau, die ihr ungeniert unters Kinn greift, die Augen nieder. Sie ist abgeladen worden von einem Wagen aus der Provinz, voll gepackt mit jungen Mädchen, von denen vielleicht auch damals euphemistisch gesagt wurde, dass sie „ihr Glück in der Stadt suchen“. Begleitet wird dieser Wagen von einem Geistlichen, der scheinbar die Adresse auf dem Empfehlungsschreiben, das er dabei hat, nicht entziffern kann. Es ist, wie´s immer ist: die Hüter der Sittlichkeit schauen weg, wenn Opfer gemacht werden, damit sie später desto treffsicherer mit moralischer Keule auf diese einschlagen können.



Unterwerfung drückt bei dieser jungen Dame jedoch nur die Kopfhaltung aus. Der Körper selbst ist aufgerichtet und stramm, die Arme kräftig ineinander verschränkt. Wohlgenährt, drall und lebenstüchtig wirkt diese Maria vom Lande, eine patente junge Frau, die aber wohl schon ahnt, wie sie´s vom Pfarrer und Vater gelernt haben wird, dass sie sich zu fügen hat, in das, was die Alten Schicksal nennen und in Wahrheit Geschäft ist. Vielleicht ist jene alte Vettel, die sie so dreist anlangt, die erste weibliche Person, auf die dies Mädchen trifft, die ihre Geschäfte selbst führt und n i c h t dient. Als Londonerin des Jahres 1731 hätte ich die Alte zweifellos erkannt: Es ist Mother Needham, eine stadtbekannte Kupplerin, die mehrere Bordelle betrieb. In der Tür des Hauses hinter ihr wartet schon einer ihrer Kunden, der berüchtigte Geldverleiher und Vergewaltiger Francis Charteris. 

Mit diesem ersten Stich führt Hogarth die Heldin seiner Erzählung ein. Er bedient die bürgerlichen Moralvorstellungen und unterläuft sie auf subtile Weise zugleich. Seine Maria ist eine „dumme Gans“ (wie jene schon tote, die falsch adressiert am rechten Bildrand liegt), die sich der Bauch Londons rücksichtslos einverleiben wird. Jedoch ist nicht sie es, die kein moralisches Rückgrat hat, um dieser Vernichtung zu widerstehen, sondern der sich auf dem Esel windende Vertreter frommer Sittlichkeit, der sie gleichsam Mother Needham vor die Füße wirft.  Die Herrschaften im Hintergrund: der heuchlerische Geistliche und der geile Verbrecher, der sich einen runterholt, sind es, denen Hogarths Spott und Verachtung ungebrochen gelten. Die Frauen im Vordergrund jedoch sind in zwei bedeutende ikonographische Schemata eingesetzt: ein mythisches und ein christliches.

http://www.reproarte.com/files/images/C/carracci_annibale/0298-0093_herkules_am_scheideweg.jpg

Hogarth stellt Mary an die Stelle des Herkules am Scheideweg. In der mythischen Erzählung muss Herkules zwischen „Virtue“ und „Pleasure“ wählen, zwei schönen Frauen, die ihn jede für sich zu gewinnen suchen. Bei Hogarth ist der Kampf zwischen den beiden längst entschieden. Der vermeintlich ehrbare Pfarrer zu Linken Marys wendet der Verführten den Rücken zu. Um keines der Mädchen wird der kämpfen. Die Lust aber wird verkörpert durch eine von Alter und Laster gezeichnete Frau. Immerhin jedoch hat sie es offensichtlich zu Wohlstand und Unabhängigkeit gebracht. Mary – zeigt Hogarth - hat keine Wahl zwischen Tugend und Laster, sondern zwischen Heuchelei und Kuppelei. Aus der Perspektive einer jungen Frau ist es eine Scheinwahl, die den Gewaltakt nur tarnt, dem sie ausgesetzt ist. Die ideologische Trennung von Ehrbarkeit und Vergnügen, Arbeit und Lust, erfüllt sich an ihr als Ware, die ihren eigenen Wert nicht bestimmt, sondern stets in dem einen System verliert, was sie in dem anderen gewinnt.

Quelle: http://www.meisterwerke-online.de/piero-di-cosimo/original3759/heimsuchung-mit-zwei-heiligen.jpg
Schockierender ist, wie Hogarth das ikonographische Schema von „Mariä Heimsuchung“ für die Initiation einer Hure verwendet. Im christlichen Erzählgut besucht die schwangere Maria auf Geheiß des Engels Elisabeth. Elisabeth, eine alte Frau, von der keiner mehr angenommen hatte, das sie empfangen könne, ist schwanger. Der Anblick Elisabeths bestätigt Maria, dass der Herr, der Allmächtige, a l l e s tun kann. Der allmächtige Herr aber, für den Elisabeth Needham tätig wird, ist der Vergewaltiger Charteris, die Hand im Hosenschlitz.

Maria, diese andere Maria, ist im HERRschaftsspiel nur eine Ware, die verschachert wird. Sie hat keine Wahl und was sich ihr offenbart beim Anblick Mother Needhams ist nicht die göttliche Allmacht, sondern die traurige Wahrheit, wozu eine Frau bereit sein muss, um wenigstens den Hauch einer Chance auf Unabhängigkeit zu haben. Kein Gott wird diesen jungfräulichen Körper befruchten, kein Engel über ihre Seele wachen. Doch wir werden sehen, wie dieser stramme Körper zum Leben erwacht. Denn auf dem nächsten Blatt lässt Hogarth sie einen kleinen Aufstand proben: Wenn sie nicht tugendhaft sein kann, will sie doch Spaß haben. Nachdem über sie entschieden wurde, entscheidet sie: mitzuspielen, koste es, was es wolle. Gegen das Geld, das Gesetz, gegen Gewalt und Tod kann sie nicht an, doch er gönnt ihr diesen Augenblick des Spiels und der Lust und entreißt sie auf diese Weise dem sentimentalen und verlogenen Mitleid, das fortan Frauengestalten wie sie in Literatur und Film auf sich ziehen werden.