Dass so ein mieser Tag noch so wunderbar enden kann... Heute kam die erste Ausgabe von "Die Wiederholung" hier an. Mit einer Rezension von Jost Eickmeyer zu meinem Roman "PUNK PYGMALION". Eine Rezension, die mich - vor Freude - erschüttert, weil Jost Eickmeyer so genau die Konstruktion und die Sprache des Romans erfasst, das was ich wollte und was ich nicht wollen konnte (weil es mir selbst unbewusst blieb), was aber der Roman und seine Figuren wollten, mussten. Und dies: "Emmi verkörpert die Struktur des Begehrens, das - wie tendenziell jedes - nicht auf etwas, sondern auf die Abwesenheit selbst gerichtet ist." Meine (!?) E m m i... Es ist etwas seltsam Abgründiges um die Erfahrung erkannt zu werden i n Worten (die ich nicht bin, aber schrieb).
Beinahe erinnern die Liebesbriefe an ihre Freundin Emmi aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die M. in ihrem heimlich betriebenen Blog veröffentlicht, in ihrer Unbedingtheit des Gefühls an Briefromane aus einer Zeit der Empfindsamkeit. Damals allerdings stellten sich Erzählung und Erzähler nicht selbst in Frage. Heutzutage sind gefakte Facebook-Profile, falsche Wikipedia-Einträge, und gefälschte Webseiten mit wenigen Klicks zu erstellen. Avatare behaupten, literarische Figuren zu sein und umgekehrt. Was scheinbar harmlos als Wiederbelebung einer alten Liebe anfängt, wird zu einer tragischen Geschichte um Liebe, Freundschaft und Verrat.
Klappentext:
„You´re making it up“, sagte B., als ich versuchte ihm die Geschichte zu erzählen. Also schwieg ich. Dabei ist dies eine der wenigen wahren Geschichten, die ich erzähle. Eben deshalb wirkt sie erfunden. Ich traf ihn im Sommer 1983 in Berlin. Er war ein Steinmetz aus Aarhus in Dänemark. Wir stießen auf eine Leiche, die in einen Müllsack verpackt im Landwehrkanal trieb. Wir liebten uns unter einem Eisenbahnviadukt. Man sieht sofort, warum B. diese Geschichte für eine – schlechte – Erfindung hält. Ein Mann mit riesigen Pranken, der Grabsteine haut. Eine Leiche, die im Landwehrkanal treibt. Liebe machen im Rhythmus der Züge. „Der Tod und das Mädchen“. Es ist einfach zu perfekt. Sagte B. Aber genau so war es.
Heute Abend zeigt Arte gleich zwei Filme, für die ich noch einmal werben möchte. Zu beiden habe ich ausführlich (nach den Kino-Besuchen) hier auf Gleisbauarbeiten geschrieben.
Um 22.00 Uhr wird Pedro Almodovars "DIE HAUT IN DER ICH WOHNE" gezeigt. (Link zur Besprechung des Films im Blog: Hier.)
Seit Jane Campions "An Angel at my Table" letzte Woche auf Arte wiederholt wurde, ist zum beliebtesten Post dieser Seite (d.h. zu jenem, der am häufigsten aufgerufen wird) übrigens ein Text geworden, den ich ganz am Anfang meiner Bloggerei (im Juni 2010) geschrieben habe: "Entdecken Sie Janet Frame!" Auch diese Aufforderung wiederhole ich gerne!
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Illustration aus PUNK PYGMALION "We are the dead"
Zu meinem Roman PUNK PYGMALION gibt es inzwischen einige Rezensionen, über die ich mich sehr gefreut habe. Ein Verriss ist (noch?) nicht dabei, so dass ich nicht beweisen kann, dass ich auch auf einen solchen verlinken würde (gekränkt und betroffen, selbstverständlich, aber kommentarlos).
Jana Volkmann rezensiert den Roman auf "Freitag" als Liebesroman: „Punk Pygmalion“ erzählt von Liebenden, die einander konsumieren – die sich einander einverleiben, bis zum Verschwinden des Anderen im Eigenen und umgekehrt."
Elk von Lyck auf LitOff legt den Schwerpunkt auf die Verbindung zweier literarischer Formen: dem traditionellen Briefroman und dem, was er "Bloglit" nennt: "Das Internet lehrt uns, dass die Wirklichkeit nicht starr ist, sondern sich in jeder Sekunde neu erfindet. Auch die Sichtweisen auf unsere Welt sind nicht einheitlich, jeder hat seine eigene Perspektive - und wechselt sie im Laufe seines Lebens mehrfach. Deshalb lässt sich nur schwer sagen, was wahr ist, was erfunden ist und was individuelle Wahrnehmung ist. Punk Pygmalion spielt mit den unterschiedlichen Ebenen der Wahrnehmung, verweigert sich aber endgültigen Antworten. Wer diese Grundhaltung teilt, wird mit einer spannenden, geschickt konstruierten Geschichte belohnt, die gerade weil sie so unwahrscheinlich ist, unwahrscheinlich viel Spaß macht."
Dietmar Hillebrandt (Bücherblogger) geht - neben anderem - vor allem auf die Spannung zwischen Identität und Fiktion ein: "Gerade aber aus der Inkongruenz der Identitäten, den inneren Zwiespälten der Figuren entwickelt sich die nie abreißende Spannung, weil immer wieder nach psychologischen Gründen für Übergriffigkeiten und Fälschungen vermeintlicher Täter gesucht wird. Licht und Schatten fallen gleichermaßen auf die handelnden Personen, als seien sie Verwandte der bildhauerischen Statuen Ansgars und Lars´. Dies erzählerisch bis zum Schluss in einer lebendigen Schwebe halten zu können, ist die eigentliche Leistung des Romans und bei aller Irritation ein Genuss für seine Leser."
