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Mittwoch, 30. Dezember 2015

A DANCE TO THE MUSIC OF TIMES lesen (8): "Action is, after all, exciting rather than interesting."

Nicolas Poussin, ca. 1634-36

Ein Beitrag von Morel




Action is, after all, exciting rather than interesting.

Anthony Powell liebt die eingefrorenen Bilder, die stillgestellte Bewegung. Daher ist der Tod bei ihm kein Abschluss, sondern nur die Unterbrechung eines Tanzes. Blood on the dancefloor. Danach geht es immer weiter, allerdings in veränderter Konstellation.

Da sich der dritte Abschnitt seines Romanzyklus mit den Romanen The Valley of Bones, The Soldiers Art und The Military Philosophers dem Krieg widmet, sind die Gelegenheiten das Schlaglicht des Todes auf die Lebenden zu richten zahlreich. Einige meiner Lieblingsfiguren verlassen in diesen drei Bänden die Bühne so plötzlich wie unerwartet. Zyklisch ist bei Powell nicht das Leben, sondern nur seine Formen. An einer Stelle heißt es, recht frei übersetzt: "Wie in der Reise nach Jerusalem, verstummt das Piano plötzlich, und jemand ist ohne Stuhl, für alle Zeit eingefroren in seiner Haltung in jenem einzigartigen Moment."

Mit den Verlusten nimmt die mitunter von Gleichgültigkeit nur schwer zu unterscheidende Melancholie des Erzählers zu. Gleichzeitig wird er aufmerksamer für die Absurditäten des Leben, einige Szenen seiner Kriegs-Trilogie zählen zu den komischen Höhepunkten der britischen Literatur über den Zweiten Weltkrieg. Der Erzähler, nach eigenem Empfinden als Künstler ohne ernstzunehmenden Beruf, beobachtet das Ungenügen an den Rollen, die das Leben anbietet, auch an seinen Leidensgenossen. Die Tagträume von effizienter Kontrolle der Organisation stoßen sich an den Unzulänglichkeiten der Bürokratie. Das Heldentum der Vorfahren, das in den ersten Seiten von The Valley of Bones noch in der historischen Erinnerung anklingt, wird in der kleinen Münze von Budgetrestriktionen und Kriegssimulationen in der nordirischen Provinz ausgezahlt.

Während die Unterschichten die Phantasien des Generalstabs unter Lebensgefahr ausagieren, bleiben den Oberschichten nur absurde Aktionen, um gegen die eigene Überflüssigkeit zu protestieren. Stringham, vom Alkoholismus kuriert, aber  gesundheitlich angeschlagen, versucht sich als Kellner im Offizierskasino, wird aber in seiner dandyhaften Überheblichkeit als der Rolle unangemessen durchschaut und in die Wäscherei versetzt. Nach einem Vorfall mit einem betrunkenen Offizier ist es Widmerpool, der seine Versetzung nach Singapur durchsetzt, wo er vermutlich ums Leben kommt. Widmerpool, der ewige Karrierist, verkörpert sicher das Böse - sein Kennzeichen in der Welt Powells ist die übermäßige Anpassungsfähigkeit. Was Widmerpool auszeichnet ist die fehlende Substanz (auf interessante Weise verbindet ihn das mit dem Erzähler selbst, der  kaum mehr  ist als ein Schwamm, der seine Zeit, das 20. Jahrhundert aufsaugt). Er  kann jede Rolle ausfüllen mit dem einzigen Ziel voranzukommen - wie der leicht übergewichtige Jogger zu Beginn des Zyklus. Die anderen Figuren dagegen versagen an immer genau daran, im entscheidenden Moment aus der Rolle zu fallen. Stringham ist einfach zu geistreich und arrogant für einen Kellner. Wie Widmerpool die Fäden der Intrige beim Verschwinden Stringhams zieht, so auch beim Tod des zweiten der drei Freunde aus dem ersten Band, Peter Templer, der wie der Erzähler in The Military Philosophers zu den Bürokraten der britischen Kriegsdiplomatie zählt. Bei ihm, der als Frauenheld eingeführt wurde, ist es die Rolle des männlichen Verführers, die er nicht mehr ausfüllen kann. Während er seine Frau in einer psychiatrischen Klinik allein lässt, wird er zum Opfer von Pamela Flitton, einer Nichte Stringhams, die Powell wenig subtil als "femme fatale" im Stil von 40er Jahre-Filmen angelegt hat. Von der Geheimaktion im Balkan, bei der Templer ums Leben kommt, erfahren wir nur aus Büroklatsch und Widmerpools Rechtfertigung, der das abenteuerliche Vorhaben durch ein kritisches Memorandum beendete, das den Tod von Templer auslöste (so zumindest Pamela Widmerpool, wie sie nach der Heirat mit dem Karrieristen, heißt, in einer ihrer stürmischen Szenen). Das ist der Realismus Powell, an die Stelle der Action tritt das Memorandum, eine nur scheinbar interesselose Abschätzung des Lebens. Wie in desillusionierten Spionagethrillern siegt die Bürokratie am Ende immer über das Individuum. Zu Beginn sorgen einige aus der Sowjetunion ausgewiesene polnische Armeeeinheiten für Diskussionen. Eine Differenz von einigen Tausend Offizieren sorgt für kurze Verwunderung, bevor es dann wieder um Budgetfragen geht. Widmerpool kommt später auf das Massaker in Katyn zu sprechen und warum es besser sei, es nicht zum Thema zu machen. Powell übergeht den Hobel, er schweigt aber nicht über die Späne.


Der Erzähler ersetzt schließlich Action durch Reflexion und Erinnerung: Als er auf einen kurzen Abstecher ins gerade befreite Europa ein für die Besatzungstruppen konfisziertes Hotel verlässt, fällt ihm erst im Nachhinein auf, das dies das Hotel in Prousts Balbec sein muss, wie der französische Romancier es in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit schildert. Auch in Powells Romanzyklus treten mit dem Alter an die Stelle lebender Weggefährten Literatur und Erinnerung.


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Samstag, 19. September 2015

SPÄTVORSTELLUNG. Andere Orte - eine Ausstellung zum Wechselspiel von Filmen und Videospielen

Ein Beitrag von Morel



Im Vorraum zur Ausstellung des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt über die Wechselbeziehung von Filmen und Videospielen sind in einer Dauerschleife auf einem Monitor Arbeiten des schottischen Videokünstlers Andy Kelly zu sehen. Other Places zeigt: leere Städte, romantische Natur, Mond über Inseln, apokalyptische Ruinen. Die Kamera bewegt sich durch diese Räume, langsam schreitend, begleitet von Musik, die etwas anzukündigen scheint, was nie eintritt. Es handelt sich um Aufnahmen, die Videospielen wie Grand Theft Auto V mit Hilfe spezieller Aufzeichnungsprogramme entnommen wurden. Kulissen für Filme, die nie gedreht wurden. Es ist das was übrig bleibt, wenn man dem Video das Spiel entzieht.

