
Benjamin Quaderer: Ich glaube, es liegt hauptsächlich an der Machbarkeit. Es ist ein riesiges Projekt und so aufwendig, dass es gar nicht anders geht. Jedes Jahr wäre unmöglich, alle zwei Jahre sehr schwierig und alle drei Jahre geht noch.
Juan S. Guse: Die langweilige Antwort ist: Es wurde ein erstes Mal gemacht. Dann haben irgendwann Leute gesagt, lass uns das noch mal machen. Da waren wohl drei Jahren vergangen. Und dann kam die dritte Generation und sagte, das letzte Mal waren es doch drei Jahre Abstand, lass uns das doch einhalten.
2005 waren u. a. Thomas Klupp, Paul Brodowsky und Florian Kessler bei dem Team dabei, dass die PROSANOVA gegründet hat. Sind die Gründer von damals auch heute noch im Hintergrund aktiv?
Stefan Vidovic: Bei meinem Finanz-Ressort ist es schon so, dass es den Präsidenten Paul Brodowsky gibt. Und mit ihm und Andrea Franke von PROSANOVA 2008 und Nikolas Hoppe von PROSANOVA 2011 bin ich ständig in Kontakt. Viele Vordrucke sind zum Glück schon da und auch Anträge existieren schon. Die muss man natürlich neu schreiben, weil man ja ein anderes Konzept hat, aber trotzdem kann man auf die zurückgreifen.
Karl Wolfgang Flender: Die Hilfe ist auch eher strukturell als programmatisch. In die inhaltlichen Entscheidungen der BELLA triste oder des Festivals hat eigentlich keiner mehr Einfluss außer uns sechs. Da haben wir uns auch nicht abgestimmt, aber die strukturelle Hilfe ist schon wichtig, dass sie uns z. B. erklären wie Finanzpläne aussehen müssen. Und Juli und ich haben auch Artur Dziuk von PROSANOVA 2011 oder Martin Kordić gefragt, wie es mit der Presse ist.
2005 war es Teil des Konzepts, die Rolle von Schreibschulen zu hinterfragen. Man hat das damals auch ganz konkret formuliert: »Das Festival fragt, ob der Vorwurf handwerklicher oder thematischer Gleichförmigkeit gerechtfertigt ist und inwieweit die Schreibschulen das literarische Klima im deutschsprachigen Raum beeinflussen«. Interessiert euch das heute auch noch?
Lena Vöcklinghaus: Also was du gerade von dem Konzept von 2005 vorgelesen hast, das wurde auch damals deswegen so geschrieben, weil es das allererste Festival war. Der große Unterschied zu uns ist, dass wir PROSANOVA nicht mehr so wahrnehmen, dass wir begründen müssen, warum wir ein Festival machen, sondern für uns ist es klar, dass es PROSANOVA gibt.
Aber wir reden schon immer wieder privat darüber und diskutieren dann auch, was Florian Kessler in der ZEIT schreibt, aber für uns ist auch klar, dass es in allererste Linie um Literatur geht und nicht um Schreibschulen. Da sind wir uns alle einig.
Karl: Und auch nicht nur, weil das PROSANOVA-Festival mittlerweile eine Institution ist. Es gibt schon ein Gefühl von so einer Notwendigkeit oder Dringlichkeit, Literaturvermittlung immer wieder neu zu entdecken. Juan sagt immer, was es überhaupt für ein Wahnsinn ist, ein Literaturfestival zu machen, da explodiert ihm der Kopf, da man meist einer Lesung nicht länger als zehn Minuten zuhören kann. Und PROSANOVA ist ein andauernder Versuch, wie man Literatur vermitteln kann. Wie man Lesungen als Festival denken kann und dass man eben nicht spröde da sitzen und lesen muss.
Juan: Die Begriffe sind wie immer schwammig. Wo Literatur anfängt ist ja nicht klar. Was mich an PROSANOVA interessiert, ist die Überlegung die Rezeption von Literatur auf so etwas wie ein Gelände auszuweiten, also über die Lesungen hinaus, bis in die Pausen zwischen diesen. Für mich heißt das, sich zu fragen, wie man einen Raum verändern muss, dass er das leisten kann, etwas, was Kunstmuseen auf eine andere Art längst für sich entdeckt haben.
2005 war PROSANOVA in einem ehemaligen Möbelhaus, 2008 in der Phoenix AG und 2011 in einer Kaserne. Und jetzt seid ihr in einer leeren Hauptschule. Was stand noch zur Auswahl? Wie habt ihr diese Schule gefunden?