Iris von Iris Blütenblätter gestaltet ihre Buchbesprechung als einen Brief an die Blogherausgeberin M.: "Liebe M., deiner Geschichte zu folgen, geht nicht ohne Aufgabe von Distanz und Selbstschutz. Jedenfalls was mich betrifft. Und dass es tatsächlich deine Geschichte ist, mehr als Emmis, mit deren Briefen es begann, wird nach und nach deutlich. Du treibst ein Spiel auf mehreren Ebenen. Ja, du willst es wirklich wissen. Keine verfügbare Rolle, in die du nicht wenigstens probehalber schlüpfst. Ein Verwechslungsspiel, ein Tausch, ein Vermischen von Fiktion und Realität. Ein Konglomerat aus dem, was war und dem, wie es hätte sein können. Aber niemals Lüge. Alles, auch die Masken, auch die Umschreibungen dienen letztlich der Wahrheitsfindung. Denn du willst dich nicht länger mit Vermutungen und Deutungsversuchen zufriedengeben, liebe M. Du willst es endlich wissen. Du willst kennen."
Antje Schrupp stellte fest, wie unterschiedlich die Wirkung des Lesens im Netz und Lesen im Buchformat "am Stück" doch immer noch sind. Sie bevorzugt Binge-Reading."Aber jetzt, so am Stück! Fand ich das spannend wie einen Krimi (es geht auch in der Tat darum, dass versucht wird, Sachen herauszufinden). Zum Leben erweckt wird die punkige Atmosphäre der 1980er Jahre, rückblickend aus der Abgeklärtheit der 2010er Jahre. Es geht um Wahrheit und Lüge, um Liebe und Einbildung, um Projektion und Authentizität."
Eva Jancak von literaturgeflüster interessiert sich für Blog-Romane und fand PUNK PYGMALION "experimenteller, verwirrender, vielschichtiger und für alle Interessierten, die wissen wollen, was im Netz alles möglich ist, das dann zu Papier wird, sehr empfehlenswert."
Jos Diegel schreibt in der Sonderausgabe des Romans, deren Cover er gestaltet hat , an die Autorin, die ich (nicht?) bin: "Es ist ein kleines Wunder, deine Autorin wurde
erfasst von dem was sie macht, Briefe schreiben, so wie der Text von der Realität
erfasst wurde. Wenn M. nicht die Autorin per se ist, dann ist sie zumindest
diejenige, die sie repräsentiert. Ihre mögliche Autorinnenschaft überlagert
ihre Figur im Buch. Man hätte sagen können Deine Figuren sind nur falsche
Fünfziger und Blüten. Man hätte auch sagen können, das sind sie nicht, sondern
das sie moderne Götter sind, weil so wie sie in deinen Geschichten unser Leben
definieren, sind sie die Schlüssel, die uns Zugang zu
irgendeiner Natur von irgendeinem Ursprung zu irgendeiner Ganzheit in irgendeinem
Universum eröffnen. Und, und, und, das hätte man alles sagen können. Ein
Jahrzehnt später könnte man in irgendeinem Essay schon wieder schreiben, das
ist das Ende der Autorin. Sie hatte sich davon verabschiedet Geschichten
heraufzubeschwören, die von ihrer Biografie und ihren Neigungen zeugen.
Tatsächlich hat es nie etwas wie das Ende dieser Autorin gegeben. Wir brauchen
sie doch und das Wissen, das sie das ist, um das alles zu verstehen, was da
passiert. Dass sie da irgendwo hinter und zwischen den Zeilen sitzt. Diese
Autorin hat sich nicht verabschiedet."
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Das ist faszinierend. Und ein Geschenk. Wie unterschiedlich der Roman gelesen wird. Und wie er zugleich kenntlich wird in all diesen Besprechungen als das, worum es mir ging/geht.
„Punk Pygmalion“ ist nicht in erster Linie, aber auch, eine vollkommen irre Liebesgeschichte. Und vollkommen irre Liebesgeschichten sind die besten."
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Außerdem noch einmal der Hinweis auf diese Sonderedition des Romans:
Cover: Jos Diegel Text: Jutta Pivecka (Roman PUNK PYGMALION, edition taberna kritika 2014) inklusive zwei Vor-Texte: Der Künstler über die Autorin / Die Autorin über den Künstler Leinen gebundene, handsignierte und limitierte Auflage (20 Exemplare) € 50,00 zu beziehen über: galeriesöffing
"Hört auf die Aufstände von einst zu reproduzieren"
Zur Vernissage der Ausstellung "DAS IST EIN POSITIVES PROJEKT" von Jos Diegel in der Galerie Söffing, Frankfurt am Main erscheint eine Leinen gebundene, limitierte und signierte Sonderausgabe von PUNK PYGMALION.
Avatare und Kunstfiguren
Auszüge aus den exklusiv in der Sonderausgabe als Vorworte erscheinenden Texten: Jos Diegel:
"Das ist keine Vorhersage, das ist ein Spoiler.
Das ist keine Vorhersage, das ist eine Buchklappe und eine Buchklappe erzeugt
Widerstand. Das ist mein Widerstand fürs Lesen. Und
während ihr von vergangenen Aufständen lest und sprecht, sagt die Autorin, ja, ihr hattet Recht. Eure ganze Kritik ist eine Fiktion. Euer ganzer Punk ist ein
Pygmalion. Aber da gibt es noch mehr realitäts-basierte Implikationen.
Lassen wir mal das ganze Buch Revue passieren und schauen was passiert. Da geht
es nicht darum, was die Autorin für uns parat hat. Hier sind jetzt mal die
falschen Antworten für das Buch. .... Da ist eine Persönlichkeit, die außerhalb der
Realität zu leben scheint. ihr Name ist nicht einmal ihr richtiger Name. Sie
erklärt, dass sie sich für den Namen selber entschieden habe. Der Autorin wird
rasch einiges bewusst. Du verharrst das ganze Buch hindurch in Deiner Rolle,
der Autorin, die dieser Protagonistin gegenübersteht, die zudem darum kämpft,
nicht selbst dem Wahnsinn zu verfallen, in den die andere Protagonistin sie
hineinziehen möchte. Es ist so, als ob eine der Figuren dich gebeten hätte, ihr
ein Buch zu widmen."
Jutta Pivecka
"Was soll die Kunst? Die dunklen Wege erleuchten, bis Revolution
auch gütig möglich wird. (´Nein!´ ´Doch!´) Wir pfeifen auf das Gesetz des zu
vermeidenden Pathos. Denn auch wir tun ja nur so, als ob wir Kunstbetrieb,
Familienroman und Verzinsung abschaffen wollen. In Wahrheit machen wir als
Komplizen des Systems munter weiter.
Ist das so?
So ist das halt.
(Halt!
Haut
das in den Stein!)
(Notwendige Redundanz: Der
malt Bilder. Macht Filme. Projekte. Beschäftigt sich mit sich selbst. Übt
Kapitalismuskritik. Sieht gut aus und findet kein Ende. Ist unheimlich positiv.
Nicht käuflich, allerdings.)"
Morgen Abend:
6. Mai 2014
Galerie Söffing, Hamburger Allee 35, Frankfurt a. Main
Er wirkte immer durchtrieben und sexy. "Metrosexuell", lange bevor das Wort aufkam. Als The Fall hart und böse klangen, wirkten The Smith mit ihm als Frontmann schön und gewissenlos. Während eines Konzertes verfiel ich ihm. Das ging vorüber.
Georg strich sich die Haartolle mit derselben Geste aus dem Gesicht wie Morrissey (1987). Damals hielt ich es für ein billiges Imitat. Heute bin ich mit nicht mehr sicher. Hinter dieser asozial inszenierten Selbstironie steckt genau die Verzweiflung, wie sie auch Georg und Electric Slim zu tarnen versuchten. Jägermeister in der Cola-Dose morgens um halb zehn. Georg und Electric Slim liebten zweimal dieselbe Frau (nicht: dieselbe Frau zweimal). Ihre Freundschaft hat nur das erste Mal überlebt. Dann zogen sie an verschiedenen Strippen und verhedderten sich. Das konnte nicht gut ausgehen. (Im Nachhinein ist das immer leicht gesagt.)
Lange nicht gesehen. Die Verletzungen ("Glück ist eine junge Braut, der man ihn die Fresse haut."), längst verheilt. Letztlich zählt doch das Elternhaus. Wer nicht geliebt war, geht unter. Die anderen brauchen sich nicht mal zu retten. (Sind es schon. Immer. Schützen sich selbst. Nur zu gut. Auf Kosten. Von wem?) Erinnern heißt sich schuldig fühlen (oder machen?). Es ist doch alles gelogen. Weil es für die anderen ganz anders war. Noch immer ist. Die Freundin, der ich ausweiche, seit Monaten, weil sie sich nicht ändern kann. Ich will mich nicht im Spiegel dieser Augen sehen, die mich noch immer sehen, wie ich war, als ich die war, die ich jetzt nicht mehr bin.
Zurück zu den Zügen, außerdem. Wir ziehen an die Gleise (um). Once again. Zugverkehr.(Dann lest das doch mal.) Listig. (Mir liegt ein Kalauer auf der Zunge, aber ich verkneife ihn mir.) Our house in the middle of our street: For sale. Bücherberge. Spenden an die Schulbibliothek: ("Frankfurter Schule." Brauch ich nicht mehr. "Wer erschoss John F. Kennedy?" - in die Papiermüll-Tonne. "Irgendwann bis du auch für die lustigsten Verschwörungstheorien zu alt." Ich glaube trotzdem nicht, das Shakespeares Werke der Mann aus Stratford-upon-Avon geschrieben hat, von dem nicht mal 40 handschriftlich geschriebene Worte überliefert sind.) Wie rauh die Hände werden von dem Staub auf den Büchern. An die obersten Regalbretter komm ich nicht ran. Da müssen die Riesen schauen. Im Hobby-Keller finden sich verdächtig viele leere Spirituosen-Flaschen.
Morrissey: To me you are a work of art
***
"Wir sehen keine Dinge, meinte Philipp Otto Runge, dem die Ausstellung in der Kunsthalle gewidmet ist, sondern Bilder, die uns etwas bedeuten. Ich weiß nicht, was sie mir bedeutet. In diesem Moment ist es viel. Aber nicht Runges ´Weltenmaler Sonne´, sondern das künstliche Licht der Birne unter dem gefältelten Lampenschirm im Café Liebermann zeichnet dieses Bild für mich, das ich nicht vergessen werde. Ihr Haar leuchtet warm vor dem sienesischen Marmor mit einem zarten grünen Schimmer am Scheitel. Der Braunton ihres Jackets und das Orange des Pullovers lassen ihre Gestalt mit dem Hintergrund des Cafés, dessen Wände und Dekoration diese Farben aufgreifen, verschmelzen. Sie ist keine scharf konturierte Figur in diesem Bild, sondern eine Erscheinung im sanften Licht. Wie getupft. Sie trägt Jeans und flache Sneakers."
"All those feigning difference Whether to be, or become, past tense The forgotten part of all the cretins /or/ The forgotten part of old acquaintance"
The Clash: The Beautiful People are ugly, too.
Gespräche über Beziehungen und Liebe, Konstruktion und Magie (I don´t want to change a thing, when there´s magic). Die vertrackte Falle heterosexueller Anziehungs- und Abstoßungskräfte (The rotten heart of heterosexuality). Und trotzdem: Freundschaft. Das unbemerkt bleibende Kopfschütteln, wenn einer "Mensch" bleiben will. Gender difference reloaded, forever and ever again. Das Tauschgeschäft, das sich seit zweitausend Jahren als Liebe tarnt. Immer wieder erzählt von Männern. So: Die Andere, das unbekannte Wesen; Faszination pur. Der Spruch: "Ich liebe die Frauen." - ist nämlich eine Beleidigung! (Es kommt hierbei sehr auf den Artikel an. Haben Sie das schon mal eine Frau sagen hören: "Ich liebe die Männer." ?)
Wenn es bei einem Paar in unserem Kulturkreis (weiß, europäisch, klein- oder groß-bürgerlich) nicht mehr so klappt, geht die Frau zum Friseur, kauft sich ein schickes Kleid oder beginnt eine Diät; der Mann kauft Blumen oder Schmuck für sie. Modernisierter-avancierter: die Frau denkt über sich nach und versucht ihren Attraktivitätswert zu steigern; der Mann denkt nach, wie er sich die Frau mit Aufmerksamkeiten (Komplimente, Geschenke, Urlaube) gewogen machen kann (polemisierend: womit sie sich "kaufen" lässt). Sie überprüft ihre Mängel, er überprüft, wie er sie aufwerten kann. Beide schauen auf sie. Keine/r auf ihn, denn die Frau ist das Objekt der Begierde. Selbst in ihren eigenen Augen. (Wenn sich das ändert, wenn z.B. sie auf ihn schaut, gerät das Beziehungsgefüge aus der Balance. Unter diesem Blick wird ihm unwohl, meistens. Wenn zum Beispiel er aufhört, auf sie zu schauen, wird sie sich vernachlässigt fühlen - meistens zu Recht, denn er wird auch dann kaum auf sich schauen, sondern auf eine andere. So enden "Beziehungen". Liebe. In unserer Kultur. Nicht zwangsläufig, aber häufig.)
Das läuft natürlich nicht immer und immer noch überall so. Denn so eine Frau ist ja in Wahrheit noch gar keine Frau:
"Hinter der Bezeichnung Frau, die von der West-Liebe an alles geklebt worden ist, was die Regale schmückt zum Verkauf, verwendbar für Alles, was irgendwelchen Wert trägt im System der Codierungen der männlich beherrschten Gesellschaften, hinter dieser Ubiquität FRAU wird leicht übersehen, dass es Frauen, einzelne, wirkliche Frauen in dem Maße erst geben wird, wie sie sich erfinden als Nicht-mehr-Töchter. (...) Auf dem Weg dahin (sagen Analytikerinnen wie Luce Irigaray) liegt eine Verwandlung des Tochter-Status: von einer Tochter-des-Vaters zu einer Tochter-der Mutter zunächst zu werden; eine Verschiebung in der weiblichen Psyche von unabsehbaren Folgen. (...) Der Grundtypus der (männlichen) Anlehnungsliebe dürfte weiter sein, nach einer Frau zu schauen, die man treten kann, wie man die Mutter trat. Die Hitzeentwicklung der Objektwahl, - ein Budenzauber für anfällige Mädchen, denen man etwas vormacht. Mann macht etwas vor, das ist sein Leben. Anlehnung und kein Ende...die Liebe macht weiter...angelehnt an die Schrecklichkeiten der Eltern, seltener an ihr Schöneres. Das liegt daran, dass die Zerstörungen in der Geschichte der einzelnen Körper stärker nach Bearbeitungen verlangen als die weniger häufig ausgestreuten Schönheiten.
Es gibt auch Leute, die sagen, daran läge es nicht. Der Mensch sei so. Widerspricht wer?"
(Klaus Theweleit: Objektwahl. (All you need is love ...), 1990)
Bis dahin: In allen Gesprächen über Beziehungen und Liebe zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts bleiben die Leerstellen, das Schweigen am aufschlussreichsten: die unaussprechlichen Katastrophen.
***
"Ich kann überall hindurch sehen, wie Du weißt. Ich habe gesehen, wie das Blut durch Deine Adern pumpt. Ich habe in Dein Herz gesehen. Es ist nichts weiter als ein blutiger Klumpen. Auch Dein Herz, Emmi, ist nichts weiter als ein Blutklops."
Brief von Ansgar an Emmi (ohne Datum, Sommer 1984), aus: PUNK PYGMALION
Beinahe drei Wochen Zwangspause. Ein lächerlich banaler Unfall im Haushalt (wo die meisten tödlichen Unfälle passieren; jaja, ich weiß): Gehirnerschütterung. Kaum aufgestanden warf mich eine Grippe darnieder. Mit Fieber und allem Drum und Dran. Eigenartige Träume, Bildfetzen, keine Gewalt, nur totalitäre Idyllen, tonlos. Fieber macht mich taub. Das hatte ich vergessen. Drei Schlafanzüge in einer Nacht durchgeschwitzt. (Wer will das wissen, fragt die Kritikerstimme.) In der nächsten auch. Und in der danach. Pause. Der Körper will die Pause. Was geht im Kopf vor? Diesen Dualismus überwinden. Der Kopf fiebert mit. Fast nichts gelesen. IchEs konzentriert sich aufs Krank-Sein. Das rollt. Wogt. Schmerz fließt. Wie rüttelt das von oben nach unten. Die Füße jucken. Cremen. Füße eincremen. Es dauert, bis der Satz vom Hirn in die Hände kriecht, in den Rücken, sich aufrichten, hochschieben, die Finger spreizen, die Cremetube ertasten, ein Tupfen, da sind die Füße. Das sind die Füße.
Aufdringliche Drecksarbeitskerle und Rätsel
Tee ist heiß. Kehle runter. Gut. Das tut gut. Diese Verlangsamung des Denkens. Woran erinnert mich das? Meine Mama. Wenn meine Mama mich pflegt, wenn ich krank bin. Wohlig. Bergung. CARE. "Und was ist für dich Dreckarbeit?" Geh nicht in die Knie! Wer putzt, Essen oder Getränke besorgt, macht keine Karriere, sagt die FAZ. Die Verachtung. Die ich fühle, wenn eine/r nicht putzt, sorgt, kocht, sondern kauft. Untaugliche Erfolge. Hoeneß. Überall Hoeneß? "Seine Hässlichkeit ist nicht interessant.", wehrt der BenHuRum am Telefon ab. Er schwärmt vom Antlitz der Frau L. Vielleicht bestellt er die Süddeutsche trotzdem ab. Eine eigentümliche Bosheit. "Das Wort ´Beziehungskiste´, wann haben wir das zuletzt benutzt?" Naivität und Schönheit. Was wollen die Jungen? Entrümpelungen, nicht nur im Kopf. Der das Haus schon leert, das wir verlassen werden. Einrichtung. Ausrichtung. "Wohnst du noch - oder lebst du schon?" Aufdringlich. Schönes Haus ist das, mehr äußere als innere Werte. Krimkrise. Flug MH370. Rätsel. Dringt und drängt sich manches in die Verschaltungen. Sinnfrei. Was Freiheit ist. Darüber müssen wir auch noch mal reden. Vom Ende des Patriarchats. Und warum ich nicht in einem Formel1-Cockpit sitzen will. Ach. "HÖRT AUF DIE AUFSTÄNDE VON EINST ZU REPRODUZIEREN."
Masochism World
Im letzten Brief, den Ansgar in PUNK PYGMALION schreibt, bevor er von der Bildfläche und aus dem Roman verschwindet, zitiert er Zeilen aus "Masochism World" von Hüsker Dü.
"Der Fehler war, dass ich mich retten lassen wollte. Was zwischen uns geschehen ist, Emmi, ist von Anfang an ohne Ausweg gewesen, es war das Beste und Schlimmste, was wir sein können. Wir sind beide verdorben für jede andere Liebe. CAN YOU FEEL IT IN YOUR SOUL?...I LOVE IT. I HATE IT. I LOVE IT. WHY IS IT SO CONFUSING." (S. 107/108)
Damit endet der 1. Teil des Romans, die Herausgabe der Briefe aus den 80er Jahren und der zweite Teil beginnt, der den Namen von Ansgars Sohn trägt: LARS.
Es ist alles ambivalent. (An dieser Stelle sollte ein Kichern einsetzen.) Die muskelfreie Hühnerbrust, die eingefallenen Wangen gegen die kraftvollen Gesten, das Anschwellen der Synthesizer gegen die Statik der Figur: Ach, Helden! - "Just for one day." (Spreche ich nicht von David Bowie?) Die steile Selbst-Imagination im Schatten der Gewalt. --- Ach was, in deren Glamour-Licht. (Wer will schon Held sein und sich opfern? Ernsthaft. Da draußen.) Alles ein Spiel. Allerdings: Es gibt auch Spiele, die tödlich enden. Manche suggerieren sich selbst sich selbst (Diese Doppelung ist Absicht!) - und den Tod (der aber trotzdem kommt).Das sind nicht die Schlechtesten. Oder die Ödesten. Aber: - (Achtung, Künstler!) - Auch nicht die Hellsten, Schrillsten, Fähigsten. Keineswegs. Wer von der Lächerlichkeit seiner Selbst-Inszenierung höchstens eine Ahnung, aber kein Wissen hat, taugt nicht, anderen die Welt zu erklären. Wem selbst diese Ahnung abgeht, läuft Gefahr, sich in eine Eigen-Karikatur zu verwandeln. (Was sag ich: Garantiert!) Selber-Leben perdú! Dann bleibt nur noch der Abgang (trocken!). Oder die untot-traurig-schiefe Balance am Abhang. (Passgenaue Metaphern: Klammeraffen!)
Ansgar, der "Held" meines Roman-Debüts "PUNK PYGMALION" scheint sich zu Beginn der Erzählung an so einem Überhang festzuhalten, wenn er im ersten Brief von 1983 seine Berliner Liebschaft mit Bowies Worten beschwört: "WE COULD BE HEROES!" und sie im Post Skriptum dann belehrt:
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"PUNK´S NOT DEAD. Hab keine Angst vor der Wildheit in der Musik; das macht die Qualität aus. Hör zum Beispiel: Jam oder The Clash (´Combat Rock´), das ist einfach (WOW, nice, fantastic beat, anarchy, friendly of course). Aber sei vorsichtig. Punk ist leider auch Hass, fast Faschismus (Techno-Luxus-Punk), Mode, manchmal zu intellektuell. Meide diese Richtungen!"
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Es ist (natürlich!) ganz anders, ambivalent nämlich (Hier darf wieder gekichert werden.): Die die Freundlichkeit beschworen, konnten nicht freundlich sein. Und so. Man sah nämlich Ansgar niemals lachen. Am wenigstens über sich selbst. Mit Gewalt.
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Auch diesen Sonntag also wieder: Das Lied zum Sonntag mit Bezug zu PUNK PYGMALION.