Chocks

Im 20. Jahrhundert gab es immer wieder Hoffnungen auf die emanzipatorische, revolutionäre Kraft der Massenmedien. In seinem berühmten Aufsatz zum Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit hebt Walter Benjamin die taktile Qualität des Films im Verhältnis zu Gemälden hervor: "Das Gemälde lädt den Betrachter zur Kontemplation ein; vor ihm kann er sich seinem Assoziationsablauf überlassen. Vor der Filmaufnahme kann er das nicht. Kaum hat er sie ins Auge gefasst, so hat sie sich schon verändert. Sie kann nicht fixiert werden...In der Tat wird der Assoziationsablauf dessen, der diese Bilder betrachtet, sofort durch ihre Veränderung unterbrochen. Darauf beruht die Chockwirkung des Films, die wie jede Chockwirkung durch gesteigerte Geistesgegenwart aufgefangen sein will." Ironischerweise passen diese Worte einige Jahrzehnte und ausgebliebene Revolutionen später immer noch gut auf das neueste Mitglied im Medienverbund. Denn wo könnte man seine Geistesgegenwart besser testen (dass er ästhetische Leistungen testierbar mache, für Benjamin ist das eine weitere Qualität des Films) als an einer Spielkonsole. Während das Filmpublikum nur erschrickt, muss im Spiel sofort reagiert werden, sonst ist es aus. Dagegen kann der Film, vielleicht durch Gewöhnung an seine Sprache, inzwischen auch so kontemplativ wirken wie Kellys Other Places.

Die Ausstellung, aber mehr noch der sie begleitende, hervorragende Katalog werfen ästhetische Fragen auf,  die in Deutschland zumindest nicht allzu häufig an Videospiele gestellt werden (auch wenn sie als Wirtschaftsfaktor inzwischen ernst genommen werden). Das Museum of Modern Art in New York hat 2012 die ersten Spiele in seine Sammlung aufgenommen. In einem kleinen Rundgang, gestaltet in Anlehnung an den Kultfilm Tron von 1982, können klassische Videospiele ausprobiert und mit Filmausschnitten verglichen werden. Wer aber die von den Ausstellungsmachern Andreas Rauscher und Wolfger Stumpfer durchaus intendierten Fragestellungen nachvollziehen will, sollte zuvor den umfangreichen Katalog studieren (insbesondere, wenn er wie ich Kinosäle besser kennt als Spielkonsolen).

Filmreif?

Britta Neitzel erinnert im ersten Beitrag zurecht an den Beginn des Kinos als Jahrmarktsattraktion. Es konnte diesen Ruf, trotz der zahlreichen Hochkultur-Referenzen insbesondere in den deutschen Stummfilmen, nie ganz los werden. Der Grund hierfür ist natürlich die bürgerliche Verortung der Kunst in Sphären jenseits von ökonomischer Verwertung, während Film und automatisierte Spiele eine gemeinsame Entstehungsgeschichte in Zusammenhang mit der Industrialisierung und den damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen aufweisen: "Mechanisierung von Bewegungsabläufen, Entstehung von Freizeit und kommerzialisierten Unterhaltungsangeboten" (soweit Neitzel). In vielen Beiträgen des Katalogs und den hochinteressanten Interviews Rauschers mit Videospiel- und Filmregisseuren geht es nun um die Abgrenzung der Games von den ästhetischen Standards der klassischen Filmgeschichte (Spielberg, Hitchcock etc.). "Ich wäre so gerne wie du" heißt der Beitrag von Petra Fröhlich über die Sehnsucht nach "filmreifen" Spielen. Diese wird dann im letzten Beitrag von Steven Poole recht harsch zurückgewiesen - es habe keinen Sinn auf den "Citizen Kane" der Videospiele zu warten, da der Preis für das "Filmische" von Spielen ihre ästhetische Verkommenheit sei, der Bruch mit ihrer eigenen Ästhetik. 


Am aufschlussreichsten mit Blick auf die Ästhetik von Videospielen sind für mich Rauschers Ausführungen zur "ludischen Leinwand". Für ihn ist die Mise-en-Scéne das entscheidende Verbindungselement zwischen Film und Videospiel. Der Begriff stammt vom französischen Filmtheoretiker André Bazin und wendet sich gegen das von Benjamin gefeierte Kino der Montage. Stattdessen soll der Film eine Wirklichkeitsillusion erzeugen - durch lange, gegliederte Einstellungen, die das Drama ins Filmbild versetzen. Berühmteste Referenzszene hierzu, natürlich aus Citizen Kane: die Kamera fährt durch Kanes Lagerraum, vorbei an allen Kunstschätzen Alteuropas um schließlich das berühmte Wort Rosebud (das letzte Wort des sterbenden Kanes) auf einem Schlitten zu entdecken. Das "Geheimnis" Kanes kann also nur vom Publikum im Kinosaal enthüllt werden - den Protagonisten des Films entgeht es, da der Schlitten im Moment seiner Entdeckung durch uns ins Feuer geworfen wird. Der Begriff "narrative Architektur" (Henry Jenkins) passt auch auf diese letzte Szene eines berühmten Films. Ein weiterer Aspekt von Videospielen knüpft implizit an die Diskussion um Montage und Mise-en-Scéne an: während die meisten Videospiele bestimmte Reaktionen voraussetzen, damit es weitergeht, eröffnen neuere Games Freiraum für moralische und ästhetische Entscheidungen. In einer Führung, an der wir teilnehmen konnten, erwähnte Rauscher Kriegsspiele, in denen die Spieler vor Dilemmas gestellt wurden, die sie ohne ethische Grenzverletzungen nicht lösen konnten. Gegen die Manipulation (durch Montage im Film, durch Reiz-Reaktionsschema im Game) also das freie Schweifen durch narrative Architekturen und unentschiedene Situationen. Vielleicht ist das nur eine Möglichkeit für die Weiterentwicklung von Videospielen - und wahrscheinlich für männliche Nutzer (siehe den Beitrag von Nina Kiel zu Stereotypen im Video- und Computerspiel) die uninteressanteste. Dem Filmmuseum ist für eine Ausstellung zu danken, die relevante Fragen aufwirft.

Sonntag, 3. August 2014

Spätvorstellung: GELIEBTE SCHWESTERN von Dominik Graf (2014)


Ein Beitrag von Morel


Dominik Grafs Film über die Liebe zwischen dem werdenden Klassiker Friedrich Schiller und den beiden Schwestern Caroline und Charlotte von Lengefeld endet mit einer Einstellung auf die Fußgängerzone im heutigen Weimar. In Windjacken und Jeans laufen wir am Schillerhaus vorbei, während die angenehme, leicht bayrisch angehauchte Erzählerstimme Grafs das eben Gesehene nachträglich in den Konjunktiv versetzt: Es hätte gewesen sein können. Denn für das meiste, was wir in den letzten zwei Stunden gesehen haben, gibt es keine dokumentierten Beweise. So ist dieser Kostümfilm gerade das Gegenteil von Historismus: er erzählt davon, wie wir die Geschichte überliefern, was wir überliefern und was nicht. Diese Schlusseinstellung (und so manche andere in Die geliebten Schwestern) korrespondiert mit der aus Truffauts großartigem Zwei Engländerinnen und die Liebe zum Kontinent. Hier aber kehrt der Erzähler melancholisch zurück in das dem Werk Rodins gewidmete Museum in Paris und erinnert sich an die Zeit, als diese Kunst noch umstritten war. Die Erinnerungsarbeit Grafs ist anders: er will unsere Klassiker vom Staub ihrer Rezeption befreien.

Auch die werbeträchtige Menage-a-trois ist nicht ein Dreiecksverhältnis aus dem Satzbaukasten für Oscarpreisträger. Der Film respektiert die historische Ferne und vor allem den Eigensinn seiner Figuren. 1788 lernt Schiller, neu in Weimar, Charlotte von Lengefeld kennen. Sie ist Hausdame bei Charlotte von Stein und zu unerfahren, um den leise angeknüpften Beziehungsfaden zu Schiller nicht abreißen zu lassen. Ihre Schwester Caroline, unglücklich aber finanziell einträglich verheiratet in Rudolstadt, schreibt für sie den Brief an Schiller. Die drei verbringen einen kurzen Sommer des Glücks im Umfeld des Guts der Familie von Lengefeld. Schiller erweist sich zunächst als Held, um dann nackt und frierend von seinen zwei "Flussgöttinnen" getrocknet zu werden. Die Erotik kommt zuerst zwischen Caroline und Friedrich ins Spiel, die bis zur Heimkehr des misstrauisch gewordenen Ehemannes die Freuden ihrer ersten gemeinsamen Nacht bis zur Neige auskosten. Charlotte, die Dritte in diesem geometrischen Rätsel (gerne zeigt Graf uns die Briefe, in denen geometrische Zeichen die Liebenden ersetzen), freut sich über das Glück der Schwester und scheint sie nicht um die Liebe des Dichters zu beneiden. Jetzt erst erfahren wir von einem Schwur der Schwestern unter dem Rheinfall in Schaffhausen: niemals sollte etwas sie trennen, alles sollten sie teilen. Diese Liebe der Schwestern zueinander geht der zu Schiller voraus. In diesem Film steht keineswegs Schiller im Mittelpunkt, sondern zwei eigensinnige und -ständige Frauen. Caroline bedrängt ihre Schwester nun, Schiller zu heiraten, nur so könne der Schwur aufrecht erhalten werden. Trotz Heirat aber bleibt Charlottes Beziehung zu Schiller wie die einer Schwester zu einem Bruder. Erst als Caroline die Beziehung zu dem geliebten Dichter abrupt beendet, ändert sich dies, so dass später auch ein Kind geboren werden kann, während der Vater ausschläft. Diese Dreiecksliebe zeichnet sich durch unterschiedliche Ausprägungen der Liebe aus: die erotische zwischen Friedrich und Caroline, die schwesterliche zwischen Caroline und Charlotte, schließlich die eheliche, gleichermaßen von Neigung und Pflicht bestimmte zwischen Charlotte und Friedrich. Damit verzeichnet Grafs Film auch die Umbrüche der Zeit, in der er spielt. Die anderen Liebesformen im Film sind von Geld bestimmt, oft solche der Prostitution. Sowohl Schillers Verhältnis zu Charlotte von Kalb wie Goethes zu Charlotte von Stein tragen, zumindest in der Lesart Grafs, Züge davon. Auch Caroline wird im späteren Verlauf des Filmes von einem reichen Liebhaber Geld zugesteckt bekommen, mit dem sie den jungen Haushalt der Schillers, bei dem sie Unterschlupf gefunden hat, unterstützt. An den gesellschaftlichen Umständen scheitert die Dreiecksliebe am Ende nicht, sondern am zunehmenden Abstand zwischen den beiden Schwestern nach der Geburt ihrer Kinder: sie teilen nicht mehr alles miteinander, Misstrauen nistet sich ein und auch die todkranke Mutter kann keine dauerhafte Versöhnung erwirken. Am Ende ist es die Zeit, die die Frauen auch körperlich spüren, in der eine aus Briefworten entstandene Liebe sich verliert.

Gegen die Welt der körperlichen Liebe setzt Graf die Schrift als ideelle Welt der Schönheit. Die Begeisterung bei der Antrittsvorlesung Schillers in Jena inszeniert er wie den Vorschein eines Aufruhrs. Immer wieder sehen wir die Briefe und die vom Verleger Cotta vorangetriebenen Innovationen des Buchdrucks. Wenn die Beziehung zwischen Caroline und Friedrich immer etwas leidenschaftlicher wirkt, dann hat das seinen Grund auch darin, dass Caroline Novellen und Fortsetzungsromane schreibt. Schön beobachtet die Szene, in der sie von ihrer Lektüre, der Madame de Scudery erzählt, die Schiller als Hofdamenliteratur, wie sie vermutet, nicht kennt. Frauen schreiben nicht anders, aber von anderem. Die Worte stehen hier immer gegen die materielle Lebensumstände,, die aber ihre Überlieferung beschränken. Einmal landet ein Packen Briefe im Schlamm einer deutschen Gewitternacht. Auch das trägt zu den Missverständnissen bei. Keineswegs jeder Brief erreicht seinen Adressaten. Und nicht jeder Schreiber und schon gar nicht mal jede Autorin wird ein Klassiker. In den Geliebten Schwestern ist das zu sehen. Auch die Übersetzung von schönen Worten in die blutigen Konsequenzen der Revolution zeigt der Film - als ironisches Ausrufezeichen.


In den letzten Jahren hat Dominik Graf die auf Redundanz eingeschworene Sonntagabend-Krimigemeinde manchmal auf harte Proben gestellt. Seine chaotischen, schmutzigen und verwirrenden Krimis waren nicht manieristisch, wie die gebildeten seiner Verächter vermuteten, sondern Versuche dem Krimi Neues abzugewinnen. Der Essay ist eigentlich auch die Form, zu der Die geliebten Schwestern gehört. Es ist kein Liebesfilm, sondern ein Versuch über die Liebe, die Bilder und die Worte. Und was die Zeit aus ihnen macht.

***

Morel und ich haben Geliebte Schwestern zusammen gesehen. Und anders als sonst manches Mal (wie z.B. zuletzt als wir Snow Piercer im Deutschen Filmmuseum sahen) waren wir uns bei diesem Film sofort einig: Großartig! Und beide hoffen wir, dass dieser Film ein großes Publikum finden wird. Besonders froh hat mich gemacht, dass es Dominik Graf tatsächlich gelingt, die Beziehung zwischen den Schwestern von Lengefeld und Schiller als eine uns ferne und fremde zu zeigen, eben nicht durch die Brille einer erst im 19. Jahrhundert durchgesetzten bürgerlichen Sexual- und Ehemoral, die bis in die Gegenwart die Idee der "Liebe" in heterosexuellen Liebesbeziehungen prägt (in den letzten 50 Jahren verstärkt und stabilisiert durch die in Hollywood entwickelten Love-Stories), bei denen unter "Liebe" vor allen Dingen der exklusive "Besitz" an der Sexualität einer Person gemeint ist - und mithin Dreiecksgeschichten vor allem das Problem der sexuellen "Untreue" verhandeln. Ein "Problem", das den Lengefelds und Schiller in Grafs Darstellung nicht gleichgültiger sein könnte. Ihre Dreierbeziehungen scheitert nicht an Eifersucht zwischen zwei Frauen, die um einen Mann "kämpfen", sondern daran, dass die Frauen einander nicht treu bleiben können, besonders nachdem sie Mütter geworden sind. 

Montag, 21. Juli 2014

Spätvorstellung: DE MAYERLING A SARAJEVO (1940)




Ein Beitrag von Morel


Max Ophüls Film über Erzherzog Ferdinand und die tschechische Gräfin Sophie Chotek, die Opfer des Attentats von Sarajevo, hatte am 1. Mai 1940 in Paris Premiere. Wenige Tage später begann der als Blitzkrieg bekannte Westfeldzug. Der nächste Krieg hatte begonnen, die Schüsse von Sarajevo hallten immer noch nach. Das Land, in dem De Mayerling a Sarajevo gedreht wurde, war schon bald von den Deutschen besetzt und ein weiterer Film eines der besten deutschen Regisseure begann seine Karriere als unbekanntes Meisterwerk. Ophüls hatte in den zwanziger und dreißiger Jahren an renommierten Theaterhäusern in Deutschland und Österreich gearbeitet, unter anderem am Burgtheater. Dabei war er immer wieder antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt, weshalb er selten länger als ein Jahr an einem Haus beschäftigt war.  Anfang der dreißiger Jahre begann er damit Filme zu drehen, am bekanntesten sicherlich das Melodram Liebelei mit der jungen Magda Schneider. Hier zum ersten Mal und in der Folge immer wieder zeichnet der Saarländer Ophüls ein romantisiertes Bild Österreichs vor seinem Untergang – eine Kulissenwelt, in der nur die Liebe und die Musik den Raum öffnen. Die bewegliche Kamera dynamisiert die oft gerahmten Bühnenbilder Ophüls und umkreist es immer wieder gerne: das Walzer tanzende Paar im instabilen Zentrum einer untergehenden Welt. In den Tagen nach dem Reichstagsbrand verließ er Deutschland und ließ sich mit seiner Familie in Paris nieder. 1938 wurde er französischer Staatsbürger. Hier griff er mit De Mayerling a Sarajevo kurz vor dem nächsten Weltuntergang erneut ein österreichisches Thema auf. Trotz seiner linken Ausrichtung und der politischen Verfolgung ist Ophüls nicht wie Brecht ein im herkömmlichen Sinne der Agitation politischer Künstler. Die Politik ist immer Außen, Teil der Bühnendekoration, sie zerstört mit ihren Manipulationen das Leben. Der Erzherzog Ferdinand ist daher nicht die historische Figur, ein fanatischer Jäger und reaktionärer Katholik, sondern ein romantischer Liebhaber, dessen Reformideen am Hof auf Widerstand stoßen (eine ähnliche Konstellation wie im vorher gedrehten Film Mayerling von Anatol Litvak, der aber mit dem unglücklichen Rudolf einem anderen Thronfolger gewidmet ist). In den klassischen Liebesfilmen geht es für das Paar immer darum, Widerstände zu überwinden. In der Komödie sind diese Wiederstände meistens nur eingebildete: das Paar gehört zusammen, es weiß es nur noch nicht. Im Melodram (heute außerhalb des Kunstkinos so gut wie ausgestorben) sind die Widerstände dagegen gesellschaftlicher Natur. Das Liebespaar weiß sehr wohl, was es will, nur die Gesellschaft duldet diese Unbedingtheit in ihrer Mitte nicht. Das macht ausgerechnet das bei der Linken so verhasste Melodram zu einem Kino der Kritik. Fassbinder zumindest wusste das. In den Liebes-Melodramen von Ophüls sind die Liebenden nie allein, sie stehen immer unter Beobachtung. Wenn der Walzer, bei dem sie nur für einander Augen hatten, verklungen ist, haben die anderen Tanzpaare etwas zu erzählen. Das neben dem Walzer zweite visuelle Thema in Ophüls-Filmen, mit dem De Mayerling a Sarajevo auch beginnt, greift das immer wieder auf – die Nachrichtenübermittlung, die Verbreitung von Gerüchten. So wandert am Anfang eine Botschaft für den Hof von Hand zu Hand, wie bei Kafka zahlreiche Räume durchquerend, immer von der Kamera verfolgt. Tödlich für Ferdinand und Sophie ist letztendlich die Kälte, auf die sie als nicht standesgemäße Verbindung am Hof stoßen (es handelt sich um eine sogenannte morganatische Verbindung, die ihre Kinder von der Thronfolge ausschloss). Letztendlich führt das bei Ophüls auch zu den unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen in Sarajevo. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf, wo das Glück gehasst wird. Wer Die Schlafwandler, das spannende Buch Christopher Clarks über die Julikrise 1914 liest, wird öfters solchen Figuren begegnen: Männer, die das Leben fürchten und das Glück verachten. Die Filme Ophüls werden inzwischen kaum noch gesehen, dabei sind sie in ihrer tänzerischen Leichtigkeit, ihrem Witz und ihrer technischen Brillanz pures Glück. Sein in Wikipedia zusammengefasstes Leben besteht aus ungefähr 300 Wörtern, das von Veit Harlan aus 1000. Um das noch unabgeschlossene Leben und Werk von Til Schweiger zusammenzufassen, sind jetzt schon 1.100 Wörter nötig.

Sonntag, 15. Juni 2014

Spätvorstellung: BOYHOOD (2014) (+ Sonntagslied)

Ein Beitrag von Morel


Ellar Coltrane in Richard Linklaters: BOYHOOD


In alten Hollywoodfilmen gab es eine mir sehr liebe Konvention, das Vergehen von Zeit darzustellen. Eben geht etwas zu Ende, vielleicht eine Liebe oder der Krieg, dann sehen wir einen Abrisskalender und der Wind oder andere Kräfte beginnen die einzelnen Kalenderblätter abzureißen. Und ein nächstes Kapitel im Film unseres Lebens beginnt. Dagegen klingelt in unserem Alltag kein Glöckchen, wenn etwas Neues beginnt - erst im Nachhinein erkennen wir die entscheidenden Momente unseres Lebens.

In Richard Linklaters neuem Film Boyhood gibt es keine Abrisskalender. Obwohl hier das Heranwachsen eines Jungen zu einem Mann in mehreren Abschnitten erzählt wird, zeichnet den Film eine magische Kontinuität aus, die auf das Wagnis seiner Entstehung zurückzuführen ist. Linklater hat 12 Jahre mit den selben Schauspielerinnen und Schauspielern jedes Jahr einen Teil seiner Geschichte aufgenommen. Die Kamera zeichnet, wie im experimentellen US-Kino, Effekte auf, die nicht gespielt werden können: wie Körper und Gesichter sich unter dem Einfluss von Zeit verändern. Doch geht es nicht um Dokumentation. Linklater will erzählen, nicht nur zeigen.

Faszinierend (und für Eltern sogar erschütternd) ist es in so kurzer Zeit das Älter werden von Kindern beobachten zu dürfen. Neben dem von Ellar Coltrane gespielten Mason sehen wir auch der von Linklaters Tochter Lorelei gespielt Samantha dabei zu, wie sie Jahr für Jahr ihren Charakter entwickelt. Ihre geschiedenen Eltern, gespielt von Ethan Hawke und der zu lange nicht im Kino gesehenen Patricia Arquette, nehmen dabei nur indirekt Einfluss. Die Kinder und das unterscheidet Boyhood etwa von Truffauts Filmen aus einer anderen Zeit stehen hier, wie die meisten Kinder unserer Tage, von der Herausforderung ihren eigenen Weg nicht gegen Widerstände zu finden, sondern unter einer Vielzahl von Möglichkeiten auszuwählen. Gegen alle Versuche von Erziehung als Prägung ist Linklater zutiefst skeptisch. Es gibt sie auch in diesem Film, die gutmeinenden Lehrer und die autoritären Väter, die Regeln durchsetzen möchten, an die sie sich selber nicht halten. Während er älter wird, lässt Mason das alles hinter sich zurück. Die von seiner Mutter, einer Lehrerin, vor Collegestudenten kritisierten Lehren des Behaviorismus dementiert er in seinem Zögern, seiner Verschlossenheit und dann dem Mut zu Neuem.  Der Film ist ein optimistisches Dementi jeder Form von Determinismus. Am Ende ist die überforderte Liebe der Eltern zu ihren Kindern, das einzige, was wirklich zählt. Sie versuchen beide mit Mason und seiner Schwester zu reden, aber die eigentlichen Botschaften lassen sich nicht aussprechen. Als Mason Sr. Mason Jr. zum 16. Geburtstag mit einer selbst zusammengestellten Compilation der besten Songs von den Soloalben der vier ehemaligen Beatles aus den 70ern beschenkt , ist das ein hilfloser Versuch den Schmerz der Trennung zu dementieren. Aber die Familie bleibt ebenso gespalten und unvollkommen, wie die Beatles nicht mehr zusammenkamen. Nur ist die Unvollkommenheit zwar ein Unglück, aber kein Trauma.


Der Film erzählt in Szenen, kleinen Fragmenten des Lebens, in denen selten etwas Dramatisches passiert von einer behüteten Mittelschichtskindheit in Texas. Es ist immer nur ein Schnitt, der zwischen den Jahren liegt und trotz seiner Dauer von fast drei Stunden verfliegt der Film. Eigentlich sind es drei Filme. Im ersten wird die Geschichte einer gewöhnlichen, linksliberalen Familie im Texas der Nullerjahre unseres Jahrhunderts erzählt. Die scheiternden Versuche, der Mutter, eine neue Familie zu gründen, die Freuden der Kindheit, die Ängste der Pubertät, das Glück der Freiheit, seinen eigenen Weg gehen zu dürfen. Der zweite Film handelt davon, wie aus einem Jungen ein Mann wird. Schon in einer frühen Szene sehen wir Mason mit einem Freund die Frauen in Wäschekatalogen vergleichen. Der Sexismus ist in diesem Milieu immer (noch) eine Möglichkeit des Weltzugangs. Ältere Mitschüler und Verwandte geben jungen Männern immer gerne Ratschläge, wie sie mit Frauen umzuspringen haben. Aber auch hier glaubt Linklater nicht an Determinismus. Mason wählt etwas anderes, die Häme über seine blau lackierten Fingernägel ignoriert er noch nicht einmal. Wie seine Mutter und wie sein Vater zeichnet ihn etwas Störrisches aus, das sich nicht ausspricht, sondern nur zeigt. Der Mann, zu dem er heranwächst, will mehr als Sex von einer Frau. Der dritte Film ist eine Philosophie der Zeit. Manche Künstler glauben an Orte, andere eher an Momente. Wer viel reist, häufig umzieht, um neue Erfahrungen zu machen, gehört zur ersten Sorte. Wer sich viel erinnert, eher zur zweiten. In einem Interview zu Boyhood sagte Linklater, der Film sollte sich anfühlen wie eine Erinnerung. Aber wie fühlt sich eine Erinnerung an? Boyhood sucht Momente der Dauer in einem Leben, das sich unaufhörlich verändert: Verlust, Schrecken, Glück, alles dauert nur einen Moment und wird vom nächsten abgelöst. Nur als erinnerte bleiben die Momente erhalten. Die Erwachsenen in dem Film erfasst daher manchmal die Melancholie, für die Kinder und Jugendlichen ist diese Unstetigkeit  aber ein Glück. Und mit Boyhood hat Richard Linklater beides gefilmt.


***


Der schönste und beste Film des Jahres bisher war Richard Linklaters "Boyhood" für mich. Wir, Morel und ich, haben ihn als Eltern gesehen. Ich hoffe unsere Söhne, Amazing (20) und Mastermind (18) werden ihn sich auch noch einmal anschauen, gemeinsam vielleicht, und uns von ihren Erfahrungen damit erzählen. Wir sind Eltern von Jungen. Weiße, liberale Mittelschicht. Nicht US-amerikanisch, allerdings. (Keine Opas, die zum Geburtstag Gewehre schenken, zum Beispiel.) Viel Identifikationspotential, deshalb. Die Kinder, die wir beim Erwachsenwerden begleiteten, mussten sich - wie Mason Jr. - mit Erwartungen an Männlichkeit auseinandersetzen. Ein weiblich wahrgenommenes Menschenkind erlebte in unserem Umfeld etwas anderes. In anderen Umfeldern werden auch männliche Kinder anders erwachsen. Linklaters Film wird kein bisschen weniger gut durch die Einsicht, dass er nichts zeigt, was allgemeingültig ist. 

***

"Boyhood" spielt in Texas. Verdammt großes Land. Gewaltige Differenzen, die aus der Ferne nicht sichtbar werden: Houston, Austin, Amarillo. Heute zufällig im Radio: Ein Feature über Robert Ellis, einen jungen Singer-Songwriter, den es von Houston nach Nashville zog. South-Nashville. Gefällt mir, was der macht: 




Steady as the rising sun

Samstag, 31. Mai 2014

Spätvorstellung: HEDY

 Ein Beitrag von Morel



In Andy Warhols Hedy wohnen wir einer Entweihung bei. Aus dem Star Hedy Lamarr wird in einer Art von burlesken Satire ein Opfer, nicht im sakralen Sinne, eher im Sinn, der dem Wort heute auf den Schulhöfen der Welt gegeben wird: jemand der nicht aufpasst und plötzlich überall so zu sehen ist, wie er für einen Moment wirklich war.

Anfang der 60er Jahre nach seinen ersten Erfolgen auf dem Kunstmarkt, begann der Maler Andy Warhol sich mit Film zu beschäftigen. Mit sehr begrenzten Mitteln und lang anhaltenden Folgen. In seiner Einführung zu dem selten zu sehenden Film Hedy im Deutschen Filmmuseum stellte Diedrich Diederichsen angenehm lakonisch die männlichen Produktionspartnerschaften hinter diesem Film vor: Warhol und sein Drehbuchautor Ronald Tavel, Lou Reed und John Cale von Velvet Underground, die den Soundtrack beisteuerten und zwar live, im selben Raum, während der Dreharbeiten. Warhol und Tavel waren beide von Filmstars fasziniert. In Notizen zu dem Film beschreibt Tavel seine Faszination durch Hedy Lamarrs Todesszene in dem rassistischen Hollywood-Melodram White Cargo, in dem sie eine Eingeborene spielt, die sich ihres weißen Mannes durch Gift zu entledigen versucht, aus Langeweile und Überdruss. Die Faszination eines männlichen Jugendlichen mit der Frau als verführerischer Anderer wird in Hedy auf perverse Weise ausgelebt. Auch Warhol war auf der Suche nach dem Weiblichen im Bild des Stars. Er nahm die Gesichter ins Visier und wartete was passierte. Warten und Beobachten war seine Stärke. Tavel übernahm die Rolle des Provokateurs, der auf Reaktionen aus war. Mit dem glücklichen Begriff des Dark Camps brachte Diederichsen diese sadistisch- voyeuristische Produktionsweise zum Schluss seines Vortrags auf den Punkt. Offen ließ er, warum der US-Underground im New York der 60er sich unter das Zeichen des Sadismus stellte.

Hedy ist einer der wenigen Tonfilme von Andy Warhol bei dem er die Kamera selbst geführt hat. Das Drehbuch handelt vom Filmstar Hedy Lamarr, die nach einer Schönheitsoperation wie eine 14-jährige aussieht,  bei einem Ladendiebstahl erwischt und vor Gericht gestellt wird. Nach Aussagen ihrer fünf Ex-Ehemänner zwingt der Richter (Roland Tavel) sie Gift zu trinken. Wie in White Cargo. Da alles in einer großen Halle gedreht wird, ist in Warhols Film von Kaufhäusern, Gerichten und Polizisten wenig zu sehen. Wir sehen seinen Superstars dabei zu, wie sie ihren Rollen (wahrscheinlich zum ersten Mal) begegnen. Warhol nimmt mit der Kamera entweder starr eine Einstellung auf (in die nicht immer alle Beteiligten hineinpassen) oder macht sich mit heftigen Schwenks auf leere Wände und einmal hektisch auf Hedy zu bemerkbar. Die erste Einstellung, die mehrere Minuten lang zu sehen ist, zeigt Hedy auf dem Operationstisch unter einer Lupe, die verzerrt ihre Nase und Mund ins Blick rückt. Die "starmaking machinerie" wird hier zum Gewaltakt, während Hedy immer wieder stöhnt, sie sei die schönste Frau der Welt. Das Drehbuch, im Internet nachzulesen, ist eine witzige Groteske, aber im Film, in dem nun nicht wirklich jedes Wort zu verstehen ist, besonders wenn die Velvets sich mit Klavier und Feedbacklärm irgendwo im Hintergrund bemerkbar machen, überwiegt eine Atmosphäre des Unheimlichen, Übergriffigen. Niemand außer der legendären Dragqueen Mary Montez als Hedy gibt sich Mühe mit seinen Verkleidungen. Ganz bei sich ist der Film in den eingefangenen Versuchen zu Posen. Wichtig, dass es bei Versuchen bleibt. Anders als Fassbinder ist Warhol nicht an Tableaus interessiert, sondern an Gesichtern. An den Aspekt an ihnen, der nicht zum Bild gefriert. In seinen Screentests zeichnete er sie so lange auf, bis das passierte. Dieser Prozess ist kein angenehmer, keiner der Emanzipation, wenn wir das Bild von uns verlieren, kommt auch Dunkles zu Tage - und es scheint als ginge es genau darum. Twisted and unkind, wie  Nico bald auf der ersten Platte von Velvet Underground singen wird.


Zu sehen sind in Hedy ein paar Außenseiter, die sich einen bösen, kindischen Spaß machen. Wenn Warhol sie Superstars nennt, dann zwar voller Ernst - everybody is a Star, aber auch gegen Hollywood, das die Faszination des Stars seiner Kontrolle unterworfen hatte. Damit ist es nun, Mitte der 60er vorbei.  Diederichsen wies zu Recht darauf hin, dass Hedy mit dem Leben von Hedy Lamarr wenig zu tun hat, die eine faszinierende und intelligente Frau war, in Hollywood aber auf eher klischeehafte Rollen abonniert. Stattdessen entwickelte sie eine 1943 patentierte Funkfernsteuerung für Torpedos, eine Erfindung auf die sie beim Komponieren mit dem Avantgarde-Komponisten George Antheil gestoßen war. Die Frau, die in Hedy vor Gericht gestellt wird, ist allein das Faszinosum des jungen Ronald Tavel, die Frau, die er im Kino und in seinen pubertären Träumen sterben sah. Der Star ist mehr als eine Heldin, er ist eine der wenigen Formen, in denen Außenseiter in Amerika verehrt und nicht vertrieben wurden (wie die Monster in den Horrorgeschichten). In ihnen feierte die formierte Gesellschaft ihre Individualität, die sie ihren Mitglieder nur ausnahmsweise zugestand. Im Kino, in der Popmusik. Indem Warhols Filme die Kirche des Starkults plündern, in kindischen und grausamen Akten der Entweihung, schlagen sie ein neues Kapitel auf, das dann von anderen Medien geschrieben wird. Und seitdem werden die Stars nicht mehr verehrt, sondern verfolgt.

Montag, 28. April 2014

DIE GEBURT DES POPS AUS DEM GEIST DES KINDERZIMMERS. Diedrich Diederichsen: Über Pop-Musik

Ein Beitrag von Morel




„Über Pop-Musik ist eine Philosophie der Popmusik. Die begeisterte Aufnahme durch das Feuilleton täuschte allerdings darüber hinweg, dass sich kaum jemand mit dem Inhalt des nicht gerade schmalen Werks auseinandersetzen mochte. Neben Erinnerungen an die ersten Schallplatten oder CDs, feierten die ausschließlich männlichen Rezensenten einmal mehr die Erringung der Diskurshoheit im Style-War mit dem klassischen Feuilleton: Schatz, Sie spielen unser Lied jetzt auch im Heidegger-Seminar. Doch das Feuilleton hätte etwas von Diederichsen lernen können, anstatt sich einmal mehr selbst zu feiern, nämlich was sein Gegenstand überhaupt ist. Dazu wäre aber, statt Reflexen, Reflexion nötig gewesen.

Diederichsen geht von einer Erkenntnis aus, die schon viele unserer Eltern nach kurzer Exkursion ins ehemalige Kinderzimmer gewonnen hatten: Popmusik ist gar keine Musik. Das ist ein wenig verkürzt, sie ist für Diederichsen immer auch mehr als Musik, daher der Bindestrich in seinem Titel. Pop entsteht weder im Studio noch auf der Bühne, sondern in genau dem Kinderzimmer, das die Erwachsenen dann irgendwann nicht mehr betreten durften. Was heißt das? Philosophiegeschichtlich beschränkt sich Diederichsen auf zwei Gewährsmänner: der späte Roland Barthes und ein vielleicht etwas gegen den Strich gelesener Adorno. Es ist ein fußnotenarmes Buch. Von Barthes übernimmt er das Punctum, worunter das Zufällige einer Photographie zu verstehen ist, das unmittelbar trifft, eine Kleinigkeit, an der wir immer wieder hängenbleiben. Für Diederichsen gibt es auch in der Popmusik, im Unterschied zur notierten, klassischen Musik, ein Element des Zufälligen, das ihr Publikum in den Bann schlägt: es hängt wie bei der Photographie mit ihrer Reproduzierbarkeit zusammen, der Aufzeichnung und Wiedergabe durch Apparate, die auch Spuren aufnehmen, die nicht zur Musik gehören und sich nicht einfach nachspielen lassen. So hörte ich mit 15 in irgendwelchen Neal-Young-Gitarrengewittern immer an derselben Stelle, wie mein Name gerufen wurde.

Entscheidend ist nur: diese zufälligen Momente können nicht produziert werden, weshalb kontrollsüchtige Produzenten wie Phil Spector oder Joe Meek (dem Diederichsen einen schönen Exkurs widmet) im Laufe des Berufslebens zunehmend der Exzentrik und dem Wahnsinn verfielen. Der Gegenstand Pop-Musik, so die zentrale These, ist nicht wie die klassische Musik einem Subjekt unterworfen (das sich zuvor durch Übungen diszipliniert hat), sondern entsteht zerstreut zwischen Produzenten und Konsumenten. In einer Art Medienverbund, der Poster, TV-Aufzeichnungen, Plattenhüllen, Songtexte, Geräusche, Rhythmen und Harmonien umfasst. Diese aus den Kinderzimmern entwichenen Geister waren schwer zu beherrschen und zu manipulieren, wie die reichen Industriegesellschaften der 60er Jahre schnell bemerken sollten. Heute ist das anders, weshalb ein zarter Hauch von Melancholie Diederichsens ansonsten robust fröhliche Wissenschaft durchzieht.

Und damit hat auch Adorno seinen Auftritt, der diesen Verbund kritisch als Manipulation analysiert hat. Einer der einschlägigen Texte ist hier der unter dem schönen Pseudonym Hector Rottweiler geschriebene Essay „Über Jazz, in dem viel Unschönes über diese einstige Tanzmusik zu lesen war. Die Kritik, die dann ab den 60ern bis in die 80er (in denen wir viel über Adornos Tiraden lachen mussten) an diesem Text zu lesen war, ging meistens davon aus, dass Adorno eben keine Ahnung vom Jazz habe, weder Louis Armstrong noch später Charlie Parker oder John Coltrane gehört habe, sondern nur kommerzielle Tanzmusik. Aber Adorno mochte nun einmal weder Free Jazz noch die Beatles hören. Diederichsen setzt nun völlig anders an. Für ihn trifft Adorno einen Punkt, den die meisten Jazzexperten verfehlen, wenn er den Jazz als soziales Phänomen analysiert, das von beschädigten Subjekten gespielt wird, die Freiheit nur im Rahmen vorgegebener Themen erfahren können. Damit aber wiederholt der Jazz, was Arbeiterinnen und Angestellte alltäglich erleben (so wie schon der Film in den Analysen Benjamins), geht aber gleichzeitig darüber hinaus. Während die von Adorno geforderte autonome Musik dies nur negativ abbildet, als Leerstelle. Dass der Jazz nur mit Themen, Klischees arbeitet ist so gesehen kein Mangel, sondern Voraussetzung seines Erfolgs in einer Gesellschaft, die individuelle Autonomie nicht mehr zulässt. Diese Konsequenz konnte Adorno nicht ziehen, wenn er das Paradies seiner privilegierten Kindheit nicht aufgeben wollte.


Vom Jazz ist es nicht mehr so weit zur Pop-Musik, in der die beschädigten Subjekte dann nicht mehr unter rassistischer Ausgrenzung oder wirtschaftlicher Unterdrückung leiden, sondern Jugendliche in einer von Arbeit auf Konsum umgestellten Gesellschaft sind. Der Gegenstand von Pop-Musik entsteht nun genau in diesem Konsum, weshalb Diederichsen wenig mit der altlinken Konsumkritik anfangen kann. In „Über Pop-Musik geht es daher in der Folge auf abstraktem Niveau um die Pose, den Song, die Rhythmen. Diederichsen hat in seiner Jugend gerne den stalinistischen Kunstkritiker gegeben, der apodiktisch den Daumen hebt oder senkt. In seinem Spätwerk ist er davon weit entfernt. Nicht frei von Ironie bemerkt er, dass der Gegenstand seiner Theorie mit seiner Lebenszeit zusammenfällt. Natürlich finden hier die Freundinnen und Freunde der Empirie den Ansatzpunkt für Kritik wo bleiben bitteschön Heavy Metal, Schlager und brasilianischer Bossa Nova. Aber „Über Pop-Musik ist kein Lexikon, sondern ein Werkzeugkasten.

Montag, 31. März 2014

SPÄTVORSTELLUNG. Un Flic (1972)

Ein Beitrag von Morel

Jean-Pierre Melville ist vor allem durch Kriminalfilme bekannt geworden. Un Flic, zu übersetzen vielleicht als „ein Bulle“, heißt in Deutschland warum auch immer „Der Boss“. Ein Jahr später ist der Regisseur tot, der seine Filme gerne komplett im Griff hatte und auch den Schnitt übernahm. Das ist zu sehen in den ersten Szenen dieses Films. Es beginnt am Atlantik, Wellen wie auf dem berühmten japanischen Holzschnitt. Moderne Architektur. Eine Filiale der BNP, davor ein Auto mit vier Männern, die sich mit Gangsterhüten als Gangster verkleiden. So beginnt ein Banküberfall, bei dem ein Kassierer erschossen wird, weil er Held sein möchte. Das möchten die Protagonisten dieses Films nicht, darunter ein Barbesitzer und ein arbeitsloser Bankdirektor. Sie wollen Geld, um dem französischen Winter zu entkommen. Dann Paris. Alain Delon, heute Front-National-Anhänger und homophober Verteidiger der traditionellen Ehe, damals der gerade noch schöne, grazile, aber gefühlskalte Mann, der sich von seinen schwulen Verehrern gerne anhimmeln ließ, um sie dann stehen zu lassen, als Polizeiermittler in einer Limousine. Er bekommt einen Telefonhörer gereicht. Melville feiert in diesem Film die damalige Moderne: Telefonzentralen, Schnellzüge, Hubschrauber, Bürogebäude, die Verwandlung der poppig bunten Sechziger in die blau-grauen Siebziger. Delon spielt keinen Held, sein Ermittler ist ein Bürokrat der Staats-Gewalt, routiniert schlägt er Verdächtige und droht mit Folter, alles um effizient zu sein, die Akte schnell zu schließen. Danach entspannt er einmal beim Klavierspielen in einer Bar. Eine Szene kehrt immer wieder: er sitzt in seiner Limousine, bekommt einen Anruf und fährt zu einem Tatort. Der erste in einem Mietshaus, eine Prostituierte wurde ermordet. Die toten Augen der Frau, dann ein Gegenschnitt auf die noch nicht ganz toten Augen Alain Delons. Drei blonde Frauen gibt es in diesem Film, die eine aber ist ein Mann, ein Transvestit, der als Informant für die Polizei arbeitet. Das erfahren wir erst am Ende, wenn Delon sie demütigend outet, dann sehen wir auch ihr ins Gesicht, das als einziges noch nicht tot ist in diesem blaustichigen Film Noir, denn sie hatte die Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben noch nicht ganz verloren. Der Gegenschnitt auf Delon verdeutlicht, wie nah am Tod er ist. Ihr Hinweis auf einen Drogenschmuggel hatte zuvor zu der einzigen Actionszene in dieser Meditation über Frankreich im Winter geführt. Denn für die Drogen die in einem Nachtzug nach Lissabon geschmuggelt werden sollen, interessiert sich auch die Bande, die zu Beginn des Films die Bank überfallen hat. Ihr gehört Simon an, der Nachtclubbesitzer, vielleicht befreundet, zumindest aber bekannt mit dem von Delon gespielten Polizisten. Beide schlafen mit derselben Frau, was Simon wohl weiß, ihn sicher aber nicht stört. Es ist die dritte Blondine, gespielt in eine Pose der Unnahbarkeit von Catherine Deneuve. Sie ist Teil der Verbrecherbande und in einer grandiosen Szene, die Tarantino für Kill Bill geklaut hat, dringt sie als Krankenschwester verkleidet in das Zimmer eines verletzten Gangster ein, um ihn mit einer Giftspritze zu töten. Während Delon an einem Bahnhof in Bourdeaux die Übergabe der Drogen beobachtet, die Festnahme an der spanischen Grenze anordnet und nach Paris zurückfährt, fliegen die Gangster mit einem Hubschrauber über dem Zug (überdeutlich, beinahe schon komisch mit Kinderspielzeug gedreht) und Simon springt auf das Dach des Schlafwagens. Dort dringt er in das Abteil des Drogenschmugglers ein, der mit seiner platinblond gefärbten Frisur wie ein später Rocker oder früher Punker aussieht, betäubt ihn und stiehlt die Drogen. Das Ganze dauert endlose 20 Minuten, in denen nur wenige Worte mit einem Schaffner gewechselt werden. Zurück in Paris kommen die Polizisten den Bankräubern langsam auf die Spur (ohne zu wissen, dass sie auch die Drogen geklaut haben). Einer nach dem anderen fliegen die Gangster auf, bis der Polizist schließlich nur noch Simon festnehmen muss. Er weiß inzwischen auch, dass die Deneuve zur Bande gehört. Auf einer leeren Straße erschießt er Simon, als der in seine leere Anzugstasche greift (so wie vor 4 oder 5 Jahren Delon in der letzten Szene von Melvilles Samourai, wenn der Polizist rechtfertigend sagt, er glaube der Gangster wollte Selbstmord begehen, ist das auch eine Art metafiktionaler Insiderwitz). Dann blickt er kalt auf seine Ex-Geliebte, setzt sich in sein Auto, wo ihm der Hörer gereicht wird. In der zeitgenössischen Filmkritik waren Klagen über den kalten Formalismus dieses Films zu hören. Dabei sind Melvilles Filme nicht unlesbar, nur dürfen die Posen nicht übersehen werden, in denen sie sprechen. Die Gangster und Polizisten in diesem Film sind austauschbar, sie sind in ihr Leben eingefroren. Wie Kafkas Maus, die auf eine Katze zuläuft, könnten sie sich einfach umdrehen, um ein neues Leben anzufangen. Delon tut dies regelmäßig, dann allerdings blickt er nur in unsere Augen und er weiß, was wir von ihm erwarten. Also bleiben Posen aus Filmen und Büchern. Und nur in diesen vorgegebenen Bahnen gibt es die Freiheit zu handeln. Delon vor allem ist der Mann der Pose, der Narziss, der sich in den anderen spiegelt, und voller Wut reagiert, wenn sie ihre Rollen aufgeben wollen: der Mann, der Frau sein will, die Geliebte, die fliehen will, der Freund, der kein Voyeur mehr sein möchte. Er garantiert mit seiner Leere, dem Tod schon vor dem Sterben, die normative Ordnung, alle anderen bezahlen für ihre Rollen mit dem Leben.

Mittwoch, 12. März 2014

Spätvorstellung: KRIEGE, DIE ICH GESEHEN HABE

Ein Beitrag von Morel





Den Krieg habe ich nur in Film und Fernsehen gesehen. Doch leider niemals mit dem Vergnügen, das mir andere Filmgenres bereitet haben. Die moralisch immer mehr aufgerüstete Kulturkritik darf nun aufstöhnen: Vergnügen sollte ein Krieg ja auch nicht machen. Das aber gilt auch für Verbrechen, unglückliche Liebe und Verrat –Schicksalsschläge, die wir gerne im Kino nacherlebt haben. Der Krieg dagegen ist im Kino immer gleich: junge Männer werden von alten Männern auf dem Schlachtfeld, wie es immer so schön heißt, geopfert. Die alten Männer sind entweder zynisch oder melancholisch-resigniert oder fanatisch-überzeugt, die jungen Männer dagegen grundsätzlich immer naiv. Das Schlachtfeld war früher schlammig-grau oder schwarz-weiß und ist heute farbig, aber unübersichtlich. Der Krieg ist immer absurd und sinnlos. Früher weil im gar nicht mal so seltenen pazifistischen Kriegsfilm auf beiden Seiten dieselben naiven jungen Männer gezwungen wurden, aufeinander zu schießen. Oder im gar nicht mal so seltenen latent rassistischen Kriegsfilm der Feind völlig unverständlich erscheint, nicht nur weil er eine andere Sprache spricht, sondern weil er sich fremdartig und irgendwie unvorhersehbar verhält. Ist die eigene Seite individualistisch und freiheitsliebend, verblüfft der Gegner durch kollektiven Irrsinn und Schicksalsgläubigkeit. Wenn umgekehrt die eigene Seite Edelmut und Opfermut heroisiert, erweist sich der Feind als hinterhältig und feige. Seltsamerweise knüpft der zeitgenössische Kriegsfilm gerne an das zweite Modell an, das dualistische, nicht an das pazifistische, tendenziell einheitliche. Im postmodernen Kriegsfilm ist der Gegner unsichtbar, nur ein Lichtpunkt auf dem Computerbildschirm. Wenn er sich aber überraschend in seiner düsteren Größe zeigt, dann als das Gegenmodell zu der eigenen Seite: entweder ein düsterer Fanatiker, wenn „wir“ individualistisch gesinnt sind, oder ein dekadenter Zyniker, wenn „wir“ die Gemeinschaft ehren. Denn Filme werden ja inzwischen nicht mehr nur in Hollywood gedreht. Interessant auch, dass Kriege nicht mit Kriegsfilmen gewonnen werden. Ist der Krieg erst einmal erklärt, regiert im Filmtheater die Komödie oder das Melodram, erst wenn er vorbei ist dreht man ihn im Studio nach. Erst nach Love Story schlägt die Stunde von Apokalypse now. Anders als im Western (in dem die Frau selbst abwesend noch die Handlung vorantreibt) beschränkt sie sich im Kriegsfilm auf zwei eher statische Rollen: die Taschentuch schwenkende oder auf Skype weinende Liebe in der Heimat und die Zwangsprostituierte an der Front. Interessant wird es an dieser Stelle nur in den wenigen Filmen, in denen diese beiden Rollen sich verschränken: wenn der männliche Soldat in der Fremden die zurückgelassene Liebe wiederfindet. Das ist schon ein Motiv in den großen pazifistischen Filmen der dreißiger Jahre von Renoir oder Chaplin, das im High-Tech-Video-Krieg aber nur schwer wiederzubeleben sein wird. Aber auch diese Filme sind oft schwerfällig, pathetisch und langsam. Im Krieg wie in der Liebe danken Witz und Verstand ab,  zum Glück aber gibt es immer Ausnahmen. Den besten Kriegsfilm nämlich hat Preston Sturges verblüffender Weise während des zweiten Weltkriegs unter den verschärften Bedingungen der US-Kriegszensur gedreht. Hail the conquering Hero handelt von Woodrow Lafayette Pershing Wilson (ein Name voller politischer und militärischer Anspielungen), der so wie sein Vater ein Kriegsheld sein will, aber wegen Heuschnupfen ausgemustert wird. Um seine Mutter nicht zu enttäuschen, zieht er trotzdem in den Weltkrieg, kommt aber nicht weiter als bis San Diego. Dort betrinkt er sich im Hafen mit einigen Marines, die ihn mit Orden ausstatten und wieder in die heimatliche Kleinstadt verfrachten, wo er zum Kriegshelden ausgerufen wird. Die Lüge hält er nicht lange durch, aber der reuige Sünder ist in der Kleinstadt der wahre Held. Er hat sich vor der einzigen Macht bewährt, die einen Mann absolut beherrscht: der eigenen Mutter. Dieser Mut qualifiziert ihn für das Amt des Bürgermeisters. Preston Sturges hat den Krieg dahin zurückgebracht, wo er beginnt: in die Provinz, wo aus toten Vätern und ehrgeizigen Müttern falsche Helden erwachsen. Der richtige Film für eine Zeit, in der Politik und Medien nicht genau wissen, ob die Stunde nun 19:14 oder 19:38 geschlagen hat.