Touristikfachkraft für 1800 Euro? Modedesigner mit 1600 brutto? Journalist mit 60-Stunden-Woche und 1500 Euro auf vermeintlich freier, in Wahrheit scheinselbstständiger, also Angestellen-Basis? Eine Doktorin, die an der Uni 2200 Euro bekommt? Als Karriereberaterin bekomme ich seit Jahren hautnah mit, wie wenig in einigen Bereichen und Branchen gezahlt wird. Das gilt längst nicht mehr für Menschen mit schlechter Ausbildung, sondern immer öfter und gerade für Akademiker. Teilweise sind Gehälter seit Jahren im Sinkflug, teilweise stagnieren sie. Besonders kritische Branchen und Segmente: Touristik, Tageszeitungsjournalismus, Kultur, Mode/Textil, Design, Foto, Werbung. Je "schöner" die Branche, desto höher der Zulauf, desto geringer das Gehaltsniveau.
Das ist schon länger so. Neu ist, dass seit Hartz IV diese Branchen verstärkt und auch andere Branchen den Gewinnoptimierer Lohnschmelze entdecken – da ist die Springer-Tochter Pin Group AG oder der Call-Center-Betrieber Walter, der nach einem heutigen Bericht der Hamburger Morgenpost im einen Tochterunternehmen höherbezahlte Agents entlässt, um sie im anderen wieder zwei Euro günstiger einzustellen. Immer öfter höre ich, dass kleinere Firmen ihre Mitarbeiter mit dem Hinweis gewinnen, dass zum Leben fehlende Geld könnten sie sich ja bei der ARGE holen. Mitarbeiter werden sogar hinsichtlich eines solchen Antrags beraten. Diese Unternehmen kalkulieren damit, dass ihre Mitarbeiter von Hartz-IV aufgefangen werden – und sanieren sich damit selbst. Denn: Alle oben genannten (realen) Brutto-Gehälter führen direkt zur ARGE, wo in der Regel aufstockendes Arbeitslosengeld beantragt wird – denn zum Leben reichen sie nicht, erst recht nicht zum Ernähren einer Familie (wie ich etwa auch in einem Artikel für die Computerwoche dargelegt habe).
Medien "wundern" sich über Zahlen, die davon sprechen, dass die Zahl der so genannten Aufstocker von Monat zu Monat steigt und sich von Jahr zu Jahr verdoppelt. Mich wundern die Statistiken nicht: Die wenigsten Menschen kennen die Möglichkeiten und wer davon hört, schämt sich oft, zum Amt zu gehen.
So subventinieren wir mit unseren Steuergeldern die Gewinne der Unternehmen: Die Löhne, die dank Hartz IV geringer ausfallen können, werden indirekt mit unseren Steuergeldern bezuschusst. Unverständlich, dass das zum Beispiel der Chefredakteur der von mir sonst aufgrund des guten Schreibstils geschätzten Vanity Fair immer noch gegen Mindestlöhne poltert. Und seltsam, dass der Stern,nun ja – von Haus aus eher populistisch – dieses Thema erst vor zwei Wochen aufgegriffen hat.
Svenja Hofert