Einmal erzählte mir eine Kundin, dass ein Personaler sich nach einem Stressinterview, in dem sie regelrecht demontiert worden ist, bei ihr entschuldigte. „Ich wollte das nicht, das ist Firmenpolitik”, sagte er im Flur. So etwas ist leider keine Ausnahme.
Immer wieder spreche ich mit Kunden, die kreuzunglücklich im Job sind, weil dieser Dinge von ihnen verlangt, die gegen persönliche Werte und Prinzipien verstoßen. „Man erwartet, dass ich blöffe – das halte ich nicht aus”. Oder. „Ich kann nur erfolgreich sein, wenn ich die anderen austrickse und über den Tisch ziehe.“ Oft ist es nicht gegen geltendes Recht, was verlangt wird – aber gegen eigene Werte. Auch die besten Gehälter können an dem Unwohlsein nicht ändern. Meine These ist, dass die Zunahme fragwürdiger Praktiken eine Nebenerscheinung der globalisierten Welt ist. Schließlich herrschen überall auf dem Globus unterschiedliche Wertvorstellungen. Und wer interkulturell tätig ist, einigt sich (oft) auf die kleinste Schnittmenge gemeinsamer Werte – wenn überhaupt.
Was tun, wenn Sie betroffen sind?
Wenn Sie keinen eigenen, authentischen Stil entwickeln dürfen, weil das in Ihrem Unternehmen, Ihrer Branche oder Ihrer Abteilung so nicht gewünscht ist, hilft nur eins:
- Werden Sie sich klar darüber, was genau Sie an dieser Tätigkeit stört.
- Welche Werte und Prinzipien leiten sich daraus ab?
- Sind das Werte, die z.B. einer humanistischen Weltanschauung entspringen? (z.B. nicht über den Tisch ziehen wollen, mit offenen Karten spielen, jeden Menschen wertschätzen).
- Sind es Werte, die dem kategorischen Imperativ nach Immanuel Kant entsprechen? Sind es christliche Werte?
- Oder sind es Werte, die der Persönlichkeit entspringen und vielleicht auch mit ihrer individuellen Entwicklung zu tun haben? (z.B. nicht streiten wollen, den Wettbewerb meiden)
Wenn es Werte sind, die eng mit der Persönlichkeit verknüpft sind, so ist die Frage, ob eine Weiterentwicklung der eigenen Handlungsmöglichkeiten hilfreicher sein kann als ein Jobwechsel. Wenn es übergeordnete Werte sind, so kann es nur einen Weg geben: raus. Nach Lutz von Rosenstiel dürften es vor allem die Idealisten sein, die sich derart unwohl fühlen, dass sie selbst höchste Gehälter dafür sausen lassen. Karrieristen werden sich vermutlich eher arrangieren und darauf verweisen, dass ja alle so sind (und beispielsweise “alle im Ausland Schmiergeld zahlen”).
Übrigens höre ich oft von Gründern, dass sie sich selbstständig gemacht haben, weil sie die Ungerechtigkeiten, die Politik und Schaumschlägerei nicht mehr ertragen konnten. Auch das ist eine Lösung.