Juan: Es gab fiktive Auswahlen. Wir haben auf Gebäude gezeigt und uns überlegt, ob das funktionieren würde. Die Post am Hauptbahnhof wäre interessant gewesen, weil sie auch zentral gelegen ist. Die wiederholt langweilige Antwort wäre aber, dass von unserer Liste mit über 30-40 potentiellen Immobilien uns alle abgesagt haben.
Wie sieht denn ganz konkret eure Organisation aus? Wann fangt ihr mit der Planung an?
Stefan: Es liegt da auch an dem Ressort. Meine Arbeit fängt schon früh an, denn du bist plötzlich der neue Finanztyp und musst dich vorstellen. Das ist auch eine sehr repräsentative Aufgabe, du bist die ganze Zeit am Kaffee trinken. Deswegen waren es bei mir zwei Jahre, aber die ganze handwerkliche Arbeit ging dann erst letzte Woche los.
Karl: Die inhaltliche Arbeit ist auch noch vorgelagert. Das grobe Konzept musste ja auch vor den Finanzanträgen erarbeitet werden.
Lena: Ja, es ist sehr viel theoretische Vorbereitungszeit. Und damit haben wir sehr, sehr zeitig begonnen. Und dadurch, dass wir in dieses Projektsemester von der Uni Hildesheim eingegliedert sind, konnte die praktische Arbeit erst vor zwei Wochen richtig beginnen. Ab dann hatten wir dieses große Team zur Verfügung, mit dem wir jetzt zusammen alles realisieren.
Und wie geht ihr bei der Programmplanung vor? Wer entscheidet, wer eingeladen wird?
Stefan: Das entscheiden wir alle gemeinsam. Das ist ja die coole Arbeit, die machen wir alle zusammen.
Lena: Da stimmen wir auch alle immer zusammen ab. Mit Handzeichen.
Juan: Das ist immer schlimm.
Lena (lacht): Deswegen mussten wir auch vor zwei Jahren anfangen, weil die Abstimmungen sich so lange hinziehen.
Wen hättet ihr denn gerne im diesjährigen Programm gehabt, der nicht kommen konnte?
Juan: Christian Kracht, der ist in Afrika.
Lena: Rainald Goetz.
Juan: Der hat uns nicht geantwortet. Ich habe ihm ein paar Briefe geschrieben.
Benjamin: Und Zaimoglu.
Stefan: Ich bin selbst sehr erstaunt. Wir haben schon fast alle bekommen, die wir wollten.
Neben etablierten Autoren wie Saša Stanišić oder Clemens Meyer habt ihr viele spannende junge Autorinnen und Autoren, aber auch Künstlerkollektive, die noch weniger bekannt sind, wie TraumaWien oder cobraTheater. Habt ihr bewusst versucht, eine Balance zwischen größeren und kleineren Namen hinzubekommen?
Lena: Ja und nein. Wir haben alle relativ unterschiedliche Geschmäcker, so dass von jedem immer wieder was vorgeschlagen wurde. Aber ich empfinde das gar nicht so sehr, dass wir bei der Auswahl auf eine Balance geachtet haben, sondern ganz viel danach gegangen sind, wen wir gut finden. Und wen wir unbedingt da haben möchten.
Benjamin: Wir wollten damit auch eine Vielfalt zeigen. Es wäre schon komisch, wenn man ein Literaturfestival macht und es nicht schafft, eine gewisse Bandbreite abzudecken.
Wenn man das Programm liest, gibt es ein paar Veranstaltungen, bei denen man neugierig ist, aber nicht recht weiß, was einen erwartet. Wie z. B. die FightNight zwischen Jakob Nolte und Michel Decar. Wisst ihr was da passiert oder gibt es für euch da auch selbst noch Überraschungen?
Stefan: Strukturell wissen wir schon was passiert, es ist aber auch spannend, dass es eine gewisse Spontanität und Anarchie dabei gibt.
Karl: Das ist auch das Besondere an PROSANOVA, dass Jakob und Michel sich etwas ausdenken. Sie lesen aus ihren unveröffentlichten Büchern, erzählen Witze, sie machen irgendwas und das machen sie extra dafür. Wir wissen, was auf der Bühne steht, welche Technik sie brauchen, ungefähr was sie lesen. Aber was sie sonst noch machen und ob es wirklich diese Schlammcatchgeschichte gibt, wer weiß. Wir haben zumindest einen Eimer mit Schlamm da stehen.
Es gibt aber auch Veranstaltungen, die wir ganz eng absprechen. Leif Randt war schon zwei Mal da und hat sich die Kirche angeguckt. Und hat genau abgestimmt, wo die Leinwände hinkommen, wo die Scheinwerfer, und wie lang die Einlasszeit ist.
Juan: Eine andere Veranstaltung, die sich mit Social Reading beschäftigt, wird gerade vorbereitet. Das heißt, auch da ist noch nicht klar, was es wird. Jan Brandt, Jo Lendle und Annika Reich lesen gegenseitig ihre Texte und kommentieren diese im Netz. Dafür verwenden wir RapGenius, ein relativ trashiges Programm auf einer Internet-Seite, auf der man normalerweise Rap-Lyrics findet. Und es kann sein, das dabei nicht das entsteht, was wir uns vorgestellt haben. Aber dann ist es halt was anderes.
Ihr schreibt auch alle selber. Wie ist es plötzlich gegenüber anderen Schriftstellern in der Rolle des Veranstalters zu sein?
Juan: Das empfinde ich als mit Abstand am schlimmsten, wenn ich Dietmar Dath eine Mail schreiben muss, in der ich über Daten wie Datum, Geld, Anfahrt, Zeitpunkt und Veranstaltung sprechen muss. Das ist doch kacke. Diesen werbenden Gestus, der mit dem Veranstalten einhergeht, empfinde ich als extrem unangenehm.
Stefan: Das kratzt wirklich an dir.
Juan: Klar. Ich will lieber mit den Leuten über andere Sachen reden, über Flugzeuge, den Polarkreis oder Fußball zum Beispiel. Aber ich muss ja über diese Eckdaten reden. Ich bin froh, wenn die Leute dann da sind und dieser ganze Quatsch außen vor ist.
Stefan: Das sehe ich schon, aber das ist so ein kleiner Punkt. Ich sehe mich gar nicht so als Veranstalter, dass ist eher wie eine Hausparty für Freunde. Man kennt halt sehr viele Leute, die kommen.
Benjamin: Ich glaube, was ich für mich kapiert habe, ist, wenn ich eines Tages mal selbst unterwegs sein sollte und jemand lädt mich auf ein Festival ein, dann weiß ich das unfassbar zu schätzen, was diese Menschen da für mich tun.
Die Stadt ist zum Teil auch schon dekoriert. Schafft ihr es, Hildesheimer fürs Festival zu begeistern? Oder ist es doch eher ein Festival für die Literaturszene?
Benjamin: Der große Vorteil, den wir dieses Jahr haben, ist, dass die Schule sehr zentral liegt. 2011 und 2008 war es so, dass das Festivalgelände abseits lag.
Lena: Ich kann mir vorstellen, dass viele spezifisch zu Veranstaltungen kommen. Dass Leute dann nicht ein ganzes Festivalticket kaufen, sondern einzelne Eintrittskarten. Und sich dann Clemens Meyer oder Kathrin Röggla anschauen.
Benjamin: Eigentlich wäre es auch mein Wunsch, dass man es schafft, dieses ganze selbstreferentielle Ding zu sprengen. Ich möchte eigentlich kein Literaturfestival für den Betrieb, ich möchte es auch nicht für die ganzen Leute, die hier studieren, sondern das man es ein wenig aufbricht und dann Leute da sind, die vielleicht gar keine so große Lust auf Literatur haben, aber sich das einfach mal anschauen wollen.
Juan: Oder Leute wie Bernd, unser Hausmeister. Oder Klaus, der hier die Elektrik macht. Die waren anfangs skeptisch, sehen aber, dass wir doch keine Idioten sind, sondern so etwas wie einen Plan haben.
Noch eine letzte abschließende Frage: Was macht ihr als erstes, wenn das Festival vorbei ist?
Lena: Die Turnhalle in ihren Ursprungszustand zurückversetzen.
Juan: Richtig. Am Sonntag ist die letzte Party, die geht bis 5:00 oder 6:00 Uhr nachts. Und am Montag um 16:00 Uhr werden uns die Räume wieder abgenommen. Bis dahin müssen die wieder komplett sauber sein.
Stefan: Das ist das erste Aufräumen. Das zweite wird dann ein Ausflug zur Reflexion sein. Da fahren wir drei Tage an die Nordsee.
Lena: Mit dem ganzen Team, alle Leute in einem ehemaligen Marineschiff.
Stefan: Und ab Juli geht dann das individuelle Leben weiter.