„Das erste tote Pferd meiner Karriere war ein Medizinstudium. Ich hielt mich fünf Semester tapfer im Sattel, absolvierte sogar das Physikum – bis ich nicht mehr ignorieren konnte, dass die Medizin einfach nie mein Ding war“, schreibt mein Kollege Tom Diesbrock in seinem gerade bei Campus erschienen Buch „Ihr Pferd ist tot? Steigen Sie ab! Wie Sie sich die Freiheit nehmen, beruflich umzusatteln“. In meinem Büro hat es einen Ehrenplatz bekommen bei den Büchern, die ich mit bestem Gewissen empfehlen kann.
Ich bin kritisch gegenüber der Traumjob-Neuorientierungswelle, die teils arg esoterisch angehaucht und nur auf die Zielgruppe sinnsuchender Frauen zielend lauter Coachs, Künstler und Möchtegern-Journalisten ins Prekariat treibt. Mein Ansatz war es immer, realistische, existenztragende und Arbeitsmarktadäquate Lösungen zu finden, weshalb sich mir bei manchen Werken und Herangehensweisen die Zehennägel aufstellen.
Bei diesem Buch ist anders. Tom Diesbrock macht keine falschen Versprechen. Er sagt, dass der Weg zum Traumjob kein Spaziergang ist und mit Arbeit verbunden ist. Er greift sich eine Phase heraus, durch die jeder Veränderungswillige gehen muss, die bisher aber eher geflissentlich ignoriert wurde: Die Phase der Erkenntnis, dass mein Pferd wirklich mausetot ist und ich handeln muss. Veränderungswünsche waren da meist schon vorher da, aber keine richtige Bereitschaft, leise Zweifel, Selbstbetrug (“mein Pferd ist nicht tot” oder “das Leben ist kein Wunschkonzert”).
Das ist eine Phase, die manche Berufsfindungscoachs gar nicht erleben, weil dann die Coachees wieder weg sind (um meistens weiter auf ihren toten Pferden zu reiten). Letzte Woche habe ich darüber im Zusammenhang mit Krisen geschrieben, die einen aus dem Sattel werfen und zur Veränderung zwingen.
Dass es auch ohne die Radikalkur „Krise“ gehen kann, wenn Sie sich nur genügend Zeit nehmen, belegt das Buch. Endlich mal ohne lange Checklisten und umfangreiche Talente-Tabellen, sondern mit leisen Worten, die auch Männer ansprechen (könnte ich mir vorstellen ) Warum vermeiden Sie notwendige Veränderung? Eine Beispielantwort mag lauten: Fehlende Interessen. Uns Coachs begegnen in der Tat oft Menschen, die gar keine Interessen haben. Und jede Menge Leute, die sich für talentlose, hoffnungslose Generalisten halten.
Das liegt allerdings oft daran, dass sie keine Zeit hatten, Interessen zu entdecken, beispielsweise weil sie immer nur mit der Karriere beschäftigt waren oder ihnen in der Kindheit keine Angebote gemacht worden sind. Wie soll ich, um ein Beispiel zu nennen, Leidenschaft fürs Klavierspielen entwickeln, wenn niemand mir das nahegebracht hat? Interessen werden von den Eltern und der Umgebung zumindest mitgestaltet.
Manche Menschen, die uns Coachs begegnen, erwarten, dass Ihnen die Lösung auf einem Silbertablett serviert wird – ohne Arbeit, ohne Abstriche und dann auch noch schnell. Doch wer Regisseur und nicht Komparse sein möchte (so der Titel eines Kapitels), muss selbst aktiv daran arbeiten, eine Lösung zu finden.
Das Entdecken von Interessen als Vorbereitung einer Neuorientierung ist ein längerer Prozess. Denn wenn eine Lösung noch gar nicht im Kopf ist, braucht sie Zeit, sich dort zu verankern. Wie alle neuen Ideen. Dieses Buch macht Mut, sich diesem Prozess zu stellen.
Guten Morgen Frau Hofert,
ich kann nur aus eigener Erfahrung zustimmen. Es dauerte über ein Jahr um aus der mir aufgezwungenen Krise rauszukommen und zusätzlich um bei mir die notwendige Energie für eine eigene Firma zu verankern. Jetzt bin ich soweit und endlich werden auch Ernergien frei durch meine starke Motivation und das Bewußtsein, daß ich es schaffe mich durchzukämpfen. Meine Firma wird ein Erfolg !
Freundliche Grüße
B.RE.
Moinmoin Herr Reddel, für den Erfolg dürcke ich Ihnen alle zur Verfügung stehenden Daumen
LG Svenja Hofert
Toller Artikel. Ich finde es geradezu erschreckend, wie stark berufliche Neuorientierung mit Mustern verbunden ist, die schon am Anfang der Berufslaufbahn in die Sackgasse geführt haben. Der sarkastische Kommentar, wer sich beruflich neurorientiert, wird Coach, Journalist, Schriftsteller oder Wirt ist tatsächlich näher an der Wahrheit, als vielen lieb ist. Alles, was irgendwo interessant und anders ist, als der eigene Beruf, den man mit realem Erleben, Erfolgen und Niederlagen verbindet, ist in schlechten Phasen immer interessanter als das, was man tut. HIntergrund ist meiner Einschätzung nach, dass Menschen phasenweise eine andere Leistungsbereitschaft entwickelt haben, Sinnfragen des Daseins allgemein in ihrem Beruf lösen wollen oder eine große Krise überwinden. Und natürlich die Frage nach dem gewünschten Erfolg. Wer beruflich voran kommt und seine eigenen Wünsche erfüllt, der stellt sich die Frage nach Neuorientierung nicht. Auch ist es möglcih, dass die eigene Karriereerwartung unrealistisch und fremdgesteuert ist, sich nicht erfüllt und somit zu dauerhaften Enttäuschungen führt.
Statt aber auf die Fähigkeiten und Neigungen intensiv zu schauen, entstehen immer die gleichen Wünsche, als wenn es einen Katalog der “Berufsbilder für Neuorientierer gibt”.
Viele meiner BWL-Kollegen seufzen (wie bei Juristen sind die Neuorientierer hier zahlenmäßig groß), sie würden ja so gerne den Traum verwirklichen: ein Lokal für gesunde Drinks (gerne Männer) oder eine schöne Boutique (Frauen aus dem Marketingbereich) eröffnen. Komisch, dass tausende den gleichen Traum haben. Oder die scheue Antwort auf die Frage, wann mach ich mich selbständig: Natürlich wenn ich die richtige Idee habe. Bullshit, wer das immer wieder hervorkrammt, kann nicht so ideenlos sein – eher spielen da Ängste eine Rolle, die Ideen blockieren. Denn so grandios sind Ideen selten, keine bietet den Schutz davor, im Wettbewerb automatisch nicth zu scheitern.
Die Frage, welchen Inhalt der Beruf haben soll, wird mit Berufung beantwortet. Wie der Artikel schon sagt: Die kann kein Mensch abrufen aus dem Eff-eff. Hat man etwas gelernt und setzt es erfolgreich um, na dann kann man immer von Berufung sprechen. Das kann aber doch niemand vorher beantworten, es ist vielmehr auch von Zufällen abhängig, gleich seine Orientierung zu finden und die nicht in Frage zu stellen. Sprich: Wer immer am gleichen Loch gräbt, kommt irgendwann zum Wasser – eher als der, der immer laufend anderswo Löcher gräbt. Dabei ist es oft nur die Phantasie, nicht das Erleben, das tatsächliche Berufsbild, dass uns in eine neue Existenz vermittelt. Ist dann der Alltag als Wirt, Koch, Boutiquebesitzerin oder Coach dann mal erlebt, kommen die ganz üblen Fragen auf – ob man nicht alles falsch gemacht hat. Medien produzieren auch ganz banale Fehlentwicklungen, so ist die Vermutung, Fernsehkoch und Koch im Restaurant sei in etwa gleich vergnügungssteuerpflichtig, ziemlich daneben. Gerade jetzt beginnen enorm viele diese Ausbildung zum Koch – und nie waren die Abbrecherraten so hoch. Oder man stellt fest, dass man sich eben nicht nur im Beruf verwirklichen kann, dass es vielmehr ein Aspekt von mehreren Säulen im Leben ist. Erfolg im Beruf ist wichtig, aber zu viele suchen auch noch gleich ihr Glück darin – das geht in die Hose.
Hallo Herr/Frau (?) Bußmann, das ist ein ganz klasse Kommentar, vielen Dank. Und ja, es stimmt, es sind ganz besonders viele BWLer und Juristen, die sich schnell “interessenleer” fühlen, oft eben weil andere Säulen fehlen. Das Ziel ist es also, neue Säulen zu finden und manchmal auch, den eigenen Anspruch an den Beruf als Glücksbringer zu korrigieren. herzliche Grüße Svenja Hofert
@Bußmann
Also ich denke es geht sicher nicht darum im Beruf ausschließlich sein Glück zu finden. Ich finde mein Glück in der sogenannten und schon fast banalklingenden Work Life Balance. Das was da dahintersteckt ist nämlich alles andere als trivial. Ein Zweites: Natürlich ist es äußerst schwierig zu sehen, ob das Pferd wirklich tod ist oder ob man sich einfach nur mal am so allseits beliebten Klagen über den Job beteiligen will. Das hängt sicher von der Person und Persönlichkeit ab und ist sehr verschieden und unterschiedlich. Aber es gibt auch Situationen in denen ein Pferd wirklich tod ist und um diese ging es Wohl Frau Hofert.
Dennoch finde ich Ihren Artikel interessant. Sie haben durchaus Recht, daß viele nicht ernsthaft genug klagen und es schon einen Unterschied macht, ob das Pferd noch lebt und man sich nur mal aus “modischen” Gründen am Klagen beteiligt. Hinter einer Neugründung einer Firma steckt jedoch in vielen Fällen ein Ernsthaftes und durchaus das Risiko beachtendes ändern und außerdem eine gehörige Portion Motivation und Vision ohne die niemand sein sicheres Plätzchen hinterm Ofen verlässt.
Freundlicher Gruß
B.RE.
Ein toller Artikel ! Danke ! Zumindest hat er einen solchen “Appetit” bereitet, dass das Buch soeben schon bestellt ist
Viele Grüße
Jasmina