Eva Jancek gibt auf Literaturgeflüster den Inhalt des Romans aus ihrer Sicht wieder:
Könnte ich über Musik schreiben, so schriebe ich heute nicht über Ani Difrancos "Untouchable Face", sondern über Giuseppe Verdis "Falstaff" (1893). Denn gestern sah ich eine großartige Inszenierung in der Frankfurter Oper. Verdi bearbeitet in "Falstaff" den Stoff aus Shakespeares "Die lustigen Weiber von Windsor". Der übergewichtige und herunter gekommene Sir John Falstaff glaubt - gegen den Augenschein - ein Frauenschwarm zu sein und seine missliche finanzielle Lage durch Affären mit verheirateten Bürgersfrauen, die die Geldschatullen ihrer Kaufmannsgatten verwalten, beheben zu können. Die durchschauen indes sein durchtriebenes und berechnendes Spiel und drehen den Spieß herum. Zum Schein geht Mrs. Alice Ford auf die Avancen des adeligen Säufers und Lebemanns ein, um ihn schließlich den Spott preiszugeben. Nach einigem Hin und Her, inklusive eifersüchtigem Ehemann und verliebter Tochter, wird Falstaff in der Nacht beim angeblichen Rendezvous von als Elfen, Feen und Geister Verkleideten verwirrt, gepiesackt und zum Geständnis seiner Schändlichkeit getrieben. Auch der eifersüchtige Ehegatte und unnachgiebige Vater bekommt sein Fett weg, bevor es zum versöhnlichen Ende kommt, bei dem deutlich wird: Alle sind Spieler, jede/r trägt eine Maske und zu verachten ist nur, wer "die Heilige" oder "den Heiligen" gibt. Unfassbar auch, dass Verdi diese Oper nur zehn Jahre nach Wagners Tod schrieb. Denn Verdis Oper ist nicht nur "komisch", sondern auch "witzig"; nicht romantisch-ironisch, sondern "very british" humorvoll, augenzwinkernd, vergeblich und vergebend. "Falstaff" schließt mit einer wunderbaren Fuge, die alle konkurrierenden, intrigierenden, disparaten Stimmen noch einmal vereinigt: "Tutto nel mondo è burla. L`uom è nato burlone." Wir sind Narren und halten zum Narren, wir werden genarrt und narren uns selbst. Die Einsicht in unsere menschliche Schwäche und Sterblichkeit kann tragisch "erhaben" überhöht werden oder uns zum herzlichen Lachen (über uns selbst und die anderen) bringen. Raten Sie mal, was mir besser gefällt!
(Auch in meinem Roman "PUNK PYGMALION" spielt das Lachen oder - andersherum - : die Unfähigkeit zu lachen eine Rolle. Die, an deren Lachen sich keiner erinnern kann, Emmi, der das letzte Kapitel des Romans gehört, zitiert auf S. 165 aus "Untouchable Face" von Ani Difranco:
"You look like a photograph of yourself
taken from far far away, and I don´t know what to do
And I don´t know what to say, but
Fuck you and your untouchable face.
Fuck you for existing in the first place."
So bitter und tragisch ist das, wenn eine nicht lachen kann. Über sich selbst. Noch schlimmer: Nicht einmal über die Andere.
Und weil ich über Musik nicht schreiben kann und daher auch nicht darüber, was die Frankfurter Inszenierung des "Falstaffs" so großartig macht, stelle ich zum Sonntag eben doch mal wieder einen Song ein, den ich mag.)
„You´re
making it up“, sagte B., als ich versuchte ihm die Geschichte zu erzählen. Also
schwieg ich. Dabei ist dies eine der wenigen wahren Geschichten, die ich
erzähle. Eben deshalb wirkt sie erfunden.
Ich traf
ihn im Sommer 1983 in Berlin. Er war ein Steinmetz aus Aarhus in Dänemark. Wir
stießen auf eine Leiche, die in einen Müllsack verpackt im Landwehrkanal trieb.
Wir liebten uns unter einem Eisenbahnviadukt. Man sieht sofort, warum B. diese
Geschichte für eine – schlechte – Erfindung hält. Ein Mann mit riesigen Pranken,
der Grabsteine haut. Eine Leiche, die im Landwehrkanal treibt. Liebe machen im
Rhythmus der Züge. „Der Tod und das Mädchen“. Es ist einfach zu perfekt. Sagte
B. Aber genau so war es.
(Klappentext)
Beinahe
erinnern die Liebesbriefe an ihre Freundin Emmi aus den 80er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts, die M. in ihrem heimlich betriebenen Blog
veröffentlicht, in ihrer Unbedingtheit des Gefühls an Briefromane aus einer
Zeit der Empfindsamkeit. Damals allerdings stellten sich Erzählung und Erzähler
nicht selbst in Frage. Heutzutage sind gefakte Facebook-Profile, falsche
Wikipedia-Einträge, und gefälschte Webseiten mit wenigen Klicks zu erstellen.
Avatare behaupten, literarische Figuren zu sein und umgekehrt. Was scheinbar
harmlos als Wiederbelebung einer alten Liebe anfängt, wird zu einer tragischen
Geschichte um Liebe, Freundschaft und Verrat.
Zwei Wochen "frei", d.h. freigesetzt von der Erwerbsarbeit (nur zum Teil allerdings, denn es müssen Berichte geschrieben und Anträge für Nachfolge-Projekte formuliert sowie Konzepte für zwei Workshops im November erstellt werden). Dennoch: Zeit den "PUNK PYGMALION" zu überarbeiten, jene Hinweise aufzugreifen, die mir die Erstleser_Innen Iris Blütenblätter, Claudia Kilian, Markus Hediger und der Bücherblogger gaben. In den "Erwerbsarbeitswochen" schaffte ich es einfach nicht, diese Überarbeitung des Textes in Angriff zu nehmen. Schreiben kann ich immer und tue es auch immer, fast nie an einem Schreibtisch sitzend, sondern in Sesseln hockend, am Esstisch, mit dem Laptop auf den Knien in der Bahn. So habe ich immer schon geschrieben. Früher eben nicht in ein Blog, sondern mit krakeliger Schrift in meine Notizhefte. Selbst meine Magisterarbeit und Doktorarbeit sind so entstanden: aus erstmal zusammenhanglosen Notizen, auch längeren Texten, die in einem Fluss heruntergeschrieben wurden nach ausgedehnten Spaziergängen. Die Reihenfolge dieser Bruchstücke war unübersichtlich, die Fußnoten musste ich später oft mühsam zusammentragen. Deshalb habe ich mir dieses umfangreiche Zettelkastensystem zugelegt. Verstaubt stehen die übervollen Kästen immer noch oben auf dem Regal. Das Gleiche leistet heute mein Lesezeichen-Menü auf dem Laptop. Und der Ordner "In Arbeit". Immer schon war ich eine versessene Sammlerin von Textfetzen. Am Ende bringe ich nie die Häfte von allem "unter".
Überarbeitungen von längeren Texten erfordern - anders als das (bei mir) "ursprüngliche" Schreiben, das überall und auch zwischendurch stattfindet - zusammenhängende freie Zeit, es muss eine Struktur gefunden werden, eine Form, die die Einzelteile verbindet, eine Haltung zum Erzählten, die "das Ganze" trägt. Und das Feilen an den Worten und Sätzen. Die Stimmlagen. (Wobei ich finde, dass zu viel Gedrechsel auch schaden kann: ein Übermaß an gewollter Originalität, deren Angestrengtheit säuerlich riecht.) Auch der PUNK PYGMALION, wurde, wie alles, was ich schreibe, nicht von einem "Plot" her entwickelt, sondern aus verstreuten Einzeltexten, in diesem Fall eben den Briefen aus den 80er Jahren, die vielfach überschrieben wurden. Das Bloggen gab eine Grundform des Erzählens vor: die Orientierung am Datum, an der Chronologie der Veröffentlichung. So wurden die notwendige Gegeneinrede und das neue Narrativ gestiftet: Welche Projektionen führen zum Verschwinden, welche lassen überleben? Wer schafft die Fiktion, wer bildet sich ihr nach? Wechselspiele. Am Anfang habe ich nicht gewusst, dass es so ausgehen würde. Nicht im "Roman", wo der Verrat sich mehr und mehr offenbarte, noch als "Autorin", die einen "Roman" gar nicht schreiben wollte. Wie es jetzt ist. Und noch einmal anders werden muss. Markus Hediger schrieb mir, am Beginn der Erzählung wirke die Verbindung mit dem Blog "aufgesetzt". Die Ich-Erzählerin und das Weblog bräuchten von Anfang an "mehr Eigenleben". So ist es. Die späteren Motive schon andeuten: Der Ausweg aus der Ehekrise, der das Weblog ihr, also M., ist. Aber keine Rechtfertigungen. Diese vielmehr radikal streichen. Ein paar Sätze, Skizzen, müssen genügen, um die Krise anzudeuten. Mit dem Mittelteil ("Lars") war der Bücherblogger weniger zufrieden. Hier gibt es Überflüssiges, Spielereien, Schnittstellen mit der "Realität" (um die Fiktion zu beglaubigen), die genau jenen säuerlichen Geruch verbreiten, den ich vermeiden will. Weg damit. Und am Ende: "Emmi". Der schwierigste und schwerste Teil. Von dem ich gar nichts wusste, als ich begann. Den ich aber jetzt als wahr empfinde. Als das, was "dabei herauskommen muss", sozusagen. Wenn eine so was macht: Bloggen. Verrat. Immer an einer. Damit die andere... Dieses Element steckt überall in meinen Fiktionen drin: Doppel-Gängerinnen. Dass es am Grunde auch dieser Geschichte lag, die ich schließlich erzählte, weil mein "eigentliches" Roman-Projekt zum Stillstand kam, wusste ich - und wusste es nicht. Für mich, aber nur für mich, für keine andere Leserin, wird es so sein, dass der PUNK PYGMALION auch vom Scheitern dieses anderen Schreibens erzählt, das der Zwangschronologie des geschriebenen Textes beikommen will, indem es sie umdreht, die Form des "realistischen" (männlichen) Romans nach außen stülpt. Fontanes Barbys. Aber... Eben! Stattdessen (nebenbei?) nun halt die stürmisch drängenden Briefromane digitalisiert - und was dann passiert...
Ich habe mir vorgenommen, jeden Tag 20-30 Seiten zu überarbeiten. Das ist viel. Das geht nur, weil die drei oben erwähnten Erst-Leser_innen mir so geholfen haben. (DANKE!) Wenn es geht...Zwei Wochen frei. Zwei Wochen am Schreibtisch. Ich sitze nicht gern - fest. Schon spüre ich, wie ich diese Arbeit zu verschieben suche: Sollte ich nicht erstmal die Blumen im Garten herbstfertig schneiden? Ich muss mich zwingen. Das kann ich. Bestimmt.
Es fiel mir zufällig in die Hände gestern beim Aufräumen (aber ich glaube nicht an Zufälle), das Notizbuch zu den "Spielregeln des Kriminalromans", wie sie Dorothy L. Sayers formuliert hat: "Jeder Dummkopf kann Lügen erzählen, jeder Dummkopf kann sie glauben; aber die richtige Methode ist, so die Wahrheit zu sagen, dass der intelligente Leser dazu verleitet wird, sich selbst eine Lüge vorzusetzen. Dass der Autor selbst eine dicke Lüge auftischen soll, widerspricht allen Kunstregeln." Sie hat vollkommen Recht und ich hatte das auch versucht, während ich an PUNK PYGMALION (Der Link führt zu der nicht überarbeiteten Fassung ohne "Emmi"!) schrieb. Aber das Schreiben zog sich über mehr als zwei Jahre hin und als ich das gestern las, errötete ich, weil mir spontan einige Stellen einfielen, die diesem Anspruch nicht genügten. Ich ging den Text in der Nacht noch einmal durch am Bildschirm und änderte, was zu ändern war (ohne Gewähr, es mag sich immer noch die eine oder andere Stelle vom Dummkopf für Dummköpfe finden; das war sicher nicht der letzte Durchgang). Aber während ich das las, verstand ich plötzlich, dass ich das Ende des Romans, den Schluss des letzten Teils unter dem Titel "EMMI", schon geschrieben hatte. Die Lösung, die ich gesucht hatte, bestand nicht darin, mehr zu schreiben, sondern etwas wegzulassen. Und das war es! Die erste Fassung von PUNK PYGMALION ist fertig gestellt. Jetzt drucke ich das aus. Lese es noch einmal durch, bringe Korrekturen an und dann schicke ich es an ein paar Menschen, deren Urteil ich vertraue.
Drei Teile sind es geworden, unterschiedlich in Länge, Perspektive und Stil:
I. ANSGAR (S. 5 -129)
Es war von Anfang an eine Dreiecksgeschichte. (Sind das am Ende alle Liebesgeschichten - selbst wenn gar keine leibhaftige Dritte mitwirkt, bezieht sich "das Paar" auf eine Abwesenheit, auf das "Nicht-Wir", das in jeder "Ich"-Behauptung auftaucht: die Andere, der Andere, die/der DU nicht bist ?) Am Anfang, ganz am Anfang, stand eine Erzählung: "Der dänische Steinmetz". Das überschnitt sich mit der Forderung nach der Veröffentlichung der Briefe, nach der Bekanntmachung der anderen Stimme (der männlichen?), die diese schuf: PUNK PYGMALION. Die Forderung wurde einer anderen Frau in den Mund gelegt, die den Namen EMMI erhielt, dessen Klang das "M" der Melusine verniedlichte, was aber erst später eine Rolle spielen sollte. So schien der Mythos korrekt tradiert: das männliche Verlangen, sich eine Geliebte zu schaffen, der sein Geist Leben einhaucht. Das war aber ein bisschen zu einfach. Eine Verletzlichkeit und Verletztheit sprach aus diesen Briefen aus den 80er Jahren, die in diesem gewaltsamen Akt nicht aufging. Daher musste alles herumgedreht werden: Eine ältere Frau, die einen jüngeren Mann in das Abbild ihres verschollenen Geliebten verwandelt. So etwas zeichnete sich ab, am Ende des ersten Teils dieses "Brief- und Blogromans". Die Funktion der Kommentare wurde, gegenüber dem herkömmlichen Briefroman des 18. Jahrhunderts, ausgeweitet, denn die "neuesten Leiden" dieses jammernden und kiffenden Werthers entbehrten nicht der Komik, die aufzuheben war in der Gegenwart, die immer noch Sehnsucht kennt, Liebesleid, Freundschaft und Verrat.
II. LARS (S. 130 - 170)
Was geschieht, wenn das Frauenbild, das im Roman ein Mann entwirft, das Bild einer schreibende Frau von einer Freundin ist? Das war die Frage, der sich der zweite Teil stellt. Ein junger Mann, der liebt und betrogen wird, der sich rächt und verletzt, erhebt die Stimme. Er ist im Recht und bleibt es, erfindet sich selbst im Bild des Vaters, bleibt seiner Mutter treu und übersteht die Erzählung unverletzt. Er geht einfach aus dem Bild, denn er ist - obwohl er am meisten geliebt wird - nicht Teil dieser tragischen Dreiecksgeschichte (und kann es nicht werden, egal wer sich das wie sehr wünschen mag.)
III. EMMI (S. 170 - 197)
Sie hat keinen Namen, obwohl er über dem Kapitel steht. Deshalb schreibt sie auch nicht als "Ich". Das war eine Entscheidung, die mir nicht leicht fiel. Es liest sich nicht gut, vor allem deswegen. Aber was ihr fehlt: das WIR - lässt kein "Ich" zu. Sie hat "mir" (also "der Anderen", die die Blog-Herausgeberin ist) ein Versprechen abgenommen: diesen Teil nicht mehr zu kommentieren. Das war böse. Es hat das Ende verzögert. Vielleicht war genau das ihre Absicht. Aber jetzt ist Schluss!
Erst im letzten Absatz traut sie sich ein "Ich" doch noch zu:
Schreib mir ein Happy End.Verzeih mir, dass ich das
forderte. Sie will, schriebst du über mich, als ich beinahe schon am Ende war,
dass ich ihre Geschichte mit dem ´rough guy´ erzähle. Das zwang mich dazu, noch
ein paar Wochen dran zu hängen, um dir das hier zu schreiben. Denn so war es doch nicht. Es ging nicht um ihn
und mich. Sondern um uns. Lebwohl. Es hat mich nie gegeben. Nur deine
Erinnerungen an mich. Was er gezeugt hat, wird bleiben. Als es
zu spät war, habe ich sein Gesicht gesehen und er nannte meinen Namen. Wie DU.
(Deinen behalte ich – für mich!)
Der Roman endet so nicht. Das Versprechen wird gehalten. Aber es gibt (wie es eine VORREDE gibt) auch ein Nachwort. Das endet, wie könnte es anders sein, mit den SEX PISTOLS: