Ist es ein Zufall, dass derzeit ausgerechnet zum Stichtag 1.5.2011 in vielen Stellenmärkten “Akademiker gesucht” sind. Unter Anforderungen las ich neulich folgendes: kaufmännische Kenntnisse, Sprachkenntnisse in Deutsch, Englisch und einer osteuropäischen Sprache. Das Einstellungsdatum 1. Mai 2011 ist exakt der Tag, an dem die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger jener Staaten gelten wird, die 2004 unter dem Stichwort „Osterweiterung“ in die EU gekommen sind. Folgt jetzt ein„HR-Fest“? Jedenfalls veranstaltet der Management Circle ein Seminar „Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa beschäftigen“ mit dem herrlich-unseriösen Werbebutton „jetzt ohne Einschränkungen möglich“.
Ist es wirklich so, dass sich die Personalabteilungen derzeit massenhaft die Hände reiben, weil Deutschland in wenigen Tagen von Arbeitsmigranten überrannt werden wird? Freuen sich Personaler wirklich auf Discount-Akademiker? Oder gleicht der erwartete Zuzug nicht einfach nur einen Teil dessen aus, was Deutschland durch die demographische Entwicklung verliert? Liegt der Zuzug nicht sogar deutlich unter dem Verlust durch die Demografie – wie der Chef der Bundesarbeitsagentur Müller behauptet. Er sagt: Das Potenzial der Erwerbspersonen in Deutschland sinke jährlich um etwa 200.000 Personen, sagt dieser. Demnach brauchen wir Arbeitsmigranten, damit die EU-Lokomotive Deutschland weiter dampft.
Doch wie viele Osteuropäer nun wirklich nach Deutschland strömen werden, weiß niemand. Schätzungen gehen von 100.000 bis 140.000 aus. Es könnten aber auch viel mehr sein: eine halbe Million sagen einige mit Blick auf die Zuwanderung in Großbritannien im Zuge deren Öffnung am 31.12.2006.
Warum sollen die Osteuropäer eigentlich kommen? Bei etwa 800 Euro brutto liegt der Durchschnittsverdienst in Polen, in Städten mehr, auf dem Land viel weniger. Hört sich wenig an? Wirklich? So viel besser ist es in den niedrigqualifizierten Bereichen bei uns ja auch nicht mehr. Eine Friseurin bekommt kaum 1200 Euro brutto. Menschen in Gesundheitsberufen klettern selten je über ihre 2000 Euro brutto. Bleiben netto vielleicht 1.200 – und davon muss man dann auch noch leben, bei zur Zeit durchschnittlich 11 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche in Hamburg.
Ziemlich sicher ist davon auszugehen, dass sich die Niveaus weiter angleichen. Das ist übel für Deutsche, die in den schlecht bezahlten Berufen und Sektoren arbeiten und die Abwärtsspirale seit Jahren mitbekommen. Das Argument, Ausländer nähmen uns die Arbeitsplätze weg, zieht aber auch nicht. Denn: In diesen Bereichen, etwa der Pflege, haben wir zu wenig. Und: Je schlechter die Löhne, desto eher wandern unsere lieben Nachbarn einfach anderswohin. Damit die Unternehmen dann überhaupt noch Mitarbeiter bekommen, müssen sie die Gehälter wieder anheben. Lange jedenfalls kann es nicht mehr dauern, bis sich die Gehälter innerhalb der EU einigermaßen ausgependelt haben, und dann ist sowieso Schluss mit billig.
Was aber ist mit den Akademikern? Bislang war Deutschland gerade für sie kein sehr attraktives Land. Man ging lieber nach Großbritannien oder nach Irland oder folgte dem Fachkräfte-Ruf der Australier. Aber als Wirtschaftslokomotive hat Deutschland gerade sein Image poliert. Der „Stern“ zeigte in der letzten Ausgabe einige studierte Osteuropäer, die Deutschland inzwischen sehr wohl auf dem Zettel haben.
Schlimm? Für die wirklich anspruchsvollen Jobs und Bereiche nicht. Hier belebt Konkurrenz das Geschäft. Schön für die Arbeitgeber: eine durchschnittliche höhere Leistungsaffinität bei Osteuropäern mit der Grundhaltung „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ wie sich etwa in der European Values Study nachlesen lässt. Aber dass sich Osteuropäer mit einem Billiger-Als-Eure-Inländer-Versprechen den deutschen Chefs an den Hals schmeißen? Unwahrscheinlich.
Meine Mitarbeiterin berät viele Absolventen, auch viele aus Osteuropa sind darunter. Nie war jemand dabei, der bereit gewesen wäre, günstiger zu arbeiten als ein deutscher Akademiker. Im Gegenteil: Die kennen ihren Marktwert. Und pokern manchmal sogar noch höher als ihre deutschen Kollegen. International erfahren und das Leben im Ausland gewohnt, gehen sie außerdem eher als manch deutscher Mitstudent einfach woanders hin, wenn es hier nicht klappt.
Bleibt also zu hoffen, dass dubiose Firmen wie die eingangs beschriebene sich über leere Bewerbungskörbe und normale Gehaltsforderungen wundern. Und der Discount-Akademiker ein Wunschtraum bleibt.
Als ich im Jahr 2006 das letzte Mal in Dublin war, stand ich vor einer Dilemma-Entscheidung. In den Pubs gab es die für Dublin typischen Sorten, aber inzwischen auch Zywiec, Tyskie oder gar Okocim vom Fass. Guinness oder Okocim?Für mich gar nicht so einfach die Entscheidung. Ich liebe beides! Schuld waren die Polen, die sich dort niedergelassen haben. Die Polen haben nicht gewartet, bis wir Deutschen uns bequemen den Arbeitsmarkt zu öffnen. Die mobilen und sehr gut ausgebildeten Kollegen aus unserem östlichen Nachbarland sind bereits untergekommen.
Für mich ist die Panik vor “Dumping-Polen” übertrieben.
1. Kommen die exzellent ausgebildeten Polen nicht für ein Apfel und ein Ei nach Deutschland. Sie werden auf faire und gleiche Bezahlung bestehen!
2. Wird die Mobilität überschätzt. Bei unbegrenzter Mobilität müsste die Arbeitslosenquote in D doch in jedem Bundesland gleich sein. Leute aus Regionen mit hohen Quoten müssten systematisch in Regionen mit niedrigen Quoten ziehen. Jüngere Leute tun dies, irgendwann über 30 nimmt die Bereitschaft dramatisch ab. Oder wie viele Griechen strömen gerade nach Deutschland, um dem heimatlichen Krisenmarkt zu entfliehen?
Hallo Herr Briegert, danke für den Kommentar. Sehe ich auch so. Und manchmal bin ich erschreckt, wie wenig flexibel einige Deutsche sind. Für viele kommt erst die Freizeit, dann der Job, auch für viele Akademiker. Das ist eine gute Grundhaltung, wenn man ein paar Jahre was erreicht hat und sein Profil ordentlich geschärft – aber direkt nach dem Studium?
herzliche Grüße
Svenja Hofert
Aber mit Sicherheit wird der deutsche Arbeitsmarkt ab 01. Mai dann endgültig zu einem Discounter für billige Lohnsklaven.
Für Dienstleistungsberufe und Berufe in der Baubranche ist er es schon heute. Aber vor allem im Osten Deutschlands werden die Arbeitnehmer die Konkurrenz noch viel mehr als bisher zu spüren bekommen, da helfen alle Märchen und Beschwichtigungen unserer Volkstreter und Leuten wie Ihnen die davon schön profitieren, überhaupt nicht und es hilft den dortigen Arbeitnehmern schon gar nichts. Für Ihre feinen Reden können diese Menschen, wenn sie entweder arbeitslos werden oder für einen noch niedrigeren Hungerlohn sich verkaufen müssen. nichts kaufen! Von daher wäre es nur zu begrüßen wenn BWLer, Diplomkaufleute, Ingeneure und Personaler (Akademiker) die selbe Konkurrenz erfahren würden und dann auch wesentlich kleinere Brötchen backen müssten. Vielleicht gibt es dann endlich genügend Empörung über den Verrat diese Staates an den eigenen Bürgern!
MfG Lukullus
@Lukullus: Wir haben uns irgendwann für Marktwirtschaftung und das Regeln des Angebots durch Nachfrage entschieden. Ich bin sehr für einen sozialen Ausgleich durch ein Grundeinkommen und Mindestlöhne doch die Tendenz in eine zweigeteilte Gesellschaft – hier niedrige Löhne, da Gagen – lässt sich nicht mehr aufhalten.