Wie heißt denn bitte mein Beruf?

Wahrscheinlich sind auch Sie kein Bäcker. Und selbst Jürgen Klinsmann (gibt´s denn noch?) würde wohl diesen einst gelernten Beruf nicht in seine Heiratsurkunde schreiben. Statt dessen: Trainer? Coach? Vortragsreisender? Manager of Soccer Solutions? Wer sind wir, wenn wir eigentlich gar keinen richtigen Beruf mehr haben? Spätestens bei Hochzeit oder Erbe stellen Sie sich die Frage: was trage ich bloß in dieser Spalte ein, in der ich nach meinem Beruf gefragt werde? Die wenigsten können das so einfach beantworten wie Lehrer, Rechtsanwälte, Ärzte und Krankenpfleger.

Die Antwort auf die Frage „welchen Beruf habe ich?“ wird mit jedem Jahr, mit jeder Woche in der Wissensgesellschaft kniffliger. Kaum jemand arbeitet in einem gelernten Beruf. Überhaupt sind betriebliche Lehren Auslaufmodelle, wir haben ja duale Studiengänge. Die sind inzwischen so verzweigt, dass sie einen nicht mehr einfach zu einem Bachelor of International Management machen, sondern für einen Teilbereich der Wirtschaft qualifizieren. Ist das dann ein Beruf? Noch lange nicht. Nun könnte man sagen: Wenn kein Beruf, dann eine Funktion. Aber, hallo, schaut mal: Funktionsbereiche wie Marketing, Personal, Rechnungswesen lösen sich auf, diversifizieren sich oder werden von neuen Abteilungen flankiert. Die heißen dann Regulatory Affairs oder Corporate Social Responsibility oder….?

Das alles macht es meinen Kunden und mir schwer, aus Stellenmärkten etwas Passendes herauszufischen. Heißt es nun Projektleiter, Projektmanager, Projektkoordinator, Consultant oder gar Projektingenieur? Für ein und dieselbe Tätigkeit können alle möglichen Bezeichnungen herhalten. Nach was für einer Stelle suche ich, wenn ich im Marketingbereich etwas machen möchte, was verschiedene unterstützende Tätigkeiten beinhaltet? Kann sein, das es eine Marketingassistenz ist, kann sein eine Projektassistenz, möglich ist auch ein Junior Manager und, ja, genau eine Chefsekretärin. Merke: gleiche Tätigkeit!

Richtig schwierig wird es bei Stellen aus dem vierten Sektor, also hochqualifizierten Positionen, die Spezialwissen erfordern. Die gleichen Tätigkeiten im Bereich Sustainability könnten unter „wissenschaftlicher Mitarbeiter“, „Manager Sustainability“, „Mitarbeiter Sustainability“ und „Experte Sustainability“ gefunden werden. Nun könnte man hoffen, dass sich Fachtätigkeiten einigermaßen ordentlich unter einem Begriff ablegen lassen. Doch heißt so eine Stelle dann „Referent“, „Specialist“ (soundso, z.B. Supply Chain)? Mehr als 8.000 Stellen finden sich unter dieser Bezeichnung bei Kimeta.de. Oder gar Experte für XY? Da kommen wir auf fast 30.000 Treffer. Und merken: Experte ist alles und nichts – aber ist es auch ein Beruf?

Simple Funktions- und Bereichssuchen in Stellenmärkten funktionieren da kaum noch. Das ist eine enorme Anforderung für die Stellenmärkte, denn hier ist eine intelligente Suche gefragt, wie es sie derzeit nur in Ansätzen gibt. Das Grundproblem sind dabei fehlende Funktionsbezeichnungen. Sicher: Es könnten sich irgendwelche Kommissionen bilden, die die neuen Funktionen standardisieren. Das halte ich aber für ein fast unmögliches Unterfangen – in einer Welt, die sich dermaßen schnell dreht. Eine Möglichkeit wäre es, über Schwerpunktkenntnisse zu suchen. Aber halt, wie fein müssten diese definiert sein…. schwupps sind wir bei seitenlangen Formularen wie sie einige Firme zur Bewerberabschreckung nutzen. Und die sind ja mega-out. Also besser gar nicht suchen. Gefunden werden. Aber Hilfe…. Unter welchem Begriff soll der Recruiter mich suchen?


17 Kommentare zu “Wie heißt denn bitte mein Beruf?

  1. Spannend! Meine beiden Berufsabschlüsse haben auch nur ganz entfernt mit meiner heutigen Tätigkeit zu tun. “Fahrlehrer”: Mach ich gar nicht mehr. Mein eigener Fahrstil würde das auch gar nicht mehr zulassen. “Diplom-Pädagoge”: Mit Kindern arbeite ich gar nicht. Weiterbildung und Karriereberatung ist mein Thema. Marketing und Vertrieb meine Aufgabe.
    Das ist mit einem einzigen Berufs-Label schwierig zu beschreiben.

    Berufskennziffern der Agentur für Arbeit greifen eben nicht mehr.

    Tatsächlich: Kreatives Selbst-Bezeichnen ist gefragt.
    Grüße an die Expertin für neue Karrieren!
    Der Experte für Berufsplanung und Weiterbildung

  2. Spannend, auch die Antwort. Fahrlehrer und Diplom-Pädagoge liegen ja gar nicht sooo weit auseinander. Wi brauchen noch einen Experten für neue Berufsbezeichnungen, was meinen Sie? herzliche Grüße SH

  3. Liebe Frau Hofert,
    Sie wissen gar nicht, wie Sie mir mit Ihrem Blogbeitrag aus der Seele sprechen, denn genau diese Frage habe ich mir in den letzten Wochen gestellt.
    Eigentlich bin ich Tierärztin, die aber in einem Verlag arbeitet. Dort werde ich wahlweise als Projektmanagerin oder Programmplanerin bezeichnet. Von Außenstehenden werde ich jedoch oft als “Lektorin” angesprochen.
    Zusätzlich qualifiziere ich mich auch noch im Bereich E-Learning-Konzeption.
    Scheint also alles ganz einfach: Ich bin eine E-Learning lektorierende Veterinärmanagerin (kurz: eierlegende Wollmilchsau? Schön wärs :-) ).
    Vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Ich bin also nicht allein mit meiner Suche.
    Herzliche Grüße

  4. Wirklich super Beitrag, der mir sehr aus der Seele spricht. Auch ich habe mich vor Jahren gefragt, was ich eigentlich bei Xing hinschreiben soll – vielleicht ein Grund, warum ich Xing nie wirklich sinnvoll fand.
    Ich habe das Thema nun hier wieder aufgegriffen und zeige noch einen Lösungsweg aus dem Dilemma:

    http://www.berufebilder.de/jobsuche-bewerbung/stellenanzeigen-jobboersen/wie-findet-man-stellen-fuer-die-die-bezeichnung-fehlt-jobsuche-im-begriffswald/

  5. @dr. Christina Lauer
    Vielen Dank für Ihre klasse Ergänzung. Das stimmt: Lektoren, Programmplaner, Redakteure, Produktmanager, Projektmanager – teilweise ähnliche, überschneidende oder sogar gleiche Arbeitsbereiche. LG :-) SH
    @simonejanson: vielen lieben Dank, tolles Bild – Grüße SH

  6. Ich möchte das ganze noch toppen. Nach einer Fusion mit einem anderen Unternehmen haben wir jetzt Kollegen in der Abteilung, die zwar exakt den gleichen Job machen, aber -historisch bedingt- eine andere Funktionsbezeichnung tragen. So bezeichnen sich die einen sich so und die anderen so. Da ich relativ viel intern kommunziere und ich nicht genau weiss, ob der gegenüber nun aus dem einen oder aus dem anderen Unternehmen stammt, stelle ich mich mittlerweile mit beiden Funktionsbezeichnungen vor.

  7. Hallo Frau Hofert,
    ich dehe das ein wenig entspannter, auch wenn Sie mir bzgl. der vielen amerikanischen Berufsbezeichnungen schon a bissl aus der Seele sprechen.
    Anyway, ich bin von Beruf, was ich erlernt habe – bei mir ist dies
    der IT-Kaufmann. Wie nun die Position heißt in der ich heute tätig bin, ist ein völlig anderes Thema. Doch das ist wohl der Preis für die Anglizismen in unserer coolen Zeit – oder?

  8. Liebe Frau Hofert,
    Schöner, lesenswerter Essay! Freue mich immer über Ihren frischen Schreibstil und die Art, wie Sie die Dinge auf den Punkt bringen können – auch wenn Sie es hier und da mit Putz und Staat übertreiben. Aber sagen Sie mal, wozu darf man gratulieren -zur neuen Vermählung oder Erbschaft? ;-) Herzlich, Paul

  9. Hallo Frau Hofert,

    wieder mal sehr interessant geschrieben und lesenswert. Ein kleine zusätzliche Bemerkung. Das Problem, daß Sie schildern, gab es schon früher in den Jobbezeichnungen(Jobdatenbank) des damaligen “noch” Arbeitsamtes. Ich habe selten dort die für mich passende Berufsbezeichung gefunden. Es gab einfach eine Auszählung der Lehrberufe, die nie auf mich zutraf. Ich stimme Ihnen in der heutigen zeit voll zu, daß sich das noch beschleunigt hat und die Bezeichnungen auf der anderen Seite für ein und dieselbe Tätigkeit heute zusätzlich noch verwirrender ist, da sich die Tätigkeiten auflösen und es weniger oder neue Lehrberufe gibt oder sich Tätigkeiten überschneiden.

    Freundliche Grüße B.RE.

  10. @Paul: lieben Dank für das Kompliment. Was aber ist Putz und Staat? Oh, und gratulieren – leider – weder zu dem einen noch zum anderen. Verheiratet bin ich schon (einmal soviel ich weiß) und geerbt hab ich noch nie :-) @Burkhard Reddel: Danke für Ihre Feedback – man merkt übrigens auch bei der Arbeitsagentur, dass die überfordert sind von all den “neuen” Berufen. herzlichst Svenja Hofert

  11. Find’s auch schwierig, obwohl gerade der Umgang mit klaren Worten mein Metier ist: ursprünglich Rechtswissenschaftlerin, habe das auch gelehrt an der FH des Bundes und der University of Liverpool; jetzt begleite ich fachübergreifend komplexe wissenschaftliche Projekte, damit am Ende überzeugende Gedanken ebenso überzeugend auf dem Papier stehen: von der Tätigkeit her definitiv Coach, bezogen aufs (wissenschaftliche) Schreiben, aber nicht allgemein, sondern eben im Hinblick auf konkrete Text-Projekte wie Doktorarbeiten. Deshalb Text-Coach Wissenschaft. Aber für exzellente Vorschläge bin ich immer offen…

    • Hallo Frau Struve, Text-Coach Wissenschaft finde ich gut. Vielen Dank für Ihren Kommentar und herzliche Grüße Svenja Hofert

  12. Hallo Frau Hofert,

    auch ich kann das von Ihnen besschriebene Problem der Berufsbezeichnung nur bestätigen. Wie sie wissen bin ich genau in einem der von Ihnen benannten Berufsfelder tätig, dem Bereich CSR, CR, Unternehmensverantwortung, Nachhaltigkeit oder wie auch immer man es bezeichnen möchte. Keine der großen Jobbörsen hat dieses Berufsfeld in den Suchmasken hinterlegt und damit standardisiert – lediglich in Spezialportalen wird man vereinzelt fündig. Ich bin sehr gespannt wie sich dies in Zukunft entwickeln wird.

  13. Hallo Herr Hellmann, vielen Dank für den wertvollen Kommentar. ja, das von Ihnen beschriebene ist genauso ein Feld… und es boomt! Bin auch gespannt, wie sich Jobbörsen auf neue Felder einstellen. herzliche Grüße Svenja Hofert

  14. Ich “leide” auch darunter dass mein berufsbild nirgendwo vorkommt, bei Behörden ganz zu schweigen….eher intitiv habe ich deswegen zu twittern und zu bloggen begonnen, wo ich einfach über das rede und spreche was mich am Bereich Informationsbeschaffung interessiert…Da informationsbeschaffung letztendlich auf Fragen stellen fusst, ist das super spannend und ich weiss auch nicht wo ich am ende dabei landen werde…..Bei Xing.de habe ich mir einfach damit geholfen, das sich mein Biete und Suche andauernd anpasse…lasse was weg oder wenn was neues in meinem Tätigkeitsfeld auftaucht, kommts hinzu. Dabei finde ich aber wichtig, dass man länger nicht “genutzte” worte, die nicht mehr zutreffen ZUERST löscht.

  15. Pingback: Sind Sie schon gelb oder noch grün? | Online-Magazin für Karriere & Zukunft von Svenja Hofert